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Premiere am Schauspielhaus HamburgGefangen in ihrer Depression

Katie Mitchell inszeniert am Schauspielhaus Hamburg „Anatomie eines Suizids“ von Alice Birch. Die Darsteller*innen agieren wie ausgebremst.

Jede scheint wie festgeschraubt an ihrem Platz Foto: Stephen Cummiskey

Manchmal, leise, ist von Pflaumenbäumen die Rede, vom weiten Blick und von Feldern, die sich in jede Richtung erstrecken. Meist aber von Fischen, die am tiefen Grund des Teichs schwimmen, von Aquarien, kalten Kacheln und immer wieder von Blut. In diesem Text von Alice Birch ist verdammt wenig Licht und Hoffnung, umso mehr Dunkelheit und Lebensangst. „Anatomie eines Suizids“ lautet der Titel.

Katie Mitchell hat das Stück am Hamburger Schauspielhaus als deutsche Erstaufführung auf die Bühne gebracht – die Uraufführung inszenierte sie 2017 am Royal Court Theatre in London. In exakt derselben Ästhetik. Die Aufführung in Hamburg ist also ein Copy-Paste-Abend, ein düsterer noch dazu.

In „Anatomie eines Suizids“ untersucht die britische Autorin, Jahrgang 1986, wie sich die Depression in die DNA dreier Frauengenerationen einschreibt. Angefangen bei Clara (Julia Wieninger) über deren Tochter Anna (Gala Othero Winter) bis hin zu deren Tochter Bonnie (Sandra Gerling). Meist stehen die drei vor ganz, ganz grauen Betonwänden – und den darin eingelassenen gesichtslosen Türen – die Bühnenbildner Alex Eales ihnen als lichtarme Nicht-Genesungs-Umgebung gebaut hat.

In schlaglichtartigen Szenen werden ihre Geschichten erzählt, ihre Ehen, ihre Schwangerschaften und vor allem natürlich ihre Verzweiflung. Die Darsteller*innen agieren darin wie ausgebremst. Mit angehaltenem Atem und gedrosseltem Aktionsradius können sie nicht mehr zeigen als holzschnittartige Reißbrettpsychologie.

Die Tochter der Tochter

Alles geschieht stockend, fast mechanisch und oftmals (text-) simultan. Das heißt, während Clara an einem Herbsttag Mitte der 70er Jahre ihr Baby Anna schaukelt, erzählt – nur wenige Meter neben ihr – die erwachsene Anna in den frühen 2000er Jahren dem ambitionierten Filmkünstler Jakob (Tilman Strauß) von ihrer Drogenkarriere – und verliebt sich in ihn.

Zeitgleich führt deren gemeinsame Tochter Bonnie im rechten Drittel des Bühnenbilds ein Verkaufsgespräch über das Familienhaus mit ebenjenen Pflaumenbäumen im Garten und den Feldern ringsum. „Der Text ist als ,Partitur' entstanden – das Stück wurde simultan über die Seiten geschrieben und nicht in einzelnen Strängen,“ so die Vorbemerkung der Autorin.

Bald fügen sich alle Ereignisse in ein düsteres Grundrauschen

Diese Gleichzeitigkeit von Zeit, Raum und Text folgt einer genauen Struktur. Auf der Bühne verlangt sie ein präzises Timing, das Katie Mitchell bestens beherrscht, und dessen Keynotes man zunächst noch eifrig aufzuspüren sucht. Bald aber fügen sich alle Ereignisse in ein düsteres Grundrauschen, in ein gemeinsames, unausweichliches Schicksal.

Tonnenschwer drückt die Geschichte

Wortkarge, stockende Dialoge, dröhnende Musik von Paul Clark und Melanie Wilson im Wechsel mit fernen Schreien und diffusen Partygeräuschen aus den Verstärkern tun ihr Übriges. Die drei Protagonistinnen, das ist von Anfang an klar, sind gefangen, in ihrem Leben, ihrem Schicksal, in ihrer Depression.

Aufheiterndes von Außenstehenden, wie etwa von der schrecklich patenten Tante Emma (grandios: Ruth Maria Kröger), die unaufgefordert Lebensweisheiten und Blumensträuße von sich wirft, haben wenig Platz. Tonnenschwer drückt die Last der Geschichte, die Katie Mitchell mit vielen dunklen Regenwolken verhängt. Die Wiederholung von Lebensstrukturen als mögliches Metathema ertrinkt in dieser Düsternis.

Bedrückte Stimmen erzählen vom Unglück, am Leben zu sein und vom gemeinsamen Trauma, das sich so lange weitererzählt, bis es Bonnie, die letzte in der Reihe, mit einer Sterilisation durchbricht. Zuvor versucht ihr die rührend verliebte Fischerin Jo (Josefine Israel) einen Fisch zu schenken. Vergeblich. Schließlich ist in dieser Familie auch die Abneigung gegen Fisch – wie die Depression – erblich.

Kurz aufleuchtende Jahreszahlen zeigen die jeweiligen Zeitsprünge an. Dazwischen bauen die Schauspieler*innen in den Bühnen-Dritteln immer neue Minisettings auf: ein Krankenzimmer, ein Café, ein Picknick am See. Eine Küche, ein Hausflur und wieder ein Krankenzimmer. Die drei Hauptfiguren verharren starr in diesen Momenten des Umbaus, von den Kolleg*innen werden sie wie Schaufensterpuppen eingekleidet: zur Schwangerschaft, zur Hochzeit, zum Klinikaufenthalt. Dunkle Wände, fahle Gesichter, fahrige Interaktionen und lange blutrote Mäntel illustrieren diesen fugenartig komponierten, recht pathetischen Text.

So rauscht ein zwar formal kunstvoller, aber inhaltlich und ästhetisch sehr eindimensionaler Abend über die Bühne. Von Katie Mitchell in einem rauen Atemzug und leider auch in nur genau einer Temperatur erzählt. Diese ist kalt. So kalt wie ein Fisch. Am tiefen Grund ­eines Teichs.

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1 Kommentar

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  • Ich frage mich gerade ernsthaft, wann wohl das erste depressive Großvater-Vater-Sohn-Trio auf den Brettern erscheinen wird, die unsere Welt vorstellen sollen.

    Momentan gehen Kerle, die besser Schauspieler geworden wären, die allerdings die Ohnmacht fürchten wie der Teufel angeblich das Weihwasser fürchtet, noch immer lieber in die Politik oder in die Wirtschaft. Kunst und Kultur werden einfach zu schlecht bezahlt schätze ich. Ich meine: Sie werden zu schlecht bezahlt, wenn sie den Mächtigen all zu dreist den Spiegel unter die Nase halten. Mit Frauen kann man das schon eher machen… Wobei. Dachte ich gerade: schon? Vermutlich muss es eher heißen: noch.