Private Internetnutzung am Arbeitsplatz: Entlassung nicht rechtens
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stärkt mit einem Urteil die Rechte von Arbeitnehmern. Sie dürfen in den meisten Fällen nicht überwacht werden.
Vor zehn Jahren waren die Grenzen noch nicht ganz so fließend. Es war die Zeit der Klapphandys. Der Rumäne Bogdan Barbulescu machte schon damals keinen Unterschied. Über einen Messenger-Dienst, bei dem er sich auf Bitten seines Unternehmens angemeldet hatte, beantwortete er Anfragen von Kunden. Er unterhielt sich aber auch mit der Verlobten und dem Bruder über seine Gesundheit und sein Sexualleben. Für Barbulescu hatte diese verschwommene Grenze die Kündigung zur Folge.
Der Rumäne versuchte zwar, die privaten Unterhaltungen abzustreiten. Aber sein Arbeitgeber hatte mitgeschrieben – 45 Seiten private Chats. Die interne Regel des Unternehmens war klar: „Es ist streng verboten (…) Computer (…) zu privaten Zwecken zu nutzen.“ Nicht so klar war, ob der Mitarbeiter deshalb überwacht werden durfte.
Er durfte es nicht, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag in Straßburg und stellte eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre fest. Wenn Unternehmen die Kommunikation ihrer Mitarbeiter überwachen wollen, müssen sie sich an Regeln halten, heißt es in dem Urteil: So müssen sie über die Möglichkeit und das Ausmaß von Kontrollen vorab informieren. Außerdem brauchen sie einen legitimen Grund dafür und müssen mildere Kontrollmaßnahmen sowie weniger einschneidende Konsequenzen als etwa eine Kündigung prüfen. (Beschwerde-Nr. 61496/08)
Verurteilt wurde damit Rumänien. Als Mitglied des Europarats muss sich aber auch Deutschland an die Vorgaben des Urteils halten, wenn es keine eigene Verurteilung riskieren will.
Kriterien, wie sie der Menschenrechtsgerichtshof nun erstmals formuliert hat, gab es hierzulande bisher nicht in diesem Detail. „In Deutschland gibt es nur eine sehr rudimentäre Regelung des Beschäftigtendatenschutzes“, sagt Rechtsexpertin Marta Böning vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Im Bundesdatenschutzgesetz.“ Darauf baue die Rechtsprechung auf.
Lange geduldet ist eine konkludente Erlaubnis
Danach dürfen Arbeitgeber die private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit verbieten – zum Beispiel ausdrücklich in einem Anhang zum Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Aber: „In vielen Betrieben wird die private Internetnutzung über lange Zeit einfach geduldet“, sagt Böning. „Das ist dann eine konkludente Erlaubnis.“ Ob ausdrücklich oder konkludent: „Es geht immer um eine geringfügige Nutzung, etwa während Pausen oder nach Feierabend“, so die DGB-Expertin. Also kein stundenlanges privates Surfen.
Kontrollen grenzte das Bundesarbeitsgericht im Juli 2017 in einem konkreten Fall ein. Danach dürfen Unternehmen keine verdeckten Spähprogramme einsetzen. Keylogger, die alle Tastatureingaben heimlich protokollieren und Bildschirmfotos schießen, sind für eine Überwachung „ins Blaue hinein“ unzulässig.
Die Verlaufsdaten eines Internetbrowsers dürfen dagegen nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg für Kontrollen und gegebenenfalls eine Kündigung verwendet werden. Höchstrichterlich wurde die Frage noch nicht entschieden. Gibt es einen Betriebsrat, habe dieser bei der Art und Weise der Kontrollen immer mitzubestimmen, sagt Böning.
Am Ende plädiert die Rechtsexpertin zumindest für eine unternehmensinterne Regelung. Gebe es die nicht, „laufen beide Seiten Gefahr, dass es zu Missverständnissen kommt“. Was dabei aus Sicht des Menschenrechtsschutzes zu beachten ist, haben die Straßburger Richter nun vorgegeben – auch für die Zeit nach den Klapphandys.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“