Probleme bei der Lebensmittelindustrie: Mit freundlichem Wegschauen
Die Nahrungsmittelindustrie weist viele Missstände auf. Doch die deutsche Politik lässt auf wirksame Regeln warten.
U nnötige Nahrungsergänzungsmittel, die viel zu viel Vitamine oder Mineralstoffe enthalten und auch noch speziell für Kinder vermarktet werden – vor diesem absurden Auswuchs der Nahrungsmittelindustrie haben Verbraucherschützer:innen am Mittwoch gewarnt. Doch die Liste der Missstände ist noch viel länger: Die Bedingungen, unter denen die meisten Nutztiere gehalten werden, sind erschreckend.
Hochverarbeitete Lebensmittel sind häufig billiger als frische Waren. Hersteller werben mit irreführenden Slogans für angebliche Gesundheitsvorteile. Die Vielfalt an Zusatz- und Farbstoffen ist derart groß, dass Menschen ohne Chemie-Vorbildung leicht den Überblick verlieren. Und der Nutri-Score, der mit seinen Ampelfarben angeblich Orientierung bei der Produktauswahl bieten soll, stiftet mangels Transparenz und Vergleichbarkeit eher Verwirrung.
Und die Politik? Traut sich nicht, grundsätzliche Schritte zu gehen. Dabei könnte sie einiges tun: zum Beispiel stark zuckerhaltige Lebensmittel extra besteuern. Oder die Mehrwertsteuersätze mal grundsätzlich neu sortieren – und zwar entlang aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse dazu, was in Sachen Ernährung, Tier- und Klimaschutz eigentlich sinnvoll ist und was eher nicht.
Sogar der Bürgerrat Ernährung, bei dem eine Gruppe von zufällig ausgewählten Menschen unter wissenschaftlicher Beratung Empfehlungen ausarbeitete, sprach sich für eine solche Reform aus. Doch die zuständigen Politiker:innen zögern stets. Und begründen ihre Zurückhaltung gerne damit, dass man ja nicht in den freien Markt eingreifen und die Mündigkeit der Verbraucher:innen beschränken wolle.
Als ob die aktuellen Regeln keine Lenkungswirkung hätten. Im Gegenteil, die haben sie – nur leider nicht zum Vorteil der Verbraucher:innen. Stattdessen darf noch eine ganz andere Branche profitieren: die Pharmaindustrie. Mit Medikamenten wie den Abnehm- und Diabetesspritzen Wegovy und Ozempic reagiert sie auf das, was die Nahrungsmittelindustrie mit freundlichem Wegschauen der Politik kaputtmacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Negative Preise für Solarstrom
Stromverbrauch vom Steuerzahler subventioniert
Abkehr von feministischer Außenpolitik
Wadephul justiert sein Haus neu
Generationen
Der Mythos vom Konflikt
Razzia in Frauenhaus
Lebensgefahr durch Behördenfehler
Auf der Suche nach Mehrheiten
Wie kann man Klimapolitik wiederbeleben?
Petersburger Dialog im Geheimen
Stegner verteidigt Gesprächskontakte nach Russland