Prime-Serie „The Summer I Turned Pretty“: Der Sommer der Abhängigkeit
Die neue Staffel der Coming-of-Age-Serie „The Summer I Turned Pretty“ lässt wenig Platz für Selbstfindung, dafür viel für patriarchale Beziehungsideale.

Belly will doch nur eins – die große Liebe. Und das um jeden Preis. Dabei hat die Protagonistin der Amazon-Erfolgsserie „The Summer I Turned Pretty“ in den ersten beiden Staffeln schon genug toxischen Liebeswettbewerb und Herzschmerz durchlebt. Ständig musste sie sich entscheiden zwischen dem geheimnisvollen, unerreichbaren Conrad Fisher, in den sie seit ihrer Kindheit unsterblich verliebt ist und seinem jüngeren Bruder Jeremiah Fisher, der ihr Stabilität und bedingungslose Liebe verspricht.
Drei Jahre später, zu Beginn der dritten Staffel, scheint die Entscheidung endgültig gefällt zu sein. Belly und Jeremiah sind ein Paar und die Sommerromantik verlagert sich vom Strandhaus ans College. Wäre das nicht die perfekte Zeit für Belly, endlich mal ihren eigenen Träumen und Interessen zu folgen? Theoretisch schon, praktisch klebt ihr Jeremiah die ganze Zeit an der Backe. Aber das scheint sie nicht zu stören, im Gegenteil: „Jeremiah ist meine Zukunft, er ist der eine.“ Belly eifert dem Ideal der einen großen Liebe nach, die alle Hindernisse überwindet und ihr Leben komplettiert. Dafür stellt sie regelmäßig ihre Beziehung über Freundschaften und eigene Bedürfnisse und verstrickt sich immer tiefer in ein patriarchales Beziehungsideal, in dem die weibliche Selbstaufgabe als Liebesbeweis verklärt wird.
Ein Beispiel: Belly erhält die Zusage für ein Auslandssemester in ihrer Traumstadt Paris. Aber fünf Monate ohne Jeremiah? Sie zögert, lässt sich aber zum Glück von ihren Freundinnen überreden (die trifft sie übrigens sehr sporadisch und oft nur dann, wenn Jeremiah keine Zeit hat). Als sie ihrem Freund die frohe Botschaft überbringen will, liegt der apathisch im Bett, weil er eine wichtige Uni-Mail verpasst hat und deshalb ein Jahr länger studieren muss. Und weil Belly die perfekte Freundin ist, hält sie mit den Good News zurück und tröstet ihn. Paris ist damit erst mal vom Tisch. Denn wenn Jeremiah bleibt, bleibt sie auch – keine Frage!
Subtext: Mit 20 heiraten ist romantisch.
Immer wieder blitzt die Hoffnung auf, dass Belly doch endlich für sich einsteht. Etwa als sie herausfindet, dass ihr sonst so lieber Golden-Retriever-Freund fremdgegangen ist. Sie macht Schluss, ein für alle Mal. Go Belly, das musst du dir nicht gefallen lassen! Sie leidet und vermisst – besonders, als ihr Bruder Steven wegen eines Autounfalls im Krankenhaus landet. Ach, wäre doch nur Jeremiah da und könnte sie trösten! Dass die beste Freundin Taylor ihr die ganze Zeit beiseite steht, reicht ihr offenbar nicht. Es kommt also zur großen Versöhnung, die mit einem Heiratsantrag vom Eben-noch-Ex-Freund besiegelt wird. Der Subtext: Mit 20 heiraten ist vielleicht naiv, aber vor allem romantisch.
Schon der Titel „Der Sommer, als ich schön wurde“, bringt das Problem auf den Punkt. Erst als Belly äußerlich „aufblüht“ – also eigentlich nur Brille gegen Kontaktlinsen und Pferdeschwanz gegen offene Haare eintauscht –, schenken ihr die Fisher-Boys Aufmerksamkeit. Statt Belly Raum für mehr Persönlichkeit zu geben, reduziert die Serie von Anfang an ihre Selbstfindung auf die Suche nach der großen Liebe. Soll jungen Zuschauer*innen wirklich wieder verkauft werden, dass emotionale Abhängigkeit romantisch ist?
„Der Sommer, als ich schön wurde“, ist vielleicht unterhaltsam, erzählt im Kern aber eine altbekannte Geschichte mit bedenklicher Botschaft: Eine junge Frau stellt einen Mann über ihre Träume, Freundschaften und Chancen, wird verletzt, verzeiht und dafür mit dem vermeintlich „wahren“ Glück belohnt. Zeitgemäßer wäre eine Story, in der Belly erkennt: Sie ist auch ohne Beziehung schön und vor allem: genug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wolfram Weimers Genderverbot
Weg mit dem Wokismus
Sprache in Zeiten des Kriegs
Soll man das Wort „kriegstüchtig“ verwenden?
Bürgergeld
Union und SPD setzen auf Härte gegen Arbeitsverweigerer
Wahlrecht in Deutschland
Klöckner will Reform der Reform
Weniger Verkehrstote in Helsinki
Tempo 30 rettet Leben
CDU-Politikerin Saskia Ludwig
Diskutieren bei einer Gruselshow in Ungarn