Premiere am Gorki Theater Berlin: Ein schmerzhaft zuckender Muskel

Kurzgeschichten der Autorin Rasha Abbas wurden am Berliner Gorki Theater auf die Bühne gebracht. Dabei ist Abend übers Überleben entstanden.

In blaues und lila Licht getaucht sind man Schauspieler und Schauspielerinnen auf der Bühne, über sie hinweg läuft Schrift

Die Schauspielerinnen und Schauspieler tanzen unbändig zwischen den Textpassagen Foto: Ute Langkafel/MAIFOTO

Ein Kopf in einem Blumentopf. Er ist abgeschnitten. Er wird gegossen. Aber er vertrocknet immer mehr und zieht keine Wurzeln. Das betrübt den Erzähler. Das Bild kommt aus einer Kurzgeschichte der syrischen Autorin Rasha Abbas, „Übertrieben höflich zu Boden fallen oder Wie man alle sechs Patronen verschießt, statt russisches Roulette zu spielen“. Am Maxim Gorki Theater in Berlin hat Sebastian Nübling Episoden aus Abbas’ Buch mit Karim Daoud, Kenda Hmeidan, Kinan Hmeidan und Lujain Mustafa, Schau­spie­le­r*in­nen des Gorki-Ensembles, inszeniert. Drei von ihnen kommen aus Damaskus.

Sie sprechen englisch, deutsch und arabisch. Und während sie sprechen, kann man die Textpassagen im Schriftbild der anderen Sprache sehen, auf transparente Flächen projiziert. Die leuchtenden Schriftbilder haben ihre eigene Schönheit und sie erzählen, wenn auch zunächst nur an der Oberfläche, von der Begegnung unterschiedlicher Kulturen, von dem, was man vergleichen kann und von dem was inkongurent bleibt.

Mit jeder weiteren Episode aber wird die Oberfläche mehr und mehr verlassen und Worte und Gesten bohren sich ins Fleisch. Etwas von einem schmerzhaft zuckenden Muskel liegt in dem Spiel der vier.

Kinan Hmeidan steht am Mikrofon und zählt, bei fünf hebt er jedes Mal die Finger, deutet einen Kopfschuss an und fällt. Steht auf und beginnt von vorn. Lujain Mustafa tanzt zu harter Technomusik über die Bühne, ein Wirbelwind in silbrigem Lila, springt in die Luft und fällt.

Echo der Todesbilder

Es ist ein Tanz voller Lebenshunger, ihr Körper leuchtet in der rauchigen Luft. Und er bildet zugleich ein Echo auf die Todesbilder, die Kinan Hmeidan nicht loslassen als den Erzähler von „Übertrieben höflich zu Boden fallen …“. Der heftet Notizen an die Kühlschranktür für seine Mutter: „Hab keine Angst, wenn du Blut unter der Zimmertür hervorfließen siehst und tritt leise ein.“

In den Geschichten gibt es viel Ahnung von Krieg, von Gewalt, von Zerstörung, von Flucht, vom Fremdfühlen. Aber vor allem davon, wie solche Erfahrungen sich ablagern im Empfinden, Fühlen, Wahrnehmen. Das Heftige, Zugespitzte, Explosive, das auch mit gruseligem Witz Überzeichnete wird zu einem Modus, überhaupt Worte zu finden für das Traumatische.

Eine Erzählung hat den Titel „Zwei nützliche Erfahrungen, wenn man Kinder verstoßen möchte“. (Man kann da übrigens an das Grimm’sche Märchen von „Hänsel und Gretel“ denken, um sich kurz klarzumachen, dass solche Fantasien und Erfahrungen auch hier zu Hause sind.) Kenda Hmeidan kommt als schwangere Erscheinung, gehüllt in einen langen, zotteligen, weißen Fellumhang auf die Bühne, und bald rollen Orangen unter ihr hervor. Etwas später ist sie die Mutter, die ihre Kinder verflucht, ein zähes, zuckendes, hexenhaftes Wesen.

Sie erzählt, die Worte wütend hervorstoßend, von einem Schwangerschaftstest während einer Party, der bald das Klo verstopfte und für eine Überschwemmung sorgte. In deren Fluten kommen die kleinen Kinder einer anderen Mutter um, die diese auf einem Dachboden versteckt hatte und geheimhielt. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagt deren Mutter zu der tobenden Schwangeren, „Schau nur, wie leicht das geht, dass kleine Kinder sterben“.

Angstgetriebener Galopp

Die Kurzgeschichtensammlung „Eine Zusammenfassung von allem, was war“ von Rasha Abbas, 1984 in Latakia, Syrien, geboren, hat viele Erzähl­elemente, die an Märchen erinnern: wie Geschwister, die zusammen fortlaufen. Aber keine der Geschichten entwickelt sich von a nach b, sie laufen nicht rund. Es zerfetzt sie und was „es“ ist, bleibt im Vagen. Was in Abbas’ gewaltinduzierten Bildern und im angstgetriebenen Galopp der Sprache aus der Rea­li­tät kommt und was aus der Fantasie, ist ununterscheidbar geworden.

Das Bühnenbild arbeitet teils mit Videoprojektionen, die Animationen wie aus Computerspielen aufgreifen, zerstörte Städte und Tunnel, die endlos und eng zugleich scheinen. Wie in einer Kamerafahrt dringt der Blick immer weiter in die Kulissen ein, aber es gibt kein Außen, alles wiederholt sich. Ein Abgrund, der sich ständig selbst zu reproduzieren scheint.

Geschichten, die immer wieder einen neuen Anfang nehmen und kein Ende finden können; Menschen, die sich neu aufstellen wollen, aber den Platz dafür nicht finden: Auch davon handelt die Inszenierung „Eine Zusammenfassung von allem, was war“. Das bruchstückhafte Erzählen, das Durchstreichen einer Version vom Selbst durch eine nächste, das ist ja auch eine gern präsentierte schauspielerische Übung, die hier aber einen ganz existenziellen Hintergrund erhält.

Die Schauspielerin Kenda Hmeidan hat für das Gorki Thea­ter aufgeschrieben, warum es Abbas’ Text gelingt, das „Unbeschreibliche zu beschreiben“. Sie führt aus: „Die ständige Bewegung der Charaktere von einem Ort zum anderen und die Unfähigkeit des Innehaltens in einer Welt, in der das Chaos regiert. Indem sie sich weigert, die Realität als das hinzunehmen, was sie ist, gibt sie uns als Le­se­r*in­nen ein Gefühl des Widerstands und der Fähigkeit, das Geschehene zu überleben, entweder durch körperliche oder durch geistige Bewegung, unsere starke Fähigkeit, uns Dinge vorzustellen und gedanklich durch Zeit und Raum zu springen.“

Die Vorstellungskraft der vier Spielenden ist stark und sie nimmt uns mühelos mit in diese verwirrenden Reisen.

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