Präsidentin instrumentalisiert Nationalelf: Sieg für Chile und für Bachelet
Die sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet reklamiert das gute Auftreten der „La Roja“ in Brasilien für sich – mit großem Erfolg.

BUENOS AIRES taz | Den Auftakt machten die 33 Bergleute von San José: Mit der Videobotschaft, dass für einen Chilenen da draußen in der Welt nichts unmöglich ist und dass er den Tod nicht fürchten muss, schickten sie ihre National-mannschaft nach Brasilien. Eigentlich ist die sensationelle Rettung der 33 Bergleute im Jahr 2010 untrennbar mit der Präsidentschaft des konservativen Multimillionärs Sebastián Piñera verbunden. Und wohl auch nur deshalb wird Piñera der Welt und vielen Chilenen in Erinnerung bleiben.
Die PR-Abteilung von Chiles gegenwärtiger Präsidentin Michelle Bachelet hat den Ball jedoch sofort aufgenommen und begriffen, dass jeder Sieg ein Sieg für Chile und einer für Bachelet sein muss: Das 3:1 gegen Australien widmete die Präsidentin den Opfern der Erdbeben am Ende ihrer ersten Amtszeit und der Brände in und um die Hafenstadt Valparaiso zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit. Das 2:0 gegen Spanien nannte sie gar die 57. Maßnahme ihrer ersten 100 Tage, für die sie beim Amtsantritt am 11. März lediglich 56 Maßnahmen angekündigt hatte.
Jetzt fehlt nicht mehr viel, bis sie verkündet, dass sie den Grundstein für den Erfolg der chilenischen Nationalmannschaft bereits in ihrer ersten Amtszeit 2006 bis 2010 legte, dass die Zeit unter ihrem Nachfolger Sebastián Piñera (2010–2014) nur eine kurze und glücklose Unterbrechung war und dass Chile der Welt endlich gezeigt hat, dass man oben ganz selbstverständlich dazugehört.
Zumindest mit der Grundsteinlegung hätte Bachelet nicht unrecht. Vor ihr konnte sich kein Präsident mit Erfolgen der chilenischen Fußballnationalmannschaft schmücken. Auch die Fans pilgerten eher wegen der prominenteren Gastmannschaften zu den Länderspielen als wegen der eigenen undisziplinierten Kicker. Den beschämenden Höhepunkt markierte das Jahr 1989. Im WM-Qualifikationsspiel gegen Brasilien im Maracanã-Stadion brach Chiles Torhüter Roberto Rojas in der 67. Minute von einem Feuerwerkskörper getroffen zusammen. Blutüberströmt wälzte er sich am Boden, das Spiel wurde abgebrochen.
Rasierklinge im Handschuh
Fernsehbilder bewiesen jedoch, dass der Feuerwerkskörper Rojas gar nicht getroffen hatte. Schließlich stellte sich heraus, dass er sich die Verletzung mit einer in seinem Handschuh eingeschmuggelten Rasierklinge selbst beigebracht hatte. Brasilien wurde nachträglich zum Sieger erklärt, Chile verpasste die WM-Quali für Italien und wurde von der 94er WM in den USA ausgeschlossen. Im heutigen Jubel auf Chiles Straßen liegt auch die Erlösung von der Schuld.
Fühlt sich Bachelet als Mutter des Erfolges, so ist der Vater nicht anwesend: Marcelo Bielsa. Der Argentinier, der das Team von 2007 bis 2010 trainierte, scheidet Chiles Profifußball in ein Vorher und ein Nachher. 2007 trainierte La Roja erstmals unter modernsten Bedingungen für die Qualifikationsspiele für die WM 2010 auf renoviertem Gelände – und kam nach 12 Jahren ohne Qualifikation bis ins Achtelfinale.
Den Weg dahin hatte der damalige Verbandspräsident Harold Mayne-Nicholls geebnet. Mayne-Nicholls hatte Bachelet nach ihrem Amtsantritt 2006 im Präsidentenpalast aufgesucht und sie von der Bewerbung um die Austragung der U20-Frauen-WM 2008 überzeugt. Bachelet versprach Unterstützung und Investitionen in neue Stadien und Trainingsanlagen.
Chile erhielt den Zuschlag, und Bachelet ließ vier Fußballstadien umbauen. Zudem wurde das Nationalstadion in der Hauptstadt Santiago modernisiert sowie Stadien in elf weiteren Städten verbessert. In ihre Amtszeit fällt auch die erfolgreiche Bewerbung um die Südamerikameisterschaft 2015, die sie wohl als wieder amtierende Präsidentin eröffnen wird.
Der alte Schlendrian
Bachelet traf Bielsa erstmals im Oktober 2009, nachdem sich Chile bereits für die WM in Südafrika qualifiziert hatte. Die Beziehung zwischen den beiden entwickelte sich derart, dass Bachelet gut ein Jahr später mitteilen musste, sie hätte „schon so etwas wie Lust gehabt“ und das Gerede störe sie persönlich nicht, denn sie sei Single, für den verheirateten Bielsa müsse es dagegen schwieriger sein.
Der Rest ist schnell erzählt: Harold Mayne-Nicholls wurde unter dem rechten Präsidenten Piñera abgelöst. Bielsa kündigte deshalb seinen Vertrag. Unter dem Nachfolgetrainer Claudio Borghi riss der alte Schlendrian wieder ein. Ende 2012 zog der Verband die Reißleine. Mit dem Argentinier Jorge Sampaoli verpflichtete der Verband einen 150-prozentigen Bielsa-Jünger. Bachelet ist wieder Präsidentin. Fehlt nur noch der Pokal.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links