ÖPNV-Preiserhöhung in Hamburg: SPD sucht Mitreisende
Debatte über Preiserhöhung im HVV: SPD-Bürgermeister Tschentscher will Tarifdeckel, CDU und Linke verlangen Preiswende, Grüne sagen lieber gar nichts.
Damit denkt der Bürgermeister laut darüber nach, den Kostendeckungsgrad im Verkehrsverbund, also den Einnahmeanteil aus Ticketverkäufen, perspektivisch zu senken. Entsprechend müsste das somit wachsende Defizit aus Steuermitteln gedeckt werden.
Derzeit werden die Kosten der 28 Verkehrsunternehmen im HVV durchschnittlich zu 74 Prozent gedeckt. Den höchsten Kostendeckungsgrad hat mit gut 90 Prozent die Hamburger Hochbahn. 2017 musste die Stadt HVV-Verluste von gut 200 Millionen Euro ausgleichen – diese Summe würde nach den Überlegungen des langjährigen Finanzsenators künftig jährlich steigen.
Das kommt eigentlich den Linken entgegen, die seit Jahren für sinkende Preise und höhere Steuerfinanzierung eintreten. Im konkreten Fall aber vermutet die verkehrspolitische Sprecherin der Linken, Heike Sudmann, „ein billiges Wahlkampfmanöver der SPD“. Schließlich habe der Bürgermeister bereits im Juni signalisiert, Tariferhöhungen über dem Inflationsausgleich seien kurz vor der Bürgerschaftswahl im kommenden Februar nicht in seinem Sinne.
Mobilitätseuro nach Wiener Vorbild
Nun aber lasse er „den HVV mit einer Rekordforderung antreten und stutzt darauf das städtische Unternehmen heldenhaft zurecht – für Sommerloch-Inszenierungen ist der SPD die Verkehrs- und Klimawende gut genug“, kommentiert Sudmann.
Aber so lasse sich niemand zum Umstieg vom Auto auf Busse und Bahnen locken: „Eine Preiserhöhung bleibt eine Preiserhöhung. Wer wirklich eine Verkehrswende schaffen will, muss dafür eine Preiswende hinlegen.“ Erforderlich wäre in erster Linie ein 365-Euro-Jahresticket, so Sudmann – pro Tag ein Mobilitätseuro nach Wiener Vorbild. Damit ließen sich die Fahrgastzahlen deutlich erhöhen und darüber höhere Einnahmen erzielen.
Dem Sozialverband Deutschland (SoVD) geht das nicht weit genug. In der Hansestadt lebten etwa 45.000 Menschen von Grundsicherung, jedeR fünfte HamburgerIn sei armutsgefährdet, sagt der Hamburger SoVD-Vorsitzende Klaus Wicher. Vor allem diese Menschen seien auf Busse und Bahnen angewiesen. Deshalb müsse „für alle Bedürftigen“ der öffentliche Nahverkehr kostenlos werden, fordert Wicher.
Lieber Familien entlasten
Ausgerechnet Tschentschers grüner Koalitionspartner meldet sich nur schüchtern zu Wort. Sich mit Forderungen nach günstigen Preisen gegenseitig zu übertrumpfen, hält ihr Verkehrspolitiker Martin Bill für falsch. Einzelne Gruppen, vor allem Familien, zu entlasten, sei sinnvoller, findet er.
Damit lässt er sich sogar von der traditionellen Autofahrerpartei CDU auf der Busspur überholen. „Wer den Nahverkehr stärken will, sollte über eine gezielte Entlastung nachdenken“, sagt ihr Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl, Marcus Weinberg. Sein Verkehrspolitiker Dennis Thering fordert, unisono mit der linken Sudmann, ein 365-Euro-Ticket. Und droht schon mal eine Blockadehaltung an.
In der nächsten Bürgerschaftssitzung am 14. August werde die CDU beantragen, die Erhöhung zu stoppen. Denn Mobilität und Verkehrswende, so hat jetzt auch Thering erkannt, „sind die wichtigsten Zukunftsthemen unserer Stadt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben