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Präsidentenwahl in GeorgienMikheil Kawelaschwili köpft ein

Ein Ex-Profifußballer wird zum neuen Staatschef gewählt. Er ist der Regierung treu ergeben. Das Votum im Parlament wird von Massenprotesten begleitet.

Protest dem georgischen Parlament am Samstag in Tbilisi Foto: Zurab Tsertsvadze/AP/dpa

Berlin taz | Schon gegen 7 Uhr morgens Ortszeit versammeln sie sich an diesem Samstag vor der Philharmonie in der georgischen Hauptstadt Tbilisi. Ziel der Tausenden von De­mons­tran­t*in­nen mit georgischen und EU-Flaggen ist, wie in all den Tagen seit Ende November, das knapp zwei Kilometer entfernte Parlamentsgebäude auf dem Rustaveli-Bouleward.

Dort wartet, wie auch auf dem Freiheitsplatz, bereits ein riesiges Polizeiaufgebot. Das Gelände ist weiträumig abgesperrt. Einige der Protestierenden haben ihre Universitätsdiplome mitgebracht, die sie in die Höhe halten. Andere haben rote Karten und Fußbälle dabei, die sie sich lässig zuspielen.

Die eher ungewöhnlichen Attribute sind eine Anspielung auf die Präsidentenwahl, die einige Stunden später erstmals im Parlament über die Bühne gehen soll. Seit der Unabhängigkeit der Südkaukasusrepublik 1991 war das Staatsoberhaupt von der Bevölkerung gewählt worden.

Zur Wahl für den vor allem repräsentativen Posten steht nur ein Kandidat: Mikheil Kawelaschwili, seines Zeichens ehemaliger Profifußballer ohne Hochschulabschluss – dafür aber und was das Wichtigste ist – stramm auf Kurs der Regierungspartei Georgischer Traum (KO). Am frühen Nachmittag ist das Spektakel bereits vorbei. 224 von 225 anwesenden Ver­tre­te­r*in­nen des Wahlkollegiums aus Abgeordneten und Entsandten der Regionen haben für Kavelaschwili gestimmt.

Boykott der Opposition

Einer der ersten Gratulanten ist Regierungschef Irakli Kobachidze. Georgien habe seit mehr als 20 Jahren keinen Präsidenten mehr gehabt, der sowohl patriotisch als auch psychologisch ausgeglichen gewesen sei. „In dieser Hinsicht wird Micheil Kawelaschwilis Präsidentschaft ein Wendepunkt für unser Land sein“, sagt Kobachidse. Externe Kräfte hätten das Amt des Präsidenten dazu genutzt, die Gesellschaft zu spalten und die verfassungsmäßige Ordnung künstlich zu schwächen.

Am Samstag bleiben alle Abgeordneten der vier Oppositionsgruppierungen der Wahl fern, wie überhaupt allen Sitzungen des Parlaments. Dies ist ihr Protest gegen die Parlamentswahl vom 26. Oktober, die der KO angeblich mit 54 Prozent der Stimmen gewonnen hat.

Nichtregierungsorganisationen hatten zahlreiche Unregelmäßigkeiten und Verstöße gegen die Wahlgesetze in Form von Wähler*innenbeeinflussung, Stimmenkauf sowie massivem Druck auf Wahl­be­ob­ach­te­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen dokumentiert. Doch das änderte nichts. Der KO regiert durch.

Die Opposition erkennt das Wahlergebnis nicht an, genauso so wenig, wie die scheidende proeuropäische Staatspräsidentin Salome Zurabischwili. Man sei Zeuge und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden, der modernen Form eines hybriden Krieges gegen das georgische Volk, hatte die 72-Jährige nach den Wahlen gesagt.

In der Schockstarre

In den ersten Wochen nach dem 26. Oktober verfiel die Opposition zunächst in eine Art Schockstarre. Dies änderte sich abrupt, als Regierungschef Irakli Kobaschidze Ende November öffentlich erklärte, die Beitrittsgespräche mit der EU bis mindestens 2028 einfrieren zu wollen. Seit Dezember vergangenen Jahres war Georgien EU-Beitrittskandidat.

Seit Kobachidzes Ankündigung gehen täglich zig Tausende auf die Straße und das nicht nur in Tbilisi. Das sich zunehmend autoritär gebärdende Regime schlägt brutal zurück, fast täglich kommt es zu Gewaltexzessen. Hunderte von Protestierenden werden festgenommen, Teil­neh­me­r*in­nen der Kundgebung hemmungslos zusammengeschlagen, auf einige von ihnen wird regelrecht Jagd gemacht. Auch zahlreiche Jour­na­lis­t*in­nen sind von der Gewalt betroffen.

Fest an der Seite der Protestierenden, die für eine Zukunft in Europa kämpfen, steht Zurabischwili. Sie will den Orbeliani-Palast, Amtssitz des Staatsoberhauptes, nach der Amtseinführung ihres „Nachfolgers“ am 29. Dezember, nicht verlassen.

Zeremonie wird verschoben

Am Samstag wird Zurabischwili mit Applaus und „Salome, Salome“-Rufen von den Protestierenden empfangen. Am Tag zuvor hat sie in den sozialen Medien einen Kommentar abgesetzt. Darin heißt es: „Vor einem Jahr hat Georgien den Kandidatenstatus erhalten. Heute „wählt“ ein Zentralkomitee wie das „Parlament“ einen „einzigen“ Kandidaten in einer Art Verhöhnung der Demokratie. Das wird Georgien niemals davon abhalten, seinen Weg fortzusetzen – nach Europa und in eine demokratische Zukunft!“

Am Samstagabend haben sich noch mehr De­mons­tran­t*in­nen vor dem Parlament eingefunden. Auch die Sicherheitskräfte, viele von ihnen mit Masken, haben noch einmal nachgerüstet. Eigentlich ist geplant, dort einen Weihnachtbaum zu illuminieren.

Doch der Bürgermeister von Tbilisi Kakha Kaladze, ebenfalls ein überzeugter Parteigänger des KO, kündigt an, die Zeremonie werde verschoben. „Die festliche Veranstaltung wird stattfinden, wenn die radikale Opposition aufhört, Kinder zu bedrängen und es diesen ermöglicht, sich an der Weihnachtsbaumbeleuchtung zu erfreuen“, sagt er. Der heutige Tag sei nur eine weitere Bestätigung dafür, dass der liberale Faschismus in Georgien ein Ende haben müsse. Russlands Präsident Wladimir Putin lässt grüßen.

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10 Kommentare

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  • Mit Präsident Sackarschwilli hatte Georgien ja bereits einen Verrückten als Präsidenten. Also sind es die Leute gewöhnt.

  • "Seit Kobachidzes Ankündigung gehen täglich zig Tausende auf die Straße und das nicht nur in Tbilisi."

    Es wäre hilfreich, wenn die Zahlen der Demonstrierenden etwas konkreter wären. Es ist allen Berichten ist von "Tausenden" die Rede. Eine sehr, sehr wage Angabe. Für Leserinnen, die sich selbst ein Bild vom Umfang der Proteste machen wollen, ist es so schwierig einzuschätzen, wie groß der Rückhalt in der Bevölkerung ist. Allein Tiflis hat ja eine Million Einwohner...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wer schon mal in Georgien war, weiß, dass es unmöglich ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich Russland annähern will. Russland und die Russen werden dort verachtet, und die Georgier haben schon aus historischen Gründen allen Grund dazu.

      • @Suryo:

        Vielleicht hat aber auch nur eine Mehrheit der Georgier keine Lust, dass Batumi bald wie Bachmut aussieht?

        Das Thema spielte im Wahlkampf eine große Rolle.

        Übrigens bedeutet Vorsicht gegenüber Russland nicht automatisch Unterwerfung. Es gibt auch Wege dazwischen. Aber z.Z. gibt sich die EU alle Mühe, die georgische Regierung durch ein striktes entweder/oder weiter in Richtung Putin zu treiben. Ihn wird es freuen...

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Man merkt, dass Sie nie in Georgien waren.



          Das waren niemals freie Wahlen.

          Im Übrigen sind der Beitritt zur EU und zur NATO Staatsziele Georgiens und in der Verfassung verankert. Das „Entweder-Oder“ ist georgische Staatsraison.

          Und außerdem: zwischen dem russischen Faschismus, in dem alle Entscheidungen vom Kreml getroffen werden und Menschenrechte nicht mehr existieren, und der Demokratie gibt es auch sonst keinen Mittelweg. Wie soll der aussehen? Ein bisschen Russkij Mir? Modell Ungarn?

  • Was soll das denn heissen, "ohne Hochschulabschluss"?

    Ist das neuerdings ungeschriebene Voraussetzung für ein Präsidentenamt, so dass z.B. Laumann ("nur" Hauptschulabschluss) nicht in Frage käme?

  • Das wird - siehe Rumänien, siehe Trump 2016- wohl das Instrument, um "nicht passende" Wahlergebnisse abzuräumen. Die Russen haben die Wahl gekapert. Der Vorwurf- ohne Beweis- reicht dann, um die Wahl zu annullieren. Dass Georgien ein gespaltenes Land ist - hey, so lange nur unsere Seite gewinnt, ist das Demokratie. Man sollte einmal lesen, dass Georgien nicht ganz so einfach funktioniert.



    www.stern.de/polit...int--35289820.html