Pressefreiheit in der Türkei: Schwedischer Journalist Joakim Medin in Istanbul verhaftet
Für die Zeitung „Dagens ETC“ flog Medin in die Türkei und wurde am Flughafen festgenommen. Seitdem hat die Redaktion in Stockholm nichts mehr von ihm gehört.
„Sie nehmen mich jetzt zum Verhör mit“, schreibt der schwedische Journalist Joakim Medin seiner Redaktion am Donnerstag kurz nach seiner Landung in Istanbul. Für die Stockholmer Tageszeitung Dagens ETC flog der Auslandsreporter in die Türkei, um über die neuesten Entwicklungen rund um die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu und die Proteste zu berichten. Dazu kam es nicht. Seit dieser Textnachricht herrscht Funkstille.
Als die Redaktion auch 24 Stunden später nichts von Medin hört, wendet sie sich an die Öffentlichkeit. Dagens ETC ist bekannt für tiefgehende Recherchen und hat eine links-grüne Ausrichtung – ähnlich der taz.
Was bisher bekannt wurde: Man hat den Reporter für Außenpolitik in ein Gefängnis im Istanbuler Stadtteil Meltepe gebracht. Auf X schreibt ETC-Chefredakteur Andreas Gustavsson, dass Medin nicht einfach abgeschoben werde, sondern verhaftet worden sei. „Es handelt sich um eine sehr ernste Angelegenheit“, so Gustavsson.
Türkei wirft Schweden Präsidentenbeleidigung vor
Das türkische Online-Medium T24 berichtet, dass Medin „Präsidentenbeleidigung“ und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ vorgeworfen wird. Weiter wird bei T24 – und weiteren türkischen Medien, mit Verweis auf die türkische Nachrichtenagentur AA, vermeldet, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara seit 2023 gegen den 40-jährigen Schweden ermittelte.
Am 11. Januar 2023 hatten PKK-Mitglieder eine Figur des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan an den Füßen vor dem Rathaus in Stockholm aufgehängt. Die Türkei behauptet nun, Medin gehöre zu einer Gruppe von 15 Verdächtigen, die die Demonstration gefördert haben oder mit ihr in Verbindung stehen soll.
Auf der Website von Dagens ETC ist derweil das Porträt des inhaftierten Reporters zu sehen, über einen Kommentar des Chefredakteurs mit dem Titel: „Journalist von Dagens ETC wurde in der Türkei seiner Freiheit beraubt“. Darunter hat die Redaktion in einem weiteren Text Stimmen aus der Politik gesammelt. Jonas Sjöstedt, Europaabgeordneter der schwedischen Linken, bezeichnet darin Medin als „bedeutendsten Berichterstatter über die Unterdrückung der Kurden und über die türkischen Sicherheitsdienste“.
„Wir nehmen es immer sehr ernst, wenn Journalisten inhaftiert werden“, sagt Schwedens Außenministerin Maria Malmer Stenergard. Sie pocht im öffentlich-rechtlichen Sender SVT darauf, dass der Journalist schnellstmöglich Zugang zu konsularischen Diensten erhält.
„Inakzeptable Bedrohung für die freien Medien“
Nooshi Dadgostar, der Vorsitzende der Linkspartei, betont, dass die Pressefreiheit ein demokratisches Recht sei, das respektiert werden müsse, und dass das Vorgehen der Türkei eine inakzeptable Bedrohung für die freien Medien darstelle. Die Sozialdemokratische Europaabgeordnete Evin Incir sagt, dass die Verhaftung Medins „deutlich zeigt, dass Erdoğan jetzt nicht nur inländische Medien und Journalisten angreift, sondern auch ausländische Akteure – um zu verhindern, dass die Welt einen Einblick in die Situation im Land erhält“.Schweden hat den türkischen Botschafter in Stockholm zu einer Erklärung zur Verhaftung Medins aufgefordert. Das schwedische Generalkonsulat in Istanbul steht in Kontakt mit den örtlichen Behörden.„Es ist nicht zu rechtfertigen, dass diejenigen angegriffen werden, die versuchen, zu berichten, was passiert. Dies ist ein Angriff nicht nur auf Joakim Medin, sondern auf uns alle“, teilt Erik Larsson, Vorsitzender von Reporter ohne Grenzen Schweden in einer Erklärung mit.
Für „großen persönlichen Mut“ ausgezeichnet
„Joakim Medin kennt die Region. Er hat in Syrien in Einzelhaft gesessen. Er hat die türkische Folter direkt vor seinen Augen gesehen. Ich hoffe sehr, dass er bald freikommt“, schreibt Sakine Madon, die politische Chefredakteurin der Zeitung Upsala Nya Tidning auf X.
Joakim Medin ist nicht nur Journalist, sondern auch Lehrer und Autor mehrerer Bücher. Aus seinen Reisen nach Syrien ging 2016 ein Buch über die kurdische Revolution hervor. In seinem neuesten Buch, das 2023 erschien, beschäftigt er sich mit der Türkei und dem NATO-Beitritt Schwedens.
Im Jahr 2022 erhielt er die Ehrenmedaille der Stadt Uppsala, weil „er als investigativer Journalist, Autor und Dozent mit Integrität und großem persönlichen Mut durch riskante Reportagereisen in verschiedene Teile der Welt die Verletzlichkeit und das große Leid der Menschen in Kriegen und Konflikten aufzeigen konnte.“
Transparenzhinweis: Klaudia Lagozinski war 2023 zwei Monate im Rahmen des Internationalen Journalistenprogramms (IJP) bei Dagens ETC als Gastjournalistin und berichtet weiterhin über Deutschland für das Stockholmer Medium.
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