Präsidentschaftswahl in Algerien: Abstieg eines Pop-Idols
Einst verlieh er einer ganzen Generation eine Stimme. Heute singt die Rai-Legende Khaled für die Wiederwahl des algerischen Autokraten Bouteflika.
BERLIN taz | Unter den 60 prominenten Algeriern, die sich für den Clip zusammen getan haben, ist er mit Abstand der Berühmteste: der Pop-Sänger Khaled. Gemeinsam mit anderen algerischen Stars wie der Sängerin Kenza Farah und dem Ex-Fußball-Nationalspieler Lakhdar Belloumi singt er in dem Musikvideo ein Ständchen für die Wiederwahl des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika.
Ganz im Stil des Charity-Hits „We are the World“, mit dem sich US-Stars vor dreißig Jahren für Hungernde in Afrika engagierten, schmettert die Promi-Riege ihren „Schwur für Algerien“ und macht mit Geigen, Orient-Percussion und Chorgesang kräftig Stimmung für eine schlechte Sache.
Am 17. April wird in Algerien ein neues Staatsoberhaupt gewählt, und der 77-jährige Bouteflika tritt dabei zum vierten Mal an. Schon seine letzte Wiederwahl vor fünf Jahren war umstritten, weil dafür die Verfassung geändert werden musste, inzwischen gilt er als schwer krank. Von einem Schlaganfall geschwächt, mied er in den letzten Jahren die Öffentlichkeit. Doch offenbar haben die Armee und die Oligarchen keinen anderen geeigneten Kandidaten, den sie an seiner Stelle vorschicken können.
Es gab Proteste, die Opposition hat zu einem Boykott der Wahl aufgerufen. Der Pro-Bouteflika-Song ist die direkte Antwort auf die „Barakat“-Kampagne („Es reicht“), die sich gegen die Wahlfarce richtet. Denn die Wiederwahl des Präsidenten gilt als sicher, weil seine Gegenkandidaten keine Chance haben und Dissenz unterdrückt wird.
Khaled hat aus seiner Unterstützung für Bouteflika keinen Hehl gemacht. In Interviews ließ er verlauten, der Präsident habe für Aussöhnung, Frieden und Entwicklung gesorgt, darum sei ihm seine Stimme sicher. Trotzdem ist sein Auftritt in einem unverblümten Wahlwerbesong bemerkenswert. Denn der 1960 in Oran geborene Sänger gab einst einer ganzen Generation eine Stimme, die gegen die verkrusteten Strukturen in ihrem Land aufbegehrte.
Die musikalische Rai-Rebellion der 1980er-Jahre richtete sich auch gegen das System der ehemaligen Staatspartei, der Nationalen Befreiungsfront (FNL), die ihre Macht auf Gas und Öl stützt und deren Kandidaten Khaled nun demonstrativ unterstützt.
Empfohlener externer Inhalt
Für viele hat er damit die Seiten gewechselt. Kaum war der Videoclip vor zwei Wochen im Netz, hagelte es deshalb Häme und Kritik, und die Zahl der „Dislikes“ auf Facebook überstieg die Zahl der „Likes“ rasch um ein Vielfaches. Einige der Teilnehmer distanzierten sich und behaupteten, sie wären getäuscht worden.
Auch Khaled musste sich rechtfertigen, steigerte mit manchen seiner Aussagen aber nur die Peinlichkeit. Mal lobte er Bouteflika, dieser habe dafür gesorgt, dass man in algerischen Hotelbars heute Whisky finden könne. Dann behauptete er: „Dank Bouteflika haben wir Kartoffeln und Reifen in Algerien“. Und hieß es zuerst, er habe für seine Wahlkampfhilfe kein Geld erhalten, war plötzlich von 40.000 Euro die Rede.
Es ist die vorerst letzte Etappe im Abstieg des einstigen Idols und Sympathieträgers. Als Star der „Rai-Pop“-Bewegung sang Khaled, der damals noch den Rai-Ehrentitel Cheb („Der Junge“) trug, Hunderte von Kassetten ein. Nach 1986 verließ er Algerien, nicht zuletzt, um in Frankreich eine Pop-Karriere zu starten, was ihm auch gelang.
In den Neunzigerjahren landete er, als erster arabischer Sänger überhaupt, mit „Didi“ und „Aicha“ zwei Welthits, die sich von Istanbul bis Buenos Aires verkauften und vielfach gecovert wurden. Frankreich, wo seine Weltkarriere begann, verließ er aber schon im Jahr 2000, um sich in Luxenburg niederzulassen, auch aus Steuergründen.
Seit einiger Zeit lebt er nun mit seiner Familie in Marokko, und im vergangenen Jahr erhielt er dort von König Mohammed persönlich die marokkanische Staatsbürgerschaft verliehen, was vielen Algeriern sauer aufstieß.
Mit seinem letzten Album „C'est la vie“, das im vergangenen Jahr erschien, konnte er nicht an seine früheren Erfolge anknüpfen, sein nach wie vor markantes Organ wurde darauf unter zu viel Eurotrash-Sound begraben. Jetzt wurde bekannt, dass er mit der libanesischen Sängerin Nancy Ajram die arabische Coca-Cola-Hymne zur Fußball-WM in Brasilien singen wird. In den Augen vieler enttäuschter Fans lässt ihn all das immer mehr als einen käuflichen Opportunisten erscheinen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben