Präsidentschaftswahlen in Honduras: Das Paar mit Cowboyhut ist zurück
Am Sonntag wird in Honduras gewählt und Xiomara Castro, die Ehefrau des 2009 gestürzten Präsidenten Zelaya, hat beste Chancen auf einen Sieg.
TEGUCIGALPA taz | Es ist, als wäre der Putsch erst wenige Tage her: Kontrollen an den Überlandstraßen, Militärs patrouillieren in Gruppen durch die Hauptstadt Tegucigalpa. Sogar in den Stadtbussen sitzen sie und machen dazu ein grimmiges Gesicht. Das muss so sein, „das ist ein Befehl“, sagt ein Soldat, der das Parlament bewacht. „Wir dürfen nicht lächeln.“
Immer wieder tauchen Tote auf. Erst vor ein paar Tagen wurde die Leiche des Kameramanns Murillo Varela gefunden, auf einem Trampelpfad am Rand eines Armenviertels, von Unbekannten erschossen. Früher, als Manuel Zelaya noch Präsident von Honduras war, hatte Varela für die Regierung gearbeitet.
Nach dem Militärputsch vom 28. Juni 2009 war er verhaftet und gefoltert worden. In den Monaten vor seinem gewaltsamen Tod filmte er im Auftrag der von Zelaya gegründeten Partei „Freiheit und Neugründung“, im spanischen Kürzel „Libre“.
Die Vorgeschichte: Im November 2005 war Manuel Zelaya zum Präsidenten gewählt worden. Er stand für ein moderat linkes Reformprojekt in dem zentralamerikanischen Land. Als er nach dem Vorbild anderer Linksregierungen Lateinamerikas eine Verfassungsreform anstrebte, putschte am 28. Juni 2009 das Militär. Nach Wahlen unter der Ägide der Militärs wurde Zelayas zuvor unterlegener Gegner Porfirio Lobo Sosa Anfang 2010 zum Präsidenten erklärt.
Die Wahl: Am Sonntag wird gewählt, danach ist die Wahl entschieden. Honduras kennt keine Stichwahl. Wer die meisten Stimmen einsammelt, gewinnt.
Die Umfragen: Um die 30 Prozent der Stimmen geben Umfragen Xiomara Castro, der linken Kandidatin aufs Präsidentenamt. Damit liegt sie knapp vor Juan Orlando Hernandez von der rechten Nationalen Partei des derzeitigen Präsidenten Porfirio Lobo Sosa. Für einen Wahlsieg würde das genügen.
Die Kandidaten: Weit abgeschlagen hinter den beiden führenden ist ein kurioses Feld von sechs weiteren kandidaten, von Splitterparteien ganz links außen bis hin zu General Romeo Vásquez, der beim Militärputsch von 2009 Generalstabschef war und nun für eine von ihm gegründete politisch-militärische Rechtspartei antritt. Alle sechs sind chancenlos.
Es war bekannt, dass Varela gefährdet war. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission - eine Institution der Organisation Amerikanischer Staaten - hatte vorbeugende Schutzmaßnahmen für ihn angeordnet. Der Staat von Honduras war dieser Aufforderung nicht nachgekommen, die Todesschwadron hatte freie Hand.
Über 400 weitere der Opposition nahe stehende Honduraner genießen diesen Schutz, der nichts nützt. Und trotzdem hat Xiomara Castro, Ehefrau des vor vier Jahren gestürzten Zelaya, gute Chancen, am kommenden Sonntag zur Präsidentin von Honduras gewählt zu werden.
In den Straßen unsichtbar, in den Umfragen vorne
Im Straßenbild von Tegucigalpa ist Castro kaum zu sehen. Rein optisch ist ihr dort Juan Orlando Hernández von der rechten Nationalen Partei des derzeitigen Präsidenten Porfirio Lobo haushoch überlegen. Das glatte Konterfei des dynamischen 45-Jährigen klebt auf Plakatwänden, auf Hunderten von Stadtbussen, auf Tausenden von Taxis.
In den meisten Umfragen aber schnitt Hernández ein paar Prozentpunkte schlechter ab als die Frau des gestürzten Präsidenten. Zu sehr hat Lobo das arme Land noch weiter heruntergewirtschaftet. Die Liberalen, die sich, wenn nicht gerade das Militär regierte, seit über hundert Jahren mit den Nationalen im Präsidentenamt ablösten, sind seit dem Putsch von 2009 desavouiert.
Denn Zelaya war von der Liberalen Partei - genauso wie Roberto Micheletti, der Kopf der Verschwörer gegen ihn, der dann beim Putsch als Übergangspräsident eingesetzt worden war.
Das zumindest hat Libre in den gut zwei Jahren des Bestehens geschafft: Das traditionelle Zwei-Parteien-System wurde aufgebrochen. Zum ersten Mal haben die Honduraner eine größere Auswahl als die zwischen einem Großgrundbesitzer der Nationalen und einem Großunternehmer der Liberalen Partei. „Ohne den Putsch hätte es diese Öffnung der Parteienlandschaft wohl kaum gegeben“, sagt der Soziologe Rolando Sierra.
Außer Castro und Hernández treten sechs weitere Kandidaten an. Den kometenhaften Aufstieg von Libre führt Sierra auf zwei Faktoren zurück: Zum einen habe ein Teil der Anhänger der Liberalen Partei den Staatsstreich abgelehnt und sei weiterhin zum gestürzten Zelaya gestanden. Zum anderen ziehe die neue Linkspartei Wähler an, „die sich vorher nie mit einer Partei identifizieren konnten und deshalb nie gewählt haben“.
Xiomara Castro verspricht „demokratischen Sozialismus“
Programmatisch ist nichts neu an der neuen Partei: Xiomara Castro verspricht, den Faden wieder aufzunehmen, der mit dem Putsch gegen ihren Mann abgerissen worden war: Sie wolle einen „demokratischen Sozialismus“, vielleicht etwas näher an dem der linken lateinamerikanischen Präsidenten Evo Morales (Bolivien) und Rafael Correa (Ecuador) orientiert als an den eher sozialdemokratischen Modellen einer Dilma Rousseff (Brasilien) oder Michelle Bachelet (Chile).
Am Anfang müsse jedenfalls eine verfassungsgebende Versammlung und eine grundlegende Reform der Magna Carta stehen. Genau das wollte Zelaya auch und genau das war der Auslöser für den Putsch: Als er gegen den Willen der rechten Parlamentsmehrheit eine Volksbefragung über die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung durchsetzen wollte, schlugen die Militärs zu, verhafteten den Präsidenten im Morgengrauen und flogen ihn noch im Pyjama nach Costa Rica aus.
Xiomara Castro, heute 54, war damals nicht mehr als die Gattin des Präsidenten. Wie für First Ladies in Lateinamerika üblich, leitete sie ein Sozialprogramm. Politisch aber war sie blass. Erst mit dem erzwungenen Exil Zelayas gewann sie ein eigenes Profil. Sie blieb im Land, kämpfte für die Rückkehr des Gestürzten und stand auch an seiner Seite, nachdem er sich heimlich in die brasilianische Botschaft von Tegucigalpa geschlichen hatte und dort Monate lang vom Militär belagert wurde.
„Ich will nicht, dass das so weitergeht“
Heute tritt das Paar meist gemeinsam auf, beide im Country-Look, beide mit dem klassischen naturweißen Stetson-Hut mit breiter Krempe, der nach dem Putsch zu Zelayas Markenzeichen geworden war. Sie steht zunächst vorne am Mikrofon und hält die erste kurze Rede, dann tritt er aus ihrem Schatten und reißt die Zuhörer mit.
Zelaya ist die deutlich charismatischere Figur des Gespanns. Er selbst darf nicht mehr antreten. Die honduranische Verfassung verbietet die Wiederwahl eines Präsidenten. Doch wer Castro vorwirft, sie sei nur eine Marionette ihres Mannes, erhält die schnippische Antwort: „Ein bisschen mehr Respekt, bitte. Ich weiß sehr wohl, wie man Honduras aus der Krise führen kann.“
Inzwischen glauben sogar Unternehmer, dass sie das besser kann als ihr rechter Gegenspieler Hernández. „Die derzeitige Regierung ist eine Katastrophe“, sagt Adolfo Facussé. „Ich will nicht, dass das so weitergeht.“
Facussé ist nicht nur Vorsitzender des mächtigen nationalen Unternehmerverbands, er war auch einer der Financiers des Putschs gegen Zelaya. Jetzt ruft er - noch ein bisschen verschämt - zur Wahl von dessen Gattin auf. Denn in den vier Jahren Herrschaft der Nationalen Partei wurde Honduras mehr und mehr zum gescheiterten Staat. Das zentralamerikanische Land gilt heute mit 86 Morden pro 100.000 Einwohnern im Jahr als das gefährlichste Land der Welt außerhalb von Kriegszonen.
Todesdrohungen und politische Verfolgung
Nun will Kandidat Hernández mit dem Sicherheitsthema trumpfen. Als Parlamentspräsident hat er die Schaffung einer Militärpolizei durchgesetzt: Einheiten, die ausgerüstet mit Stahlhelm, schusssicherer Weste und Sturmgewehr durch die Armenviertel streichen, um dort die Alltagskriminalität zu bekämpfen. Sie sollen unter seiner Regierung „eine fundamentale Rolle dabei spielen, im Land ein Klima des Friedens zu schaffen.“ Vorerst versetzen sie eher die Opposition in Angst und Schrecken.
„Es gibt massenhaft Menschenrechtsverletzungen und politische Verfolgung“, sagt Berta Oliva, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Cofadeh. „Strafverfolgung dagegen findet schlicht nicht statt.“ Die Zahl der Opfer, die bedroht oder verfolgt werden, habe seit dem Putsch stetig zugenommen. Oft seien die Drohungen nicht direkt, sondern versteckt hinter dem Mantel der allgemeinen Kriminalität.
Edwin Robelo ist einer von denen, die Todesdrohungen erhalten haben, angeblich von einer Jugendbande. Der 37-jährige hat deshalb sein Haus in einem Mittelklasseviertel von Tegucigalpa verlassen und ist zusammen mit seiner Mutter untergetaucht. Zwei Wochen später wurde seine alleingelassene Wohnung von der Militärpolizei aufgebrochen und durchsucht. Nachbarn haben ihn informiert und er stellte die Sicherheitskräfte zur Rede. „Sie gaben mir schließlich einen schriftlichen Bescheid, auf dem stand, dass sie mein Haus durchsucht haben, weil ich zur Libre-Partei gehören würde.“
Er ist kein Einzelfall. „Es sind in erster Linie Mitglieder und Unterstützer von Libre, die Opfer von Verfolgung, Bedrohung und Mord werden“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von sieben honduranischen Menschenrechtsorganisationen. Es seien „staatliche Institutionen, die ein Klima des Terrors erzeugen, um damit dem Kandidaten der Nationalen Partei zu nützen“.
Sollte Einschüchterung nicht genügen, haben die traditionellen Parteien ein weiteres Instrument in der Hinterhand: den Obersten Wahlrat, der von Repräsentanten der Nationalen und Liberalen kontrolliert wird. Eine Manipulation des Ergebnisses wäre kein Problem.
Juan Barahona weiß das und glaubt, darauf vorbereitet zu sein. Der Gewerkschafter hatte während Zelayas Exil den Widerstand gegen die Putschisten angeführt und soll im Fall eines Wahlsiegs von Castro deren Stellvertreter werden. „Das Volk hat die Angst verloren“, gibt er sich optimistisch. „Es wird sich im Fall eines Wahlbetrugs nicht unterm Bett verkriechen, sondern auf der Straße stehen und weder Zelaya noch ich werden es aufhalten können.“
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