„Professional People“ von Fehler Kuti: All Ausländer Go To Heaven

Fehler Kutis Album „Professional People“ mischt Jazz, Soul und Postpunk. Er besingt Herkunft und Klasse – und denkt darüber in einem Buch nach.

Fehler Kuti auf der Bühne umringt von seiner Band Die Polizei

Fehler Kuti, hier mit seiner Band Die Polizei Foto: Julian Baumann

Achtung! „Ihr werdet diese Musik nicht auf eurer hippen Post-Pandemie-Party spielen! Sie wird nicht gut ankommen bei euren woken Freunden.“ So warnt Fehler Kuti im Begleitschreiben vor dem Genuss seines neuen Albums. Dabei ist er selber woke. „Wir sind woke Yuppies“, sagt er im Gespräch. Aufklärung folgt.

Es ist nicht einfach mit Fehler Kuti, eher mehrfach. Unter seinem Geburtsnamen Julian Warner hat er gerade das Buch „After Europe – Beiträge zur dekolonialen Kritik“ veröffentlicht, als Fehler Kuti das Album „Professional People“. Das sei keineswegs der „Sound der Dekolonisierung“, den ein Kritiker beim Fehler-Kuti-Debütalbum gehört haben wollte. Und keine Feier der Black-Lives-Matter-Kämpfe.

Aber was dann? Man könnte jetzt Entwarnung geben. Ja, die Musik funktioniere auch ohne Überbau, ohne die politischen (Sub-)Texte, ohne das Buch zum Album. Aber stimmt das und wenn ja, wäre das gut? Nein, die Musik von Fehler Kuti ist nicht zu haben ohne die Begleitmusik und je mehr du davon kapierst, desto größer der Genuss.

Einflussangstfreier Typ

Aber vielleicht doch noch ein Quantum Trost im Algorithmen-Modus: If you like Barry White, Neu!, Shuggie Otis, Fehlfarben, William De Vaughn und Helge Schneider, und if you dir vorstellen kannst, dass ein ein­fluss­angst­freier Typ wie Fehler Kuti mit einer versierten Band aus der Münchner Notwist-Blase einen derart gemischten Referenzsalat in einen suggestiven Soundvoodoo verwandeln kann, dann you might like „Professional People“. Hilfreich auch: keine Abwehr gegen, sondern ein Faible für Denglisch bei Songtiteln wie: „All Ausländer Go To Heaven“, oder „The Price Of Teilhabe“.

Denglisch ist auch Julian Warner selbst. Aufgewachsen am Niederrhein als Sohn britischer Soldat:innen, deren Vorfahren aus den ehemaligen Kolonien kamen. In „After Europe“ beschreibt er eine Identitätsfindung, die andere ihm abnahmen: „Als ich 1985 in Deutschland zur Welt kam, war ich ein Ausländer, 2005 wurde ich zum Mitbürger mit Migrationshintergrund, 2010 dann postmigrantisch, 2012 Schwarz, jetzt bin ich wohl BIPoC. Wie viele andere auch unterziehe ich mich verschiedensten kulturinstitutionellen und polizeilichen Anrufungen und Prüfungen.“

Fehler Kuti: „Professional People“ (Alien Transistor/Morr Music)

Julian Warner (Hg.): „After Europe. Beiträge zur dekolonialen Kritik“. Verbrecher Verlag, Berlin, 104 Seiten, 12 Euro

Polizeiliche Anrufungen in Gestalt von Racial Profiling erlebt Warner reichlich und thematisiert sie auf dem Fehler-Kuti-Debüt mit dem sprechenden Titel „Schland is the place for me“. Der Nachfolger „Professional People“ beginnt mit einem Blaskapellen-Mantra. Seine bühnengeschulte Stimme – ja, Thea­ter macht er auch – croont: „One, two, three, four, five, six, seven“, aus dem Hintergrund drängt ein Chor aus Uhhhs nach vorne, dann reimt sich auf seven: „All Ausländer Go To Heaven“.

Denglisch geht’s weiter mit einem DAF-artigen Stakkato, zu dem die Vocoder-verfremdete Stimme 41-mal den Songtitel skandiert: „Deutsche Pässe, Deutsche Pässe, Deutsche Pässe …“ bevor sie ins Englische wechselt: „Your brother wants one (einen deutschen Pass), your sister got one, but it won’t save them if there’s no such thing as society“.

Gesellschaft gibt es nicht! Mit Margaret Thatchers Evergreen aus dem Katechismus des Neoliberalismus erklärt Fehler Kuti die beschränkte Schutzfunktion eines Personalausweises für den Fall, dass seine Be­sit­ze­r:in nicht so aussieht, wie sich schlagkräftige Vollstrecker des urdeutschen Volkswillens das vorstellen. Dass der deutsche Pass nicht vor Ärger schützt, das wusste das Heidelberger HipHop-Trio Advanced Chemistry schon 1992.

Der Ausweis hat mittlerweile eine neue Farbe: „Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf Dies bedingt, dass ich mir oft die Haare rauf / Jetzt mal ohne Spaß: Arger hab ich zuhauf / Obwohl ich langsam Auto fahre und niemals sauf“, rappten damals Advanced Chemistry, Deutsche mit Vorfahren aus Ghana, Haiti und Italien, heute ist ihr Song „Fremd im eigenen Land“ Unterrichtsstoff in Gymnasien.

Solche Geschichten laufen bei Fehler Kuti im Hintergrund mit. Am Horizont grüßt Brechts episches Theater, auch Die Goldenen Zitronen und ihre Songs, wie etwa „80 Millionen Hooligans“. Aber Warner wehrt sich nicht nur gegen polizeiliche Anrufungen, sondern auch gegen die gutgemeinte Reduzierung seiner Künstlerpersona auf einen Antirassismus, der ihm nach dieser Zuschreibungslogik in Haut und Haar eingebrannt ist. Und gegen linke Afroamerikanophilie.

Deutsche Rezeption von Black Lives Matter

Die sieht Warner bei der deutschen Rezeption von Black Lives Matter und fragt nach dem Anschlag von Hanau: „Warum bringt unsere Gesellschaft den eigenen Mit­bür­ge­r*in­nen mit kurdischen, türkischen, bulgarischen, bosnischen, afghanischen Migrationshintergründen oder Angehörigen der Roma und Sinti nicht die gleiche Empathie und Solidarität entgegen?“ Die Diagnose ­Zweiklassensolidarität klingt plausibel: Hier die funky Black Folks, dort die Popfernen aus dem Osten.

Aber ist Warners Frage nicht auch wohlfeil? Ist nicht gerade eine popistische Afroamerikanophilie die Triebfeder von Black Lives Matter? Wenn nun der BIPoC Warner fragt, warum Leuten mit kurdischen, türkischen, bosnischen Migrationshintergründen weniger Empathie erfahren, ignoriert er da nicht seine eigene Popsozialisation? Der Weg zum neuen Fehler-Kuti-Album ist gepflastert mit Namen wie Barry White, Neu!, Shuggie Otis, Fehlfarben usw., für kurdisch, türkisch und afghanisch ist im deutschen Pop-Medienraum kein Platz.

Also, Julian Warner? „Wenn ich darauf hinweise, dass die Black-Lives-Matter-Bewegung in Deutschland über Afroamerikanophilie funktioniert, meine ich nicht, dass wir uns dem türkischen, syrischen oder rumänischen Liedgut annähern müssen. Im Gegenteil. Es gibt gute Gründe für Afroamerikanophilie. In Deutschland ist Pop der kulturelle Ausweg aus dem Völkischen und aus dem Essenzialismus. Aber anscheinend kann man diese Befreiung des biodeutschen Selbst nur bewerkstelligen über die Essenzialisierung eines anderen, in diesem Fall: Afro­ame­ri­ka­ne­r:in­nen und ihr Leiden.“

Blut auf dem Gemüse

Also kontert Fehler Kuti die Verklärung von Race mit der Politisierung von Class. Er besingt osteuropäische Tagelöhner, deren Blut am Lieblingsgemüse des deutschen Wohlstandsbürgertums klebt: „In Every City, In Every Aldi The Blood Of My Brothers And Sisters Taints Your Spargel“. „Proposal for worker’s anthem at DMU2 Daglfing“ führt uns in ein Logistikzentrum von Amazon im Münchner Osten, vor dem sich Lieferwagen der Subunternehmer stauen, was Alteingesessenen missfällt. „Subunternehmer sind das unterste Glied in der Kette“, sagt Warner und widmet sich den unbesungenen Bro­thers and Sisters der modernen Arbeitswelt, ohne die kein Warenstrom fließt.

Die Falle, dass hier auf die paternalistische Tour neue revolutionäre Subjekte verklärt werden, umschifft der 35-Jährige, indem er seine musikalischen Freiheiten ausschöpft, groovy V-Effekte einbaut und auf Brecht vertraut: „Glotzt nicht so romantisch!“ Wobei sein Versuch, dem Horror von Hanau mit narrativer Empathie zu begegnen, nicht ohne projektive Romantisierung auskommt. „Automobile Love“ mit seiner kastriertephilosophenhaften Tribal Goth Mood ist „der Versuch, ich sage jetzt mal ganz blöd, die postmigrantischen BMW-3er-Prolls in Hanau zu besingen, die weich zu zeichnen, also diesen kanakischen Körper in so ein, na ja, Begehren zu ziehen oder eine Empathie“, sagt Warner, sich rantastend.

Rantasten ist ein Modus Vivendi im Warner-Sprech (und mitunter seiner Musik), tastend kommen auch steile Thesen besser an: „Ich wollte über diese neue Bourgeoisie of Color sprechen, der ich selbst angehöre.“ Die „Professional People“, das sind „wir People of Color, die wir jetzt Eingang in die Institutionen erhalten haben. Wir sind woke Yuppies.“

Julian Warner zählt sich zur prekären Elite: Kulturell, politisch, ästhetisch versierte Leute, die sich von Lehrauftrag zu Zeitvertrag zu Ku­ra­to­r:in­nen­job hangeln und dabei auch mal von ihrer migrantischen Biografie profitieren. „Was wir in Deutschland Dekolonisierung oder Diversity nennen, ist jetzt ein Markt geworden. So stabilisieren diese Inhalte nur die Verhältnisse. Wenn ich singe,If I ever enter history, what will the west have in store for me?', dann denke ich an meine Eltern, die aus den Kolonien in den Westen kamen. Das ist für mich die Essenz des bürgerlichen POCs. Ich will damit einen Widerspruch aufzeigen.“

Nicht der einzige. „Natürlich ist es fortschrittlich, für die Teilhabe von rassistisch marginalisierten Menschen einzutreten. Aber wenn diese Menschen Teil der Nation werden, verändern sich nicht die Verhältnisse. Der britische Premierminister Boris Johnson hat ein ultradiverses Kabinett, aber das macht rechte Politik. Und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet war der erste deutsche Integrationsminister. Also gibt es einen konservativen Antirassismus oder aus der Sicht der People of Color gesagt: Es gibt ein Begehren, auch privilegiert zu sein, und das ist was anderes als ein Begehren, die Verhältnisse zu verändern.“ Fehler Kuti, King of ­Widersprüche.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.