Pro-Palästina-Bewegung gegen Joe Biden: Politischer Irrsinn
Wähler*innen der Demokraten haben bei den US-Vorwahlen in Michigan „unentschieden“ angekreuzt. Damit entschieden sie indirekt gegen sich selbst.
E s ist ein gelungener PR-Move der Pro-Palästina-Bewegung in den USA – aber es ist auch ein Spiel mit dem Feuer. Über 100.000 Wähler*innen der Demokratischen Partei haben bei den Vorwahlen im Bundesstaat Michigan am Dienstag nicht für Präsident Joe Biden gestimmt, sondern ihr Kreuz bei „uncommitted“ gemacht – unentschlossen. Vorausgegangen war eine wochenlange Kampagne, die zu ebendieser Stimmabgabe aufrief, um an der Wahlurne gegen Bidens anhaltende Unterstützung Israels in seinem Militärfeldzug gegen Hamas nach dem Massaker des 7. Oktober des vergangenen Jahres zu protestieren. Biden müsse sich ihre Stimme erst durch eine radikale Änderung seiner Israel-Politik verdienen, hieß es in Aufrufen.
Das ist einerseits ein vollkommen legitimes Mittel des Protestes innerhalb eines Vorwahlprozesses zur Kandidatenkür, der mangels Alternative wenig Artikulationsmöglichkeiten bietet. Und andererseits ist allein die Drohung von linken und erst recht pro-palästinensischen Aktivist*innen, im November Biden ihre Stimme zu versagen und damit womöglich Donald Trumps zum Sieg zu verhelfen, der blanke politische Irrsinn. Es war Trump, der die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegte, der Israels Premier Netanjahu zu immer mehr Siedlungsbau ermutigte und gar 2020 einen sogenannten Friedensplan vorlegte, der die Annexion großer Teile des Westjordanlandes durch Israel vorsah.
Ob also die implizite Drohung, Biden riskiere seine Wiederwahl, wenn er nicht mit der einseitigen Unterstützung der israelischen Regierung aufhöre, wirklich ernstzunehmen ist, kann bezweifelt werden. Aber: Wenn die US-Demokrat*innen eines aus ihrer eigenen Geschichte von Wahlniederlagen gelernt haben sollten, dann das: Immer, wenn sie glauben, eine bestimmte Wähler*innengruppe ohnehin fest in der Tasche zu haben, erleben sie eine böse Überraschung. Insofern steckt in der Protestwahl vom Dienstag eine Gefahr – aber auch eine Chance. Denn jetzt ist das Thema klar sichtbar geworden, und noch sind einige Monate Zeit, sich darum zu kümmern.
Ein radikaler Kurswechsel allerdings, etwa die Aufkündigung der diplomatischen Unterstützung Israels im UN-Sicherheitsrat, würde im Hinblick auf die Novemberwahl ebenfalls Gefahr bedeuten: Nichts braucht Biden weniger, als selbst noch einen Mobilisierungsschub für die pro-israelischen rechten Evangelikalen für Trump zu bewirken und gleichzeitig die Unterstützung pro-israelischer jüdischer Wähler*innenkreise zu verlieren.
Das personelle Ergebnis der Vorwahlen mag feststehen – politisch aber bleibt es spannend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“