Pressefreiheit in Russland: Vom Netz genommen
Kremlkritische Sender werden diskreditiert, auch im Internet. Nach den Olympiatagen könnte der Kurs der Gleichschaltung noch verschärft werden.
MOSKAU taz | Ein starkes Signal: Noch im Trubel der Olympischen Spiele zeichnete Präsident Wladimir Putin einen treuen Gefolgsmann aus und verlieh ihm einen Orden für Verdienste am Vaterland vierter Klasse. Gewürdigt wurde Dmitri Kiseljow, erst im Dezember zum Chef der neuen Propagandamaschine „Russland heute“ ernannt worden.
Der TV-Moderator ist Russlands heimlicher Propagandaminister, der im Staatsfernsehen sonntags neue Feinde sichtet und neue Fronten eröffnet. Er gibt die Schärfe der Schwulenhass vor, verunglimpft Nachbarn und wittert hinter allem eine westliche Verschwörung.
Eigentlich ist das nichts Ungewöhnliches mehr, aber insofern doch erwähnenswert, als der Pegel der Aggressivität selbst den der Sowjetunion im Kalten Krieg überschreitet. Das Signal beunruhigt und passt zu einer Reihe von Maßnahmen, die nach den olympischen Tagen von Sotschi weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit befürchten lassen.
So geriet Ende Januar der unabhängige Kanal „Doschd“ ins Visier der Hüter der reinen Kremllehre. Der intelligent gemachte Infosender war bislang im Kabelnetz und im Internet zu empfangen. Auch anspruchsvollere Debatten gehören zum Programm. In der Ukraine war der Kanal von Anfang an vor Ort und lieferte ein umfassenderes Bild als die Kremlmedien. „Wir zeigen immer das, was du woanders nicht siehst. Wir sind unabhängig“, meint der Gründer Alexander Winokurow.
Ein Shitstorm brach los
Der Ärger begann mit einer Umfrage, die eine Viertelstunde auf der Website des Senders zu lesen war: „Hätte sich Leningrad ergeben sollen, um Leben von Hunderttausenden Menschen zu retten?“ Russland hatte just den 70. Jahrestag des Endes der Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg gefeiert. In den sozialen Netzwerken brach ein Shitstorm los. Die offizielle Lesart des Großen Vaterländischen Krieges ist im Russland Putins sakrosankt. Der Sender nahm die Frage von der Webseite und entschuldigte sich. Doch zu spät.
Große Kabelnetzanbieter kündigten nacheinander die Verträge mit „Doschd“, dessen Publikum anfangs die aufbegehrenden städtischen Mittelschichten stellten, die nach dem Wahlbetrug der Kremlpartei Ende 2011 auf die Straße gingen.
Inzwischen hat der Sender auch in der Provinz Publikum gewonnen, meint Winokurow. Ursprünglich erreichte „Doschd“ 17,4 Millionen Haushalte, nach den Kündigungen blieben nur noch 2 Millionen übrig. „Wir sollen verrecken“, sagt Winokurow, der davon überzeugt ist, dass die Anbieter zum Abschalten gezwungen wurden. „Wer dieses Szenario einfädelte, weiß genau, dass wir fast nur mit Werbung Geld verdienen und keine Sponsoren haben.“ Er hofft immer noch auf eine Lösung, schließlich heißt „Doschd“ in der Unterzeile auch: „Optimistischer Kanal“.
Winokurow weiß als Geschäftsmann, dass das Geld nicht mehr lange reicht. Die Mitarbeiter sind zwar bereit, erst mal auf einiges zu verzichten, doch hält er das für keine brauchbare Lösung. Der Medienunternehmer will unbedingt zurück ins Netz: „Es ist immer noch besser, in einem entstellten Markt zu leben, als überhaupt nicht“, sagt er. Unter den Netzbetreibern, die einknickten, sind bekannte Oligarchen. Selbst das große Business könne nicht frei entscheiden. „Wer soll unter solchen Bedingungen bereit sein, in Russland zu investieren?“, fragt er.
Verbreitung von Extremismus
Natürlich war die Umfrage nur Vorwand. Schon vorigen Sommer gab es einen Versuch, „Doschd“ wegen der Verbreitung von Extremismus zu belangen. Wie andere Sender hatte auch er eine Meldung im Zusammenhang mit dem Terrorchef des islamistischen Doku Umarow aufgegriffen.
Seit zwei Monaten sei indes klar, dass nach einem Anlass gesucht wurde. Dem war eine Reportage des Oppositionellen und Antikorruptionskämpfers Alexei Nawalny vorausgegangen, in der von Villen und Grundstücken berichtete wurde, die bekannte Vertreter des Kreml nicht in der Vermögenserklärung erwähnt hatten. Seit Kündigung der Verträge Anfang Februar herrscht nun Ruhe. Der Kreml wartet wohl darauf, dass das Licht von alleine ausgeht.
Inzwischen gerät auch der Radiosender „Echo Moskwy“ in die Schusslinie. Trotz diverser Versuche der Einflussnahme gelang es diesem über die Jahre, unabhängiger als andere Medien zu bleiben, eine Stimme der Opposition zu sein. Doch auch dieses Bild hat sich verschoben, so eindeutig trifft das nicht mehr zu.
Letzte Woche tauschten die Aktionäre in einer außerordentlichen Sitzung den seit 23 Jahren erfolgreichen und liberalen Generaldirektor aus. Seine Stelle übernimmt die 35-jährige Journalistin Jekaterina Pawlowa. Sie war vorher beim staatlichen Radioauslandssender „Stimme Russlands“ als Redakteurin und Vizechefin tätig.
Die emotionale Verfassung des Präsidenten
Pawlowas Ehemann, Alexander Pawlow, ist stellvertretender Pressesprecher des Kreml. „Echos“ legendärer Chefredakteur, Alexei Wenediktow, hält die Entscheidung für „absolut politisch“. Ziel sei es, auf die politische Linie der Redaktion einzuwirken. Anfang März steht auch die Wahl des Chefredakteurs an. Bislang ist Wenediktow noch der einzige Kandidat. Er beabsichtigt auch nicht, vorzeitig das Handtuch zu werfen.
Der Publizist und frühere Vorsitzende des staatlichen Fernsehens WGRTK, Nikolai Swanidse, verglich das Vorgehen mit der Attacke auf „Doschd“. Wie die Sache ausginge, hinge von der emotionalen Verfassung des Präsidenten ab, meinte Swanidse. Im Moment seien Kräfte am Werk, die nach dem Motto handelten: „Wir brauchen diese liberale Plattform nicht, wo sich Leute versammeln, die uns das Wasser abgraben wollen.“
Offiziell kontrolliert der Staat nur zwei TV-Anstalten. Viele private Sender gehören unterdessen zum Medienimperium des alten Putin-Freundes Juri Kowaltschuk, der zudem einen erheblichen Teil der größten russischen Mediengruppe „Gazprom Media“ besitzt. Gazprom ist mit zwei Dritteln der Aktien größter Aktionär auch bei „Echo Moskwy“.
Zweifelsohne hat Kowaltschuk auch auf das unübersichtliche Geflecht aus Firmen und Finanzstrukturen des Mediennetzes direkten Einfluss. Nicht zuletzt kontrolliert der Kremlfreund auch den Löwenteil des TV-Werbemarktes. Viel fehlt nicht mehr, bis die elektronischen Medien im Umkreis des Kreml monopolisiert sind.
Internetseiten verbieten
Gleichzeitig weitet der Staat auch den Zugriff auf das Internet aus. Der Gründer von „VKontakte“ wurde dazu gedrängt, das beliebte soziale Netzwerk an den Oligarchen Alischer Usmanow zu verkaufen. Der Milliardär erwarb schon häufiger im Auftrag des Kreml unliebsame Medien und zog ihnen die Stachel.
Auch in seinem renommierten Verlagshaus Kommersant wird gerade aufgeräumt. Internetseiten können nach einem neuen Gesetz ohne Gerichtsbeschluss verboten werden, wenn denn ein Verdacht auf Extremismus besteht. Und der besteht fast immer, wenn es ins Konzept passt.
Der Kreml scheint sich seiner Sache nicht sicher. Was an die Folgen des Wahlbetrugs der Kremlpartei 2011 erinnern könnte, soll mit Stumpf und Stil beseitigt werden. Wladimir Putin ist misstrauisch. Schließlich wurde auch der Zusammenbruch des Kommunismus durch eine freiere Presse beschleunigt.
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