Privatisierung des Fußballs: Kind macht Rückzieher

Nach jahrelangem Streit bei Hannover 96 hat Martin Kind den Antrag für eine Ausnahmeregelung von der 50+1-Regel zurückgezogen. Bisher ohne Erklärung.

Ein Reporter interviewt Martin Kind.

Die Fans wollen Kind (l.) schon seit Jahren loswerden: hier bei einem Spiel 2017 Foto: dpa

HANNOVER taz | Sein Rückzieher wirft jede Menge Fragen auf. Warum bloß gibt Martin Kind, der unbeliebte Vorstandsvorsitzende von Hannover 96, klein bei? Wieso hat er kein Interesse mehr daran, für sich und seinen Verein eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel zu erstreiten?

Die im deutschen Profifußball geltende Regel begrenzt den Einfluss externer Investoren und schützt die Mitbestimmungsrechte der Vereinsmitglieder. Kind hat als langjähriger Präsident, Mäzen und Hauptgesellschafter von Hannover 96 über Jahre darum gekämpft, dass die Kapitalseite an Macht gewinnt und nicht mehr darauf hören muss, was die Mitglieder wollen. Dafür ist er angefeindet und beleidigt worden. Lange Zeit hatte ihn das nur noch angriffslustiger gemacht. Dass das Gezeter nun ein Ende gefunden hat, ist nach all dem Zoff kaum zu glauben.

Keine Stellungnahme, keine Erklärung, kein neuer Weg: Es wird gute Gründe haben, dass Kind zu seinem überraschenden Entschluss schon seit einer Woche schweigt. Einerseits soll nach dem Abstieg aus der 1. Bundesliga nicht auch gleich noch die Spielzeit 2019/20 durch das Reizthema 50+1 belastet werden. Hannover 96 müht sich um sportlich bessere Zeiten.

Im ersten Heimspiel der neuen Saison gelang am Samstag zumindest ein 1:1 gegen Jahn Regensburg. Die Mehrheit der 28.000 Zuschauer im Stadion am Maschsee konzentrierte sich gut gelaunt auf den Sport und blieb vom ewigen 50+1-Theater verschont. Eine solche Gemengelage kann bereits als Erfolg für einen innerlich zerstrittenen Verein bezeichnet werden.

Es wird wieder geredet

Hinter den Kulissen von Hannover 96 wird offenbar wieder miteinander gesprochen und nach einer Lösung gesucht. Kind hat weiterhin in der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die den Profisport verantwortet, das Sagen. Sebastian Kramer wiederum, sein Nachfolger an der Spitze des eigentlichen Sportvereins Hannover 96, kämpft um ein Mitspracherecht des Stammvereins.

Er führt eine breite Opposition an, die sich mit der Machtfülle von Kind und dessen Verständnis von Vereinsdemokratie nicht abfinden will. Offenbar ist es gemeinsam und mit langem Atem gelungen, Kind zum Umdenken zu bewegen.

Der Streit um die 50+1-Regel geht immer mehr Fußballfans auf die Nerven. Kind versuchte die Ausnahmeregelung im Alleingang zu erzwingen, gegen den Willen vieler Mitglieder. Dass sein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung von der 50+1-Regel, wie sie bereits für den VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und die TSG Hoffenheim gilt, nun zurückgezogen worden ist, macht in Hannover den Weg frei für mehr Ruhe und kon­struktive Gespräche.

Dafür ist es auch höchste Zeit: Dem Breitensportverein Hannover 96 geht es nicht gut. Dass ihm eine Insolvenz drohen könnte, hat der Verein bestätigt. Zwei Abstiege innerhalb von drei Jahren aus der 1. Liga haben das 96-Image beschädigt und der für den Profifußball zuständigen Gesellschaft hohe Verluste beschert. Das bekommt auch der Stammverein zu spüren.

Martin Kind ist angefeindet und beleidigt worden

Die Gründe dafür, warum all der Streit um eine angedachte Aufweichung der 50+1-Regel plötzlich nicht mehr so wichtig erscheint, will Kind in Kürze darlegen. Hoffentlich findet er ein paar gute. Denn nüchtern betrachtet, hat das Hickhack um die Macht bei Hannover 96 dem Verein deutlich mehr geschadet als genutzt.

Mehr als 20 Jahre lang hat sich Kind für die Belange des Klubs engagiert, dabei aber alle Macht Stück für Stück an sich gezogen. Im Alter von 75 Jahren steht er jetzt vor der Frage, was das eigentlich gebracht hat. Sein ursprüngliches Ziel, Hannover 96 zu einer nationalen und internationalen Marke zu entwickeln, ist mit Hilfe sportlicher Höhenflüge nur zwischenzeitlich erreicht worden.

Aktuell geht es eher darum, dem Verein eine neue Perspektive zu geben. Falls Kind wirklich erkannt haben sollte, dass es mit Klagen vor Gericht und Streit mit den Fans einfach nicht vorangeht, wäre eine wichtige Lernkurve zu bejubeln. Ohne Theater um die 50+1-Regel würde es einfach wieder nur darum gehen, dass Hannover 96 als regionale Marke Spaß macht und Erfolg hat.

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