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Preise für den NahverkehrWer arm ist, fährt teurer

Der Hamburger Verkehrsverbund verkauft Tickets online und in Apps günstiger. Menschen, die wenig Geld haben, könnten dabei ausgeschlossen werden.

Hier ist es teuer, als bei Online-Kauf: Fahrkartenautomat vom HVV Foto: Georg Wendt/dpa

Hamburg taz | Tickets vom Hamburger Verkehrsverbund (HVV) sind sieben Prozent günstiger, wenn diese auf digitalem Wege gekauft werden. Doch gerade Menschen, die auf einen günstigen öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, könnten von solchen Angeboten ausgeschlossen werden – weil sie erschwerten Zugang zum Internet oder keine gültige Bankverbindung haben.

Seit September können Fahrgäste Einzel-, Tages, Gruppen- und Ergänzungskarten über die HVV-App, die neue HVV-Switch-App, im Online-Shop und mit der HVV-Card sieben Prozent vergünstigt erwerben. Somit kostet eine Tageskarte statt 6,60 Euro nur noch 6,14 Euro.

Die Tickets werden günstiger angeboten, da diese andere Vertriebswege wie Servicestellen, Fahrkartenautomaten und Busfahrer:innen entlasten würden, erklärt HVV-Pressesprecher Rainer Vohl. „In den vergangenen Monaten ist das bargeldlose Zahlen für viele – auch ältere – Menschen aus hygienischen Gründen zum Standard geworden“, so Vohl. Über 6,6 Millionen Online-Tickets seien zwischen Januar und September gekauft worden.

Kerstin Föller von der Verbraucherzentrale Hamburg aber sieht einkommensschwache und alte Menschen im Nachteil. In der HVV-App und im Online-Shop ist eine Zahlung über Lastschrift und Kreditkarte möglich, in der HVV-Switch-App können Kund:innen bisher nur ihren Paypal-Account hinterlegen. Sie brauchen einen Internetzugang, eine Kontoverbindung und eine positive Schufa-Auskunft, um die Angebote nutzen zu können.

Zahlung mit Bargeld nicht möglich

„Vor allem ältere Menschen, die nicht so internetaffin sind, werden hier benachteiligt, da diese solche Karten nicht buchen können und damit mehr zahlen müssen“, sagt Föller.

Die Pressestelle des HVV verweist darauf, dass das Angebot „nicht nur beim Kauf über die App oder den Onlineshop, sondern auch mit der kostenlosen HVV-Card“ gelte. Doch beim Ticketkauf über die personalisierte HVV-Card werden alle gekauften Tickets am Ende des Monats per Lastschrift abgebucht.

Alternativ kann ein Guthaben von mindestens 40 Euro vorab überwiesen werden. Dies sei „aus technischen Gründen so festgelegt worden“, sagt Sprecher Vohl. Eine Zahlung mit Bargeld ist nicht möglich.

Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbandes Hamburg, kritisiert die digitale Preissenkung scharf. Es handle sich um „eine Diskriminierung von armen Menschen, die sich kein Smartphone leisten können“. Auch ältere Hamburger:innen seien im Nachteil, da sie mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen seien. Die Preissenkung gehe „komplett an diesen Menschen vorbei“, sagt Wicher.

Schulungen für Senior:innen?

Der Sozialverband schlägt dem HVV vor, Mitarbeiter:innen bereitzustellen, die an den Bahnhöfen aufklären sollen. Besser noch wäre es, endlich das kostenlose Ticket für alle Bedürftigen einzuführen“, fordert Wicher. Damit hätte man „nicht mehr diese krasse Ungleichbehandlung von Menschen, die weniger haben als die Allgemeinheit“.

Dagegen argumentiert HVV-Sprecher Vohl: „Die Smartphone-Verfügbarkeit ist mittlerweile sehr hoch.“ Dies gelte auch für ärmere und ältere Menschen.

Ein Sprecher des Fahrgastverbandes Pro-Bahn e.V. für Hamburg und Schleswig-Holstein bestätigt, dass ein „großer Teil der Kunden“ an digitalen Vertriebsformen inte­ressiert sei. Man müsse sich der fortschreitenden Technik anpassen und Senior:innen entsprechend schulen. Arme Menschen und deren Recht auf Mobilität müssten aber gesondert betrachtet werden. „Hier sind Sozialtickets die Antwort, deren Erwerb an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist“, so der Fahrgastverband.

Ab dem neuen Jahr dürfen sich Fahrgäste erneut auf eine Preissteigerung von 1,4 Prozent gefasst machen. Dementsprechend wird eine Tageskarte dann 6,70 Euro kosten – zumindest für alle, die am Automaten kaufen.

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6 Kommentare

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  • In China benutzen sogar Bettler eine App, mit Konto. Die Digitalisierung schreitet voran, und alle müssen mitwollen. Ich glaube wegen Fortschrittsglaube. Wer kann, fährt Fahrrad und ist fein raus.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Oh man, wer theoretisch 6,14€ für eine Tageskarte hat, ist nicht arm. Nicht online ist das Problem, sondern diese überteuerten Nahverkehrspreise.



    Wobei, früher ist man in den Bus eingestiegen und wieder ausgestiegen, ohne digitalen Schnickschnack, aber um einiges günstiger. Weiß gar nicht, wie wir das hinbekommen haben.



    Könnte es sein, dass die Digitalisierung des Nahverkehrs die Preise drastisch erhöht?



    Das wäre Mal eine Recherche wert! Warum kostet es soviel?!

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Habe mich auch schon immer gefragt, wie teuer wäre der Transport einer Person, wenn wir die Kosten für Fahrkarte, Fahrkartenautomat, Stempelautomat, Wartung dieser, bezahlung der Kontrolleure, Statistische erhebungen, BWLer die schauen ob sich das Lohnt, IT die Apps dafür programmiert etc. alles rausrechnen würden.



      Zahl ich am Ende nur damit ich Zahle?

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Upgrade:

        Und muss man unbedingt auf dem Smartphone sehen, wann der nächste Bus kommt, wenn alle 5 Minuten einer kommt?

  • Pressesprecher sind Schwätzer.



    Der HVV-Pressesprecher tut gerade so, als ob der HVV digitale Techniken dazu benutzt, den Fahrkartenverkauf effizient zu organisieren. Das ist mitnichten so. Vielmehr wird die Digitalisierung (wie von allen anderen Firmen auch) dazu benutzt, maximal personalisierte Daten von den Kunden abzuziehen und damit im Hintergrund 'rumzueiern.



    Wer einmal die geballte (digitale) Bürokratie des HVV kennengelernt hat, fährt freiwillig Auto, wenn er/sie kann.



    Ich warte noch immer auf den einfachen Stadttarif zum brauchbaren Preis, der ohne überbürdende Bürokratie auskommt, habe die Hoffnung aber schon fast aufgegeben.



    Und sagt nicht, dafür ist kein Geld da. Für Straßenbau ist ja auch sehr, sehr viel Geld da.



    So wie die Tarife zur Zeit strukturiert sind, sehe ich schwarz für Verkehrswende und Klimawandel.

  • Ein Klassiker: der Service wird schlechter aber die Preise werden erhöht.



    An den Aussagen und vor allem am Verhalten der öffentlichen Verkehrsbetreiber kann Mann / Frau feststellen, wie weltfremd diese "Macher" Ihre Dienstleistung gestalten. Dabei haben sie auch einen gesellschaftlichen Auftrag! Warum schließt eine mehrheitliche Kartenzahlung eine Barzahlung grundsätzlich aus? Nur weil die Damen und Herren der Verkehrsverbünde aufgrund er überhöhten Preise unangemessen gut verdienen, haben sie wohl schon lange den Lebensbezug zu einem immer größer werdenden Teil ihrer Kunden verloren; gerade in Großstädten.



    Hier sollte endlich ein kostenfreies Sozialticket eingeführt werden, dass aus den Gewinnen der überhöhten Fahrpreise bezahlt wird. Der öffentliche Verkehr muß seit Jahrzehnten besser werden, nicht nur um die Klimakrise in den Griff zu bekommen.



    Auch jetzt in der Coronakrise läuft vieles schief. Zu wenige eingesetzte Beförderungsmittel, unverantwortliche Überfüllung gerade im Berufsverkehr - da hilft auch keine Maske mehr.



    Wen wundern da die steigenden Infektionszahlen noch. Fahrlässige Zustände in der öffentlichen Verwaltung, bei gleichzeitigem Versuch dich Schuld der steigenden Infektionen den Jugendlichen aufzuladen.