Programmleiterin über häusliche Gewalt: „Veränderung ist harte Arbeit“

In Wolfsburg, Gifhorn und Helmstedt gibt es ein Präventionsprogramm für Täter häuslicher Gewalt. Ein Gespräch über gestiegenes Problembewusstsein.

Ein Mann und eine Frau stehen hinter einem zerbrochenen Teller in einer Küche.

Schlimm wird es, wenn mehr als Geschirr zu Bruch geht Foto: dpa

taz: Frau Gehrmann, gab es, als Sie im Jahr 2019 die „Täterberatung für Männer bei häuslicher Gewalt“ gestartet haben, in Niedersachsen kein Projekt zur Prävention oder Rehabilitation gewalttätiger Männer?

Christine Gehrmann: In den Regionen Wolfsburg und Helmstedt gab es das in der Tat nicht. Es hat ein Vorläufer in Wolfsburg existiert, „Männer gegen Männergewalt“, der ist aber vor einigen Jahren eingestellt worden. Dadurch entstand das Vakuum, das wir jetzt füllen.

Ihre Zielgruppe sind Männer, die gegenüber ihrer (Ex-)Partnerin häuslich, sexualisiert gewalttätig geworden sind, körperlich wie seelisch. Wie kommen Sie zu ihnen in Kontakt?

Der Schwerpunkt liegt auf den Kontakten über die Polizei. Wenn sie Einsätze wegen häuslicher Gewalt fährt, nimmt sie Protokolle auf, und die bekommen dann die Biss-Beratungsstellen und Täterberatungsstellen. Die rufen dann proaktiv die Täter an. Der zweite Weg sind Bewährungsauflagen der Gerichte. Und dann gibt es noch die Selbstmelder – und das sind nicht wenige.

Das Training dauert sechs Monate, mit Gruppensitzungen, begleitender Einzelberatung, und der Teilnehmer muss „individuelle Veränderungsbereitschaft“ mitbringen. Wie prüfen Sie das?

Es wird abgefragt, inwieweit der Täter einsichtig ist in sein eigenes Handeln. Wenn er abwiegelt: „Die hat mich provoziert!“, oder Sachen sagt wie: „Ich bin hier, weil die Polizei das so will oder das Gericht. Jetzt unterschreib mir mal den Schein!“, kommt das natürlich nicht infrage.

So etwas kommt vor?

Ja, leider. Die Mehrzahl der Männer will allerdings wirklich etwas verändern. Das ist dann aber harte Arbeit.

62, ist seit 23 Jahren Gleichstellungsbeauftragte beim Landkreis Gifhorn. Sie leitet dort das Netzwerk gegen häusliche und sexuelle Gewalt seit 20 Jahren.

Rund jede vierte Frau wird mindestens einmal im Leben Opfer häuslicher, sexueller Gewalt. Wie sehen die Zahlen bei Ihnen aus?

Der aktuelle Lagebericht ist aus 2018. Für Gifhorn weist er für 2014 insgesamt 148 Fälle aus, in 2018 waren es 238. In Wolfsburg/Helmstedt waren es 2014 noch 387, in 2018 dann 549. Wir reden hier natürlich über das Hellfeld; die Dunkelziffer ist um das Mehrfache höher.

Wie ist dieser Anstieg zu erklären?

Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft insgesamt gewalttätiger geworden ist – die Bevölkerung ist sensibler geworden. Das Thema häusliche, sexualisierte Gewalt ist im Problembewusstsein angekommen. Immer mehr Opfer sehen, dass sie sich wehren dürfen, dass es für sie Anlauf- und Kontaktstellen gibt.

Wie viele Männer haben das Programm bereits durchlaufen?

Es gab 151 Kontaktaufnahmen, meist durch die Polizei vermittelt, vereinzelt durch die Justiz. 125 Täter wurden wegen der Teilnahme kontaktiert; von denen läuft aktuell eine Zehn-Personen-Gruppe. Ein unverbindlicher Anruf bei uns ist ja das Eine, die konkrete Entscheidung zur Teilnahme das Andere, das kostet Überwindung. Natürlich gibt es auch Abbrecher, die es nicht aushalten. Die kommen dann einfach nicht mehr.

Und was geschieht dann?

Sie werden aus der Gruppe ausgeschlossen.

Und wenn die Teilnahme eine Bewährungsauflage ist?

Dann greift die Justiz wieder ein, denn der Abbrecher bekommt ja keine Bescheinigung.

Täterarbeit ist Opferschutz. Das müsste ja für alle Täter gelten, auch für weibliche. Wäre es nicht sinnvoll, ein ähnliches Programm auch für Frauen aufzulegen?

Unsere Beratungsstelle in Gifhorn ist für Täter wie für Täterinnen da, das war von Anfang an so. In Wolfsburg und Helmstedt ist das männerorientiert. Ich plädiere sehr dafür, das Angebot auf Frauen auszuweiten. Auch Frauen werden gewalttätig. Natürlich ist die Schwere der Tat dann meist geringer, Männer haben meist mehr Kraft, schlagen schwerer zu. Aber auch für Frauen ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Gewalttätigkeit ganz wichtig. Gewalt findet in allen Bevölkerungsgruppen statt, auch quer durch alle Sozial- und Bildungsschichten.

Hat Ihr Programm Modellcharakter?

Niedersachsen hat bereits mehrere solcher Projekte. Aber es kann noch viel getan werden. Es müsste für alle Täter und Täterinnen ortsnah Beratungsstellen geben.

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