Pride Month: Alles nur Einzelfälle
Sich mit dem Regenbogen als Zeichen für Diversity zu schmücken, ist en vogue. Dabei wird gern verdrängt: Queers leben noch immer gefährlich.
Juni ist Pride-Monat! Das bedeutet, dass bunt gekleidete oder halb nackte Menschen in den Straßen tanzen, Regenbogenfahnen schwenken und ihre Diversität feiern. Mitfeiern erlaubt! Niemand kann so gut feiern wie die Queers, die sind ja schon von der Bezeichnung her fröhlich (engl. „gay“). Und mit dem Feiern erinnern sie an trübe Zeiten, in denen Homosexualität verboten war und trans Menschen ausgestoßen waren, und bei nichtbinär dachte man an Mathematik oder Physik, nicht an Geschlechtsidentität. Diese Zeiten sollten vorbei sein, seit Queers 1969 in New York in Straßenschlachten mit der Polizei die moderne LGBTIQ-Bewegung anstießen. Spätestens mit der Ehe für alle 2017 sollte alles in Butter sein, 2021 färbte sich halb Deutschland in Regenbogenfarben, sogar die CSU und alle möglichen Konzerne, also heute alles nur noch Akzeptanz, Solidarität, Diversity, Party, yeah.
Sollte so sein. Aber die erste Hälfte des Pride-Monats Juni 2022 zeigt, dass die vermeintliche Erfolgsgeschichte der angeblich immer mehr akzeptierten queeren Minderheiten in Gefahr ist. Dass Ausgelassenheit und Freude auf Pride-Demos und Christopher Street Days ihren Platz haben, aber dass sie immer noch als politische Demonstrationen gebraucht werden.
Den Auftakt machte gleich am 1. Juni die Tageszeitung Welt, die in einem Text fünf Gastautor_innen ausführlich erklären ließ, dass es sowieso nur zwei Geschlechter gibt, alles andere sei „Transgender-Ideologie“, mit der Kinder unter anderem in der „Sendung mit der Maus“ indoktriniert würden. Von den Autor_innen hat nur einer näher mit trans Menschen zu tun: Alexander Korte, Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er wird gern in Medien zu Wort gebeten, wenn ein Kronzeuge aus der Medizin gebraucht wird, der Transgeschlechtlichkeit als bloßen „Zeitgeist“ abtut – auch in der taz durfte er ohne kritische Nachfragen kürzlich Transgeschlechtlichkeit als „hip“ denunzieren und behaupten, dass trans Menschen nach ihrer Transition nicht glücklicher seien als vorher.
Dass Sorge um Kinder vorgeschoben wird, wenn es eigentlich um Hass auf LGBTIQ geht, ist nichts Neues: Von Baden-Württemberg ausgehend wehren sich seit Jahren „besorgte Bürger“ aus dem AfD-Umfeld gegen die Erwähnung von Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit im Schulunterricht. So offensichtlich homo- und transfeindlich das ist, so absurd schon der Gedanke ist, dass ein Kind schwul oder lesbisch oder trans wird, nur weil es einmal eine Dragqueen gesehen hat (zumal das Kind in allen Lebenslagen mit der Darstellung von heterosexuellen cis Pärchen konfrontiert wird) – so hartnäckig hält sich das Postulat, Kinder müssten geschützt werden.
Alles unter dem Vorwand „Kinderschutz“
Und das verfängt auch 2022. Beispiel Texas, 6. Juni: Der Politiker Bryan Slaton kündigt an, dass er sich für ein Verbot von Drag-Shows vor Kindern einsetzt – also ein Gesetz, das fatal denen aus Russland und Ungarn ähnelt, die unter dem Vorwand des Schutzes von Kindern die öffentliche Erwähnung von queeren Lebensweisen unter Strafe stellen. Beispiel Wien, 7. Juni: In der Nacht vor der angekündigten Kinderbuch-Lesung der Dragqueen Candy Licious in der Mariahilfer Bücherei mauern vermutlich rechtsextreme Identitäre den Eingang der Bibliothek zu. Später am Tag versuchen rechte Gruppen, die Lesung zu stören – die Polizei ist vor Ort, verhaftet aber allein einen linken Gegendemonstranten. Beispiel San Lorenzo, Kalifornien, 12. Juni: Fünf Rechtsradikale der „Proud Boys“ stürmen eine Dragqueen-Lesung in der öffentlichen Bibliothek in San Lorenzo südlich von Oakland und beschimpfen vor den Vorschulkindern aggressiv die Dragqueen Panda Dulce, die dort den Kindern aus einem Buch vorliest.
Im Städtchen Coeur d’Alene im US-Bundesstaat Idaho vereitelt die Polizei am 11. Juni einen womöglich gewaltvollen Angriff auf den dortigen „Pride in the Park“: Die Beamten stoppen einen Kleinlaster mit 31 maskierten, uniformierten und bewaffneten Rechtsextremisten, die offenbar den Pride angreifen wollen.
Ein Anwohner hatte die Männer in den Wagen steigen sehen und daraufhin die Polizei alarmiert. Organisator der Aktion war die „Patriot Front“, die unter dem Namen „Vanguard America“ eine der maßgeblichen Organisatorinnen der berüchtigten „Unite the Right“-Demonstration von Charlottesville 2017 war, bei der eine linke Gegendemonstrantin ermordet wurde. Der vereitelte Angriff auf den Pride erfolgte übrigens fast auf den Tag genau sechs Jahre nach dem Anschlag auf den queeren Club Pulse in Orlando, Florida, bei dem ein bewaffneter Angreifer aus homofeindlichen Motiven 49 Menschen ermordet hatte.
Auch in Deutschland kommt es zu Angriffen
Gewalt gibt es auch im deutschsprachigen Bereich: Nach dem Karlsruher Christopher Street Day am 5. Juni kommt es zu einem Übergriff auf einen Demo-Teilnehmer, die Angreifer entreißen ihm seine Regenbogenfahne und zünden diese an, dann prügeln sie auf ihn und weitere Personen ein, die ihm zu Hilfe eilten. Die herbeigerufene Polizei weist erst mal die angegriffenen Queers zurecht. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz.
Und ebenfalls Anfang Juni lehnt es die Zürcher Staatsanwaltschaft ab, eine Strafuntersuchung in Sachen „Diversity-Böögg“ zu eröffnen. Das ist eine große Figur, die Ende April im Örtchen Bassersdorf bei Zürich zum Winteraustreiben symbolisch verbrannt wurde – eine Person mit Brüsten, Penis und Regenbogen-Rock. Ein 82-jähriger Besucher hatte nach dem Vorfall Strafanzeige erstattet, es sei „menschenverachtend“ und eine „völlige Entgleisung“ gewesen. Die Staatsanwaltschaft findet nichts dabei.
Was das bedeutet? Alles Einzelfälle? Das Bild ist diffus, aber selbst als Einzelfälle machen diese Ereignisse deutlich: Diese Gesellschaft ist noch nicht so weit, wie sie sein sollte. Party machen und mit Regenbogenfahne wedeln sollten nicht vertuschen, dass Queers auch in der westlichen Welt noch immer gefährlich leben. Der Pride-Monat, die Christopher Street Days und Demonstrationen sind notwendig. Solidarität ist gefragt – unter LGBTIQ, aber auch von heterosexuellen und cis Verbündeten. Damit die Scheiße mal ein Ende hat.
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