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Pro & Contra Asyl im OstenWohin mit den Heimen?

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker und Martin Reeh

Darf man angesichts der eskalierenden Gewalt noch Asylsuchende in den Osten Deutschlands schicken? Ein Pro & Contra.

Der Bürger informiert sich: Ein Mann guckt in Heidenau hinter den Absperrzaun zu einer Flüchtlingsunterkunft Foto: dpa

J a, darf man, sagt Martin Reeh:

Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut. Das gilt auch für die Aktivisten, die die Verlegung von Flüchtlingen von Leipzig-Connewitz nach Heidenau blockiert haben. Den Nazis und den „besorgten Bürgern“ von Heidenau dürfte die Aktion in die Hände gespielt haben.

Man muss an Hoyerswerda 1991 erinnern, um zu verstehen, warum eine solche Aktion falsch ist. Nach tagelangen Krawallen räumte die Polizei damals zur Freude von Anwohnern und Rechtsextremisten die Flüchtlingsunterkunft. Die sächsische Stadt wurde für Nazis zum Symbol: Was hier geht, geht auch anderswo. Im Jahr danach tobte der Mob in Rostock-Lichtenhagen, nur durch Zufall gab es dabei keine Toten. Bei Brandanschlägen auf Wohnhäuser in Mölln und Solingen starben acht Menschen.

Es gibt in Deutschland keine absolut sicheren Flüchtlingsunterkünfte. Das ist bitter, aber kurzfristig nicht zu ändern. Heidenau ist auch kein Einzelfall: Überall in Sachsen haben im letzten Jahr „Nein zum Heim“-Initiativen demonstriert. Wird Heidenau flüchtlingsfrei, stehen die „besorgten Bürger“ morgen im Erzgebirge wieder vor den Heimen. Und würden die Flüchtlinge um ganz Sachsen – vielleicht mit Ausnahme von Leipzig-Connewitz – einen Bogen machen, demonstriert der rechte Mob bald jubelnd in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – und vermutlich auch im Westen Deutschlands.

Connewitz, Berlin-Kreuzberg oder Freiburg-Vauban sind nicht groß genug, um die für dieses Jahr erwarteten 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Es geht daher nicht anders: Menschen, die möglicherweise traumatisiert sind vom Krieg in Syrien oder Libyen oder ihrer Flucht, müssen zumindest vorübergehend in Orten wie Heidenau untergebracht werden. Wer Deutschland sicherer für Flüchtlinge machen will, darf Nazis nicht durch die Kapitulation vor ihnen ermutigen. Das scheinen die sächsischen Behörden – und mit deutlichen Abstrichen auch die Polizei – aus Hoyerswerda gelernt zu haben. Ausgerechnet die Leipziger Flüchtlingsaktivisten treten nun den Rückwärtsgang an.

Nein, darf man nicht, sagt Pascal Beucker:

Der Staat hat dem gewalttätigen rassistischen Mob mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln entschlossen entgegenzutreten. Und: Er darf auf keinen Fall den Neonazis und anderen „besorgten Bürgern“ den Erfolg bescheren, die Aufnahme von Geflüchteten in ihrer Gegend verhindert zu haben. Zwei Sätze, die eine Selbstverständlichkeit sein sollten, ja sein müssen. Aber: Trotzdem haben Flüchtlinge, die – wie am Montag in Leipzig geschehen – sich dagegen wehren, in eine Gemeinde wie Heidenau verlegt zu werden, alle Unterstützung verdient. Ein Widerspruch? Eine Frage der Perspektive. Und ein Dilemma.

Auch wenn es ein gemeinsames Interesse sein muss, dass dem „Pack“ (Gabriel) keinerlei Raum gegeben wird, darf das nicht zu einer staatlichen Instrumentalisierung der Menschen führen, die Not und Elend nach Deutschland gebracht hat. Es ist zynisch, Geflüchtete gegen ihren Willen zu Werkzeugen zur Durchsetzung der Staatsräson zu machen. Sie haben ein Recht darauf, in der Bundesrepublik ohne Bedrohungen zu leben und zur Ruhe zu kommen. Dazu reicht es jedoch nicht, ein Flüchtlingsheim wie eine hermetische Festung zu sichern. Denn das macht es de facto zu einem Gefängnis. Damit würden die Falschen eingesperrt.

So unzumutbar die Lebensbedingungen in vielen Notunterkünften ohnehin sind: Geflüchtete sollten wenigstens die Möglichkeit haben, sich in der jeweiligen Ortschaft frei zu bewegen – ohne die Angst haben zu müssen, an der nächsten Ecke beschimpft, bespuckt oder tätlich angegriffen zu werden. Das lässt sich jedoch in bestimmten Regionen, nicht nur, aber besonders in Sachsen immer noch nicht gewährleisten.

Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Pogrom von Hoyerswerda kommen solche Zustände einem Offenbarungseid gleich. Aber dieses Staatsversagen darf nicht auf Kosten der Geflüchteten gehen: Sie können zu Recht verlangen, dass in solchen unwirtlichen Gegenden endlich erst einmal zivilisatorische Grundstandards durchgesetzt werden, bevor sie dort untergebracht werden.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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7 Kommentare

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  • pro und contra, klar nur:

     

    Nach den Ereignissen in Heidenau war es in Leipzig am Montag ein Schock zu erfahren, dass Menschen aus meiner direkten Nachbarschaft an diesen Ort gebracht werden sollten, der seit Tagen die Medien beherrschte.

    Es war und bleibt gefühlsmässig und auch politisch ein absolutes No Go, da wegzugucken.

    Innerhalb kürzester Zeit nach Ankunft der Geflüchteten kamen gemeinschaftliche Freizeitangebote aus der Nachbarschaft, die von den Menschen gerne angenommen wurden. Es waren keine anonymen Geflüchteten mehr.

     

    So ging es gar nicht anders, als die Geflüchteten in ihrem Wunsch, in Connewitz bleiben zu dürfen, zu unterstützen. Dabei geht es um ihre Sicherheit, ihreSelbstbestimmung, um ihre Würde.

     

    Das Argument, den Rechten damit zugespielt zu haben enthebt die Politik ihrer Verantwortung, wirklich etwas aus der Geschichte und den Pogromen der 90ger Jahre lernen zu müssen.

     

    Die Konsequenz darf nicht sein, Geflüchtete aus der eigenen Angst vor rechter Gewalt zu "Kanonenfutter" zu machen.

  • Der Sänger Campino (Die Toten Hosen), der mit bürgerlichem Namen Andreas Frege heißt, hat in einem Interview mit der "Aargauer Zeitung" offensiv zum Widerstand gegen Fremdenhass und Flüchtlingshetze aufgerufen: "Dieser Hass kann zur Mainstream-Gesinnung werden. Sprüche, die bisher tabu waren, werden plötzlich gesellschaftsfähig, ohne dass jemand aufschreit. Da muss die Gesellschaft dagegenhalten. Man muss es sich im Supermarkt nicht mit ansehen, wenn einer runtergemacht wird, nur weil er nicht von hier ist."

  • Darf man angesichts der eskalierenden Gewalt überhaupt noch Asylsuchende in den Osten Deutschlands schicken?

     

    Viele unserer Brüder und Schwestern im Osten waren früher selbst Flüchtlinge. Es ist einfach unverständlich, woher und warum dieser rechte Widerstand nähmlich im Osten kommt.

  • Von der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 bis in den Juni 1990 verließen über 3,8 Millionen Menschen den Staat, davon viele illegal und unter großer Gefahr. Ich erinnere mich noch sehr gut an die über Ungarn flüchtenden DDR-Bürger. Müsste man da von den Menschen im Osten der Republik besonders große Empathie mit Flüchtlingen erwarten, die heute in unser Land strömen?

    • 2G
      23879 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Wie kommen Sie darauf? Ihre Vermutung ist unlogisch. Die, die dort wohnen, sind eben nicht geflüchtet sondern trotz der Widrigkeiten dort geblieben - wenn man Leuten wie Knabe glaubt, sogar trotz Folter und Sklaverei. Warum sollen Leute, die trotz Knechtschaft und widriger wirtschaftlicher Verhältnisse nicht geflüchtet oder abgewandert sind mehr Empathie für Flüchtlinge aufbringen - insbesondere für solche aus den Balkanstaaten, deren Chancen gleich Null sind, hier Asyl zu erhalten?

  • Es wäre ja ganz einfach:

    Flüchtlinge gemeinsam mit ausreicheden finanziellen Mitteln (z.B. aus dem Soli, anstatt das Geld nach Sachsen zu schaufeln) in die Kommunen, die das möchten.

     

    Mit ordentlichen Voraussetzungen profitiert eine Gemeinde in vielerlei Hinsicht von den Neuankömmlingen. Allen wäre geholfen. Außer Sachsen, aber - wen kümmert das?

    • @uli moll:

      Mich zum Beispiel. Ich wohne nämlich in Sachsen und habe keine Lust das die Nazis ihrer absurden und menschenverachtenden Idee mit einer national befreiten Zone damit einen Schritt näher kommen.

      Von mir aus nehmt Geld aus dem Soli, baut dort wo die Leute es nicht wollen Gebäude die den gleichen Schutz bieten wie Botschaften. Sollen die Nazis und „besorgten Bürger“ mal sehen wie es aussieht wenn der Staat Gewalt gegen einen ausübt. Und wenn diese in dem Fall dann auch nur aus Mauern und Polizisten besteht die Idioten davon abhalten Brandanschläge zu verüben

      Und dort wo Flüchtlinge willkommen sind, diese Kommunen sollten wie Sie schon sagten Geld erhalten.