Präsidentschaftswahl Polen: „Es wird keinen geopolitischen Reset geben“
Wie steht es um die polnisch-europäischen Beziehungen? Sicherheitsexperte Kai-Olaf Lang sieht den neuen Präsidenten Nawrocki auf dem Kurs seines Vorgängers.
taz: Herr Lang, trotz Hoffnung der liberalkonservativen Kräfte in Polen, ist nun doch mit Karol Nawrocki erneut ein PiS-naher Präsident gewählt worden. Ein schlechtes Zeichen für die europäischen Partner?
Kai-Olaf Lang: Die Konstellation aus europafreundlicher bis europapragmatischer Regierungskoalition und einem nationalkonservativen Staatsoberhaupt ist nicht neu. Der bisherige Präsident Duda als auch Nawrocki kommen aus demselben politischen Lager und haben ähnliche Vorstellungen bezüglich der EU: Sie möchten eine lockere Gemeinschaft, in der die Mitgliedstaaten das Sagen haben. Nawrocki wird sicherlich den Kontakt zu ähnlich Denkenden, nationalstaatlich orientierten Kräften in Europa suchen, auch wenn diese im Einzelnen vielleicht abweichende Positionen einnehmen. Etwa mit der italienischen Ministerpräsidentin Meloni oder dem ungarischen Regierungschef Orbán. Er wird versuchen, das souveränistische Lager in der Europäischen Union zu stärken und der Regierung das Leben in der Innenpolitik, aber auch der Europapolitik schwer zu machen.
taz: Welche Wirkmacht hat er als Präsident auf außenpolitischer Ebene?
Lang: Die Kompetenzen des Staatsoberhaupts in der Außenpolitik sind begrenzt. Es ist die Regierung, die die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik im Wesentlich gestaltet. Allerdings hat der Präsident durchaus Gewicht, so muss er zum Beispiel internationale Verträge ratifizieren oder Botschafterinnen und Botschafter ernennen. Durch die Möglichkeit, gegen Gesetzesvorhaben ein Veto einzulegen, kann er überdies indirekt gerade in die Europapolitik eingreifen. Das war und ist ein Thema im Zusammenhang mit der Rückabwicklung der Justizreform aus der Zeit der Regierungen der PiS. Denn hierfür bedarf es auch legislative Prozesse. Darüber hinaus wird es keinen sicherheits- oder geopolitischen Reset geben, nur weil ein Nationalkonservativer die Wahlen gewonnen hat. Das hat der bisherige Amtsinhaber schon gezeigt. Nicht nur, weil ihm hier die Befugnisse fehlen, sondern auch weil Nawrocki und seine politische Option in Sachen Russland eine harte Gangart fordern und eine starke NATO-Ostflanke wollen.
taz: Zum Beispiel die Ukraine. Polen gilt als einer der großen Unterstützer seit dem Beginn der Vollinvasion 2022. Welche Rolle wird Nawrocki, in der polnisch-ukrainischen Beziehung spielen?
Lang: Auch wenn der Zungenschlag gegenüber der Ukraine bei Nawrocki kritisch ist, wird sich sicherheitspolitisch wenig verändern. Wir können davon ausgehen, dass Nawrocki die Linie seines Vorgängers beibehalten wird. Auch Nawrocki sieht Russland als den Aggressor an und möchte eine unabhängige und sichere Ukraine. Allerdings wird er geschichtspolitische Fragen stärker betonen und die Wahrung polnischer Belange etwa im Kontext der Annäherung der Ukraine an die EU beziehungsweise der Beitrittsverhandlungen anmahnen. Auch die Regierung Tusk hat etwa beim Import landwirtschaftlicher Güter und bei strittigen historischen Fragen durchaus polnische Interessen durchgesetzt, doch Nawrocki könnte wird keine Chance auslassen, die Regierung als nachgiebig darzustellen. Vermutlich wird Nawrocki versuchen, Polens Umgang mit der Ukraine aus einer Position der Stärke heraus zu formulieren. Und er greift damit Stimmungen in der Bevölkerung auf, in der immer mehr Menschen zwar die sicherheitspolitische Unterstützung für die Ukraine nicht revidieren wollen, aber mehr „Dankbarkeit“ und Entgegenkommen vom Nachbarland erwartet. Dass Nawrocki sich gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine ausspricht, dürfte weniger ein Paradigmenwechsel sein, sondern war eher ein wahlkampftaktisches Zugeständnis an die Nationalisten. Sollte die Ukraine tatsächlich einmal eine realistische NATO-Aufnahmeperspektive bekommen, würde sich Nawrocki wohl nicht sperren. Er könnte aber die Mitgliedschaft des Nachbarlands in der NATO, wie auch in der EU, an Bedingungen, etwa im Bereich der Geschichtspolitik knüpfen. Aber dies alles ist hypothetisch.
taz: Nawrocki ist als Präsident auch Oberbefehlshaber der polnischen Streitkräfte. Bisher lehnte Warschau den Einsatz eigener Truppen ab. Wird es dabei bleiben?
Lang: Über die Lager hinweg ist man sich einig, dass Polen keine Soldaten für eine mögliche Friedenssicherung schicken wird. Nawrocki wird daran nichts ändern wollen, auch weil in großen Teilen seiner Wählerschaft, aber auch in der polnischen Bevölkerung insgesamt eine solche Form der Unterstützung für die Ukraine abgelehnt wird. Auch für die Regierung, die ja geschwächt aus der Wahl hervorgeht, wäre eine Kehrtwende in dieser Frage riskant.
taz: Immer wieder gibt es Zweifel unter den europäischen Partner, wie verlässlich die US-Regierung in Bezug auf Europas Sicherheit und den Krieg in der Ukraine ist. Nawrocki hat gute Kontakte in das politische Lager von Donald Trump. Welche Rolle könnte er spielen?
Lang: Auch manch andere Europäer haben gute Kontakte zu Trump oder seiner Administration, doch wer wirklich Einfluss auf Trumps Handels- und Russlandpolitik hat, ist unklar. Daher wage ich zu bezweifeln, dass Nawrocki etwas verändern kann oder gar als Emissär der Europäer agieren könnte. Aber vielleicht könnte er für Polen etwas herausschlagen, indem er Trump Loyalität anbietet und dafür etwa fortgesetztes sicherheitspolitisches US-Engagement erwirkt. Auch in solchen Fragen müsste er sich dann mit der polnischen Regierung gut koordinieren.
taz: Nach der Wahl des liberalkonservativen Tusk hatte die EU-Kommission EU-Gelder in Milliardenhöhe ausgezahlt, die zuvor wegen dem Abbau der Rechtsstaatlichkeit eingefroren worden waren. War die Entscheidung aus Brüssel verfrüht?
Lang: Die EU bzw. die Europäische Kommission wollte offenkundig die neue Regierung Tusk stützen und die von ihr angekündigte und in Teilen auch praktizierte Rechtsstaatspolitik honorieren. Die EU wusste, wie die innenpolitischen Parameter in Polen sind, dass also wichtige Gesetzesänderungen wohl blockiert werden würden und eine Rechtsstaatlichkeitswende in Polen erst finalisiert werden kann, wenn es einen neuen Präsidenten geben würde. Hätte man EU-Mittel nicht freigegeben, hätte Tusk eines seiner wichtigsten Wahlversprechen, nämlich den raschen Zugang zu europäischen Geldern, nicht einlösen können, obwohl er ja den Forderungen Brüssels nachkommen wollte.
taz: Nawrocki gilt als antideutsch. Der neue Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Knut Abraham, geht trotz seines Sieges nicht von weitreichenden Folgen für Deutschland aus. Zurecht?
Lang: Man hatte eigentlich nach den Parlamentswahlen und dem Regierungswechsel Ende 2023 gehofft, dass ein Neuanfang in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit kommt, aber der blieb aus. Jetzt bekommt man einen selbstbewussten Staatspräsidenten, der, wie die Nationalkonservativen in den letzten Jahren, Tusk immer wieder unter den Generalverdacht stellen wird, ein willfähriger Handlanger deutscher Interessen zu sein. Man muss also davon ausgehen, dass es in den deutsch-polnischen Beziehungen keine großen positiven Feuerwerke geben wird. Gleichzeitig wird Tusk unter Druck geraten, auch weil die PiS schon wieder auf die nächsten Parlamentswahlen hinarbeitet. Er könnte versuchen, Sympathien aus dem moderat konservativen Lager oder von der Konföderation zurückzugewinnen, der Wind wird also rauer. In der Praxis wird aber auch in der polnischen Deutschlandpolitik vieles so bleiben wie bisher. Die Regierung Tusk bleibt in Fragen wie Migrationspolitik und Grenzkontrollen konsequent und Deutschland-kritisch. Sie wird von Deutschland mehr Verantwortung, und das heißt auch finanzielle Verantwortung für Europas Sicherheit anmahnen und sie möchte, dass Deutschland bei der europäischen Klimapolitik mehr Wirtschaftsorientierung berücksichtigt. Das ist nicht neu, nur dass Tusk in allen diesen und vielen anderen Fragen unentwegt Entschlossenheit zeigen muss.
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