piwik no script img

Pro Asyl über den Flüchtlingsdeal„Keine europäische Lösung“

EU und Türkei haben sich in Brüssel auf ein Flüchtlingsabkommen geeinigt. Menschenrechtler und Asyl-Aktivisten sind empört.

Hier ist bald Endstation: Flüchtlinge auf der Ägäis Foto: dpa
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Wer als Flüchtling in der Türkei landet, ist dem Krieg entronnen und erst mal in Sicherheit. Nach dem Willen der EU sollen Flüchtlinge deshalb dort bleiben. Was ist dagegen einzuwenden?

Karl Kopp: Bei aller Wertschätzung für die Türkei bezogen auf die Flüchtlingsaufnahme: Sie ist kein sicheres Drittland. Man versucht jetzt, Flüchtlinge in einem Hauruck-Verfahren in ein unsicheres Land zurückzuschaffen. Das ist keine europäische Lösung. Das ist ein Outsourcing-Programm und damit wird das individuelle Asylrecht untergepflügt.

Untergepflügt? Die EU möchte doch, dass Griechenland die Asylanträge individuell prüft. Das Ergebnis wäre eben meistens, dass der Flüchtling in der Türkei in Sicherheit wäre und deshalb zurück muss.

Kein Schutzsuchender darf irgendwo abgeladen werden, wo er einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wird. Flüchtlinge sind dieser Gefahr in der Türkei ausgesetzt, das belegen dokumentierte Fälle von Abschiebungen in den Irak oder nach Syrien. Wir werden auf die Sicherheit von Flüchtlingen bestehen und solche Fälle vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.

Pro Asyl
Im Interview: Karl Kopp

Karl Kopp ist Europareferent bei Pro Asyl und vertritt die Organisation im Europöischen Flüchtlingsrat ECRE.

Die EU fordert von der Türkei, die Sicherheit von Flüchtlingen in Zukunft zu garantieren. Wenn Ankara das macht: Was sollen europäische Gerichte noch einwenden?

Läge Frankfurt am Mittelmeer, würde ich jeden Tag schwimmen gehen. Flüchtlinge haben in der Türkei keine menschenwürdige Unterbringung und keinen Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren. Dieser Deal hat nichts mit Flüchtlingsschutz zu tun, sondern ausschließlich mit Abwehr und Abschreckung.

Ohne den Deal würden sich Flüchtlinge weiterhin in Griechenland stauen, ohne weiter nach Norden zu können. Wäre das besser?

Von dem Gipfel geht kein positives Signal an die Flüchtlinge von Idomeni oder Athen aus. Für die gibt es keine neuen legalen Wege. Das ganze Programm soll angeblich die Schlepper bekämpfen, ist für die aber in Wahrheit ein Freudenfest: Weil die Ägäis und die Balkanroute dicht sind, müssen Schutzsuchende noch mehr Geld investieren, um nach Zentraleuropa zu kommen. Das Sterben wird weitergehen.

Trotzdem: Ohne den Türkei-Deal würden in Zukunft noch mehr Flüchtlinge in Griechenland festsitzen. Wäre das besser?

Man löst die sogenannte Flüchtlingskrise doch nicht, in dem man niemanden mehr reinlässt. Die Krisen in der Welt eskalieren schließlich weiter. Wer die europäischen Werte als Verantwortlicher ernst nimmt, würde sich also hinstellen und sagen: Wir müssen uns darauf einstellen, weiterhin Schutzsuchende aufzunehmen und werden deshalb legale Einreisewege öffnen. Das Abkommen ist das glatte Gegenteil davon: eine Delegation der Verantwortung an den neuen Flüchtlingskommissar der EU, an Herrn Erdogan.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ja Stroheker, so könnte man das machen. Die UNO ist allerdings finanziell ziemlich am Ende, spez. das Flüchtlingskommitee und es schert sich auch niemand drum. Schade... Europa hätte tatsächlich prima sein können, die Idee war gut. Was in den letzten Jahren geschehen ist, macht aber klar, dass es tatsächlich "nur" so eine Art ausgeweiteter Lions-Club ist.

  • Fortsetzung:

    In den Flüchtlingsdörfern sind auch Büros von Botschaften, die im umkämpften Staat ihren Sitz haben bzw. vor dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen hatten, einzurichten. Dort werden - nach den Asylbestimmungen des jeweiligen Landes, dessen Botschaft dort aktiv ist/war, der Genfer Flüchtlingskonvention und anderer einschlägiger Bestimmungen - die gestellten Asylanträge geprüft; die Asylbewerber, die einen "nicht offensichtlich unbegründeten" Antrag gestellt haben, werden in jenes Land, bei dessen Botschaftsbüro sie den Antrag gestellt haben, ausgeflogen.

     

    Im aufnehmenden Land kann eine sofortige Anerkennung (mit allen Folgen wie bspw. Aufenthalts- u. Bleiberecht usw.) ausgesprochen oder der Asylantrag nochmal geprüft werden. Die Menschen, deren Antrag nochmals geprüft wird, werden gemeinsam in zentralen Asyl-Unterkünften untergebracht, bis ihr Antrag final geprüft wurde. Abgelehnte Bewerber werden in das UNO-Flüchtlingsquartier zurück gebracht.

     

    So, oder so ähnlich, könnte es - nach meiner Meinung: besser als bisher - geregelt werden, ohne Abschottung, ohne fraglichen Türkei- und sonstigen Deal.

  • Natürlich löst man die sogenannte Flüchtlingskrise nicht, in dem man niemanden mehr reinlässt; löst man sie aber, in dem man sie zwar reinlässt und sie dann in Europa - in unwürdiger Art und Weise - hin- und hergeschoben werden so lange bis jedes EU-Land endlich seine Unterbringungs- u. Versorgungsquote erfüllt hat?

     

    Meiner Meinung nach muss der Hohe Flüchtlingskommissar der UNO finanziell und personell massiv aufgerüstet werden.

     

    Kommt es in einem Staat zu einem Bürgerkrieg oder zu anderen Ursachen, die eine Flucht begründen, so würde der UNHCR verantwortlich dafür, entweder in einem befriedeten Teil dieses Landes oder aber in Nachbarstaaten Flüchtlingsunterkünfte und die Versorgung der Geflüchteten mit ausreichender Nahrung, mit angemessener Gesundheitsvorsorge und angemessener Krankenversorgung, mit "passender" Bildung usw. sicher zu stellen. Diese Flüchtlingsdörfer sind natürlich auch mit entsprechender Polizei- und Militärmacht zu schützen (sie werden von der UNO betrieben, sind also exterritoriales Gebiet).

    • @Der Allgäuer:

      hübsch.

      Sie entwerfen den beginn des UN-weltstaates.

      nix dagegen.

      zumal es dann für alle die, welche ihre besorgten eier-mitbürger nicht mehr ertragen können, eine adresse gäbe, wo sie asyl beantragen könnten.