Präsidentschaftswahl Polen: Ex-Boxer oder Schickimicki-Bubi
Die nationalpopulistische PiS unterstützt im Wahlkampf den Ex-Boxer Karol Nawrocki. Doch die Bevölkerung ist skeptisch, in Umfragen führt ein anderer.
A licja und Slawka schauen sich ein Tiktok-Video an. Die beiden Freundinnen sitzen im Zug nach Warschau. Ein schon ziemlich ramponierter Boxer geht mit blutiger Nase zu Boden. Das Video startet von vorne, läuft in Dauerschleife. Die Freundin mit den langen schwarzen Haaren schaut die andere verständnislos an. „Erkennst Du ihn nicht?“, fragt Alicja. „Das ist unser künftiger Staatspräsident Karol Nawrocki“, erklärt sie ihrer Begleiterin. Jetzt schielen auch die anderen Passagiere Richtung Handy.
„Haben Sie etwas gegen Boxen? Das ist ein ehrlicher Sport“, meldet sich unerwartet ein Berliner mit schütterem braunem Haar zu Wort. Er spricht Polnisch mit deutschem Akzent. „Ich bin Thomas“, sagt er und vergleicht die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl: „Dieser Schickimicki-Bubi Rafał Trzaskowski aus Warschau kann doch da gar nicht mithalten!“
Der Präsidentschaftswahlkampf in Polen ist in vollem Gange. Manche der sieben Kandidaten sind aus der laufenden Politik gut bekannt, andere – wie der nationalpopulistische Historiker und Wissenschaftsmanager Karol Nawrocki – eher unbekannt. Dabei muss die polnische Bevölkerung erst im Mai 2025 wählen. Das genaue Datum steht bisher noch nicht fest. In den aktuellen Umfragen führt zwar der liberalkonservative Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, der vor fünf Jahren den Einzug in den Präsidentenpalast nur knapp verpasste, doch Nawrocki ist ihm dank geschickter Wahlwerbung der Recht und Gerechtigkeit PiS schon dicht auf den Fersen.
Die Partei hofft, dass Nawrocki die Nachfolge des bisherigen PiS-nahen-Präsidenten antreten wird. Der Erhalt der Präsidentschaft würde für die PiS bedeuten, weiterhin die Politik der verhassten Mitte-Links-Koalition blockieren zu können.
Ela schüttelt den Kopf. Die Mittvierzigerin mit dem blonden Kurzhaarschnitt drückt einen schwarzen Leinenbeutel an sich. Markant sticht der rote Blitz hervor, das Symbol für den Frauenstreik, Polens mächtige Frauenbewegung. Sie sagt: „Es gibt ja auch Frauen, die boxen. Sollen die jetzt nicht für das Amt der polnischen Präsidentin kandidieren dürfen?“
Slawka antwortet: „Die Linke hat vor ein paar Tagen Magdalena Biejat aufgestellt. Die einzige Frau im Wahlkampf. Immerhin! Aber wozu über Ex-Boxerinnen im Präsidentenpalast reden? Biejat hat leider auch so kaum eine Chance.“
„Genau“, antwortet Thomas aus Berlin, „eine Boxerin als Präsidentin wäre unmöglich. In Deutschland übrigens auch. Man stelle sich mal vor – eine Boxerin statt Steinmeier in Bellevue!“
Was denn seiner Meinung nach dagegen spräche, fragen die Frauen ihn. Der Berliner zeigt auf seinem Handy das Video eines Frauenboxkampfes herum und kommentiert es auf Polnisch: „Weil die ganze Welt dann ständig solche Bilder zu sehen bekäme. Das wäre doch peinlich. Ich jedenfalls als Deutscher würde mich schämen, von so jemandem repräsentiert zu werden.“
Ela reagiert darauf empört: „Und bei einem Präsidenten-Boxer würden Sie sich nicht schämen? Wieso das denn?“ Für Thomas aber ist die Sache klar: „Vitali Klitschko macht es jeden Tag vor. Der Ex-Boxweltmeister ist seit Jahren Bürgermeister von Kyjiw. Niemand macht sich über seine Boxkarriere lustig. Im Gegenteil – der Ukrainer ist gerade auch wegen seiner Boxtitel ein gefragter Politiker.“
Slawka lacht kurz auf: „Soweit mir bekannt ist, war Nawrocki nie Boxweltmeister. Man kann ihn nicht mit Klitschko vergleichen.“ Sie deutet auf Alicjas Handy und das Box-Video des jungen Nawrocki. „Natürlich ist sein Wahlprogramm wichtiger. Aber die Würde des Präsidentenamtes verlangt eben auch von den Kandidaten, dass ihre Hobbys nicht peinlich wirken.“
Alicja grummelt ein bisschen vor sich hin und beendet die Diskussion im Zugabteil: „Wahrscheinlich werden am Ende die meisten Polen und Polinnen für den Boxer stimmen, ich aber mit Sicherheit nicht!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr