Programmatik der AfD: Front zonal
Die Partei wünscht sich ein Land ohne Multikulti und Genderdemokratie. Andere rechtspopulistische Parteien sind da weiter.
Mit der Wahl Frauke Petrys zur Chefin der sogenannten „Alternative für Deutschland“ und der Niederlage ihres Konkurrenten Bernd Lucke hat Deutschland nun eine offen rechtspopulistische Partei. Aber sie unterscheidet sich sehr von politisch schon länger erfolgreichen Formationen in der EU.
Die wichtigsten Differenzen: Die AfD bekennt sich ausdrücklich zu einer klaren Favorisierung des klassisch-heterosexuellen Familienmodells.
Wenn der intellektuelle Stichwortgeber der Partei, Ex-FAZ-Redakteur Konrad Adam davon spricht, „als rechts gilt heute, wer einer geregelten Arbeit nachgeht, seine Kinder pünktlich zur Schule schickt und der Ansicht ist, dass sich der Unterschied von Mann und Frau mit bloßem Auge erkennen lässt“, liegt darin eine konfrontative Absage an alle (bürgerliche) Aufklärung zum Thema Sexualität und die familiäre Moderne. Schwule und Lesben, Familien ohne Mann-Frau-Kind-Profil verdienen Geringschätzung.
Als Bernd Lucke vor dem Essener Parteitag ankündigte, den offen schwulen André Yorulmaz zum Generalsekretär küren lassen zu wollen, war das, als ob jemand in ein offenes Feuer noch Dynamitladungen legt.
Goebbelsche Kinderproduktion
Alle Kandidaten, die sich für Ämter unter Petry empfahlen, taten dies mit Nennung ihres Familienstands.
Durchweg waren dies bekennende Heteros nicht allein, sondern bis auf eine Ausnahme auch solche, die ihre sehr vielen Kinder argumentativ mit zur Sprache brachten: 4, 3 oder gar 5 – als ob die Vielzahl der jeweils gezeugten Brut ein Argument für irgendetwas sein könnte.
Es war, nun ja, als ob auf einer Versammlung man sich der Kinderproduktion der Goebbels‘ versicherte: Das war vom Stolz auf bevölkerungspolitische Erwägungen der Nationalsozialisten kaum zu unterscheiden.
Ob die AfD damit attraktiv für nationalkonservative Milieus, die noch an die Union gebunden sind, wird, ist natürlich offen: CDU/CSU sind ja im Zweifel keine Gesinnungs- sondern Machtparteien – doch an die Tröge des politisch bestimmenden Einflusses werden AfD-Leute nicht so rasch gelangen.
Keine Strategie
Verblüffend ist nur, dass die AfD nach Petrys Geschmack offenbar, anders als Lucke und FreundInnen, keinen Sinn für strategische Überlegungen hat.
Eine Partei wie der Front National in Frankreich kennt keine grundsätzliche oder bekennde Scheu vor Homosexuellen, hat kaum, so es nützt, Berührungsängste mit (freilich, das ist die Voraussetzung, erfolgreich etablierten) Einwanderern.
Ebenso wenig wie die Partei, für die Geert Wilders in den Niederlanden steht oder der Vlaamse Belang in den Niederlanden, die FPÖ in Österreich, die Dänische Volkspartei, die Schwedendemokraten, die Wahren Finnen oder die Lega Nord in Italien.
Es sind, was das liberal-rechtsstaatliche gesinnte Zusammenleben anbetrifft, gefährliche Parteien – aber sie sind, anders als bei ihren Gründungen, nur noch selten offen antimultikulturell oder homophob.
Rasender Furor der Anti-Europäer
Sie wollen zwar die Privilegien der heterosexuellen Ehe bewahren, haben aber nichts gegen homosexuelle Partnerschaften. Sie haben kaum etwas gegen BürgerInnen mit erfolgreicher Einwanderungsgeschichte, gleichwohl wollen sie keine Migration fördern, keine weiteren Flüchtlinge integrieren oder wenigstens ihnen aus humanitären Gründen ein Bleiberecht einräumen.
Sie haben etwas gegen die Armut der Ankommenden – und glauben durch die Bank, dass Europa nie islamischen Einflüssen gegenüber geöffnet sein sollte. Im Zweifelsfall sind sie xenophob – und jedem kriminell ausländerfeindlichem Mob gegenüber wenig verurteilend.
Die AfD hat hier, wenn man so will, starken Lernbedarf.
Was sich bei dieser Partei sammelt, ist der rasende Furor jener Zirkel und Nachbarschaften, Milieus und Gesinnungskleingärten, die sich mit einem modernen Europa nicht anfreunden wollen. Nicht mit Diversifikation, Vermischung und vitaler Unruhe.
Frauke Petry, vier Kinder, verheiratet mit einem evangelischen Pfarrer, steht für eine Politik der sogenannten Sauberkeit und der Ordnung. Dass Bernd Lucke nun der Verlierer ist, der Mann, der die AfD wollte, um den Euro zu kritisieren, ist die logische Folge einer nationalistischen Marktlücke, in der einer wie er nicht Platz nehmen mag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind