Pressefreiheit in Israel: Gefängnis statt Rechtsstaat
Ali al-Samudi ist seit Ende April 2025 in Haft, ohne Anklage oder Beweise. Sein Fall zeigt: Israel befindet sich in einem dauerhaften Ausnahmezustand.
Am 29. April sprengten die Israelischen Streitkräfte (IDF) in den frühen Morgenstunden den Eingang des Gebäudes von Majd al-Samudis Wohnung in Dschenin, einer Stadt im Westjordanland. Majd al-Samudis ist der Sohn des bekannten palästinensischen Journalisten Ali al-Samudi, der sich zu diesem Zeitpunkt auch in der Wohnung aufhält.
Ihn suchte die IDF. Ali al-Samudi wurde gebeten, seine Kleidung auszuziehen, ihm wurden Handschellen angelegt, seine Augen wurden verbunden und er wurde abgeführt. So schildert es Majd al-Samudi der taz. Der Journalist sitzt seither im Gefängnis, das israelische Militärgericht hat eine sechsmonatige Verwaltungshaft verhängt – dabei gibt nicht einmal eine Anklage.
Die IDF wirft ihm vor, mit dem Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ), einer islamistischen Terrororganisation, kooperiert und diese finanziert zu haben. Beweise dafür hat die IDF nicht vorgelegt. „Mein Vater gehört keiner politischen Organisation an, er ist einfach ein palästinensischer Journalist“, betont sein Sohn.
Der 58-Jährige gehörte zu den wenigen, die überhaupt noch aus dem Gebiet berichteten. Seit mehr als drei Jahrzehnten dokumentiert er für Medien wie die palästinensische Zeitung al-Quds, für Al Jazeera, CNN und Reuters das Geschehen im Westjordanland – Militäroperationen, humanitäre Krisen, den Alltag unter der Besatzung. 2022 wurde er bei der Tötung seiner Kollegin Shireen Abu Akleh durch israelische Soldaten selbst angeschossen und am Rücken verletzt. Er sei in seinem Leben insgesamt achtmal von der israelischen Armee verletzt worden, sagt sein Sohn.
Verwaltungshaft beantragt
Nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA wurde er zunächst in einer Militärkaserne in Dschenin festgehalten, dann ins Dschalameh-Gefängnis gebracht und schließlich ins Megiddo-Gefängnis verlegt. Das Megiddo-Gefängnis im Norden Israels steht wegen Misshandlungen, extremen Haftbedingungen und verbreiteten Krankheiten immer wieder in der Kritik. Den Ablauf seiner Haft erzählt auch Majd al-Samudi so. Die IDF bestätigt der taz weder den Aufenthaltsort noch die vorherigen Aufenthaltsorte von Ali al-Samudi. „Wir wissen nichts über die aktuelle Situation meines Vaters“, sagt al-Samudi. „Niemand darf mit ihm sprechen.“
Dass Ali al-Samudi in Haft sitzt, ohne dass ein Gericht über seine Schuld oder Unschuld entschieden hätte, ist möglich durch die israelische Praxis der sogenannten Verwaltungshaft beziehungsweise Administrativhaft. Militärgerichte können diese zunächst für sechs Monate verhängen und beliebig verlängern. „Der Verdächtige wurde aufgrund von Erkenntnissen festgenommen, die darauf hinweisen, dass er an organisatorischen Aktivitäten beteiligt ist und die Sicherheit in der Region gefährdet“, erklärte das IDF-Pressezentrum der taz. Da nach der Festnahme „nicht ausreichend Beweise“ gesammelt wurden, habe man Verwaltungshaft beantragt, so die IDF weiter.
Am 6. Mai fand eine erste Anhörung im Fall al-Samudi statt. Doch die bei der Festnahme erhobenen Terrorvorwürfe gegen ihn wurden dabei nicht wiederholt, erklärte sein Anwalt Jamil al-Khatib CNN. Stattdessen habe man vage von Aktivitäten gesprochen, die „die Tätigkeit der israelischen Streitkräfte im Westjordanland beeinträchtigen“. Auch die IDF bestätigte diese Anschuldigung der taz. Aber was ihm konkret vorgeworfen wird, dass er eine Gefahr für die Sicherheit darstellt oder Beweise dafür wurden bei der Anhörung nicht vorgelegt oder anderweitig öffentlich gemacht. Die IDF antwortet auf die Frage der taz dazu nicht.
An al-Samudis Fall zeigt sich das zentrale Prinzip der Verwaltungshaft: Es gibt keine konkrete Straftat und keinen konkreten Tatverdacht, die Verwaltungshaft fällt somit aus dem System der Strafverfolgung heraus und dient somit einer (angeblichen) Gefahrenabwehr. So können Menschen über lange Zeit ohne Anklage und öffentliche Beweise und ohne Urteil festgehalten werden. Auch die Verteidigungsrechte sind stark eingeschränkt. Das sind zentrale Unterschiede zu beispielsweise einer Untersuchungshaft in Deutschland als Mittel des Strafverfahrensrechts, bei der etwa der Strafverteidiger Zugang zur Akte hat, und die auch nicht einfach so verlängert werden kann.
Gravierende Einschränkungen von Grundrechten
Die Verwaltungshaft hat in Israel eine lange Tradition. Bereits bei der Staatsgründung 1948 übernahm das Land britische Notstandsverordnungen aus der Mandatszeit, darunter die Möglichkeit, Personen ohne Verfahren zu inhaftieren. Zusätzlich wurde die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, einen Notstand auszurufen – dieser wurde fünf Tage nach Staatsgründung ausgerufen und seither jedes Jahr erneuert. Begründet wird dies mit anhaltender Bedrohungslage durch Terroranschläge, Kriege und palästinensische Aufstände.
Das Emergency Powers (Detention) Law von 1979 erlaubt es dem Verteidigungsminister zudem explizit, Verwaltungshaft anzuordnen. Wie die Rechtswissenschaftler:innen Suzie Navot und Guy Lurie vom Israel Democracy Institut im Verfassungsblog 2022 schrieben, hat die „Normalisierung von Notfallmaßnahmen“ in Israel einen dauerhaften Ausnahmezustand verfestigt. Damit werden teils gravierende Einschränkungen von Grundrechten gerechtfertigt. Besonders häufig werde die Verwaltungshaft im Westjordanland eingesetzt – als Mittel der „Abschreckung und Bestrafung“, wie Navot und Lurie im Verfassungsblog schreiben.
Daher wird auch die Verhaftung al-Samudis von internationalen Presseverbänden verurteilt – darunter etwa der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF). Laut der IJF dient die Verwaltungshaft dazu, „palästinensische Journalisten für ihre Arbeit zu bestrafen und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken.“ Wie die Nachrichtenagentur Wafa berichtet, ist al-Samudi nun einer von 20 Journalist:innen, die aktuell in Verwaltungshaft sitzen. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden insgesamt 50 palästinensische Journalist:innen in Verwaltungshaft genommen. Auch Majd al-Samudi sagt, dass sein Vater inhaftiert wurde, weil er als Journalist arbeite.
Die Verwaltungshaft ist nur eine von vielen Maßnahmen Israels, die Pressefreiheit einzuschränken. Laut Reporter ohne Grenzen sind seit dem 7. Oktober 2023 fast 200 Medienschaffende im Gazastreifen getötet worden, 43 davon in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit. Vor allem palästinensische Journalist:innen würden in Gaza unter Lebensgefahr arbeiten, so RSF. „Alle haben Angst“, sagt auch Majd al-Samudi, der einen Protest mit dem PJS organisieren wollte, was aber scheiterte.
Al-Samudis Familie macht sich Sorgen, wie er die Verwaltungshaft verkraften wird. „Mein Vater ist 58 Jahre alt, braucht eine Brille und hat Diabetes“, sagt sein Sohn. Er schickt der taz Fotos von Dokumenten, die seinem Vater die Notwendigkeit von Medikamenten attestieren. Außerdem berichtet er von einem jungen Mann, der mit seinem Vater im Gefängnis gesessen hätte und der Familie erzählt habe, dass Ali al-Samudi stark an Gewicht verloren habe, seine Brille weg sei und ihn die unzureichende medizinische Versorgung zwinge, nachts im Halbstundentakt die Toilette aufzusuchen. Viele aus dem Trakt hätten Krätze und sein Vater Angst, sich zu infizieren. Mit der Presse wolle der Mitinhaftierte nicht sprechen, teilt Majd al-Samudi der taz mit.
Für seine Familie bleibt nur die Hoffnung, dass die Verwaltungshaft nicht erneut verlängert wird. Am 18. Juni ist die nächste Anhörung. Momentan wechselt die Familie ihren Anwalt, da sie sich von dem neuen erhoffen, dass Ali al-Samudi aus dem Gefängnis entlassen werden kann.
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