Präsidentenwahl in Frankreich: Macron muss zittern
In der zweiten Runde trifft der Amtsinhaber, wie 2017, auf die Rechtspopulistin Marine Le Pen. Sie könnte von rechten und linken Stimmen profitieren.
Le Pen bekommt die Chance zu einer Revanche für ihre damalige krasse Niederlage: sie war 2017 mit 34 zu 66 Prozent deutlich von Macron besiegt worden. Die Kräfteverhältnisse haben sich seither geändert. Stand Le Pen vor der Stichwahl 2017 ziemlich isoliert da, kann sie dieses Mal auf die Unterstützung des Rechtsextremen Éric Zemmour rechnen. Er ging aus der ersten Runde mit 7 Prozent hervor und rief seine Anhänger*innen auf, in zwei Wochen geschlossen für seine einstige Rivalin zu stimmen.
Laut Umfragen sagen 90 Prozent der Zemmour-Wähler*innen der ersten Runde, sie würden am 24. April Le Pen wählen. Sie kann aber auch mit rund 30 Prozent der Stimmen aus dem Lager von Valérie Pécresse rechnen, Kandidatin der konservativ-gaullistischen einstigen Regierungspartei „Republikaner“. Sie kam auf gerade einmal 4,8 Prozent.
Auf der Linken wollen etwa ein Fünftel der Wähler*innen von Jean-Luc Mélenchon ebenfalls der rechtsextremen Finalistin den Vorzug geben, angeblich aus unversöhnlicher Wut auf Macron. Der Kandidat der Linkspartei „France insoumise“ hatte nach einem Schlussspurt im Wahlkampf mit 21,95 Prozent Le Pen sogar noch fast eingeholt und so die Qualifizierung für das Finale nur knapp verpasst.
Nicht motiviert
In seinem Lager herrscht Verbitterung über diese knappe Niederlage, für die meistens die anderen Linksparteien, die alle Bestrebungen einer Einheitskandidatur vereitelt hatten, verantwortlich gemacht werden. In mehreren Reportagen französischer Fernsehsender sagen Anhänger*innen des linken Volkstribuns, sie seien nicht motiviert, an der Urne zwischen Macron und Le Pen zu wählen.
Das wird für Macron zu einem großen Unsicherheitsfaktor vor der Stichwahl, in der er immer noch als Favorit gilt. Erste Umfragen, noch unter dem Eindruck des Ausgangs der ersten Wahlrunde, sprechen von einem Sieg für Macron in der Größenordnung von 54 zu 46 Prozent. In Wirklichkeit schließen viele Kommentare in den französischen Medien es nicht mehr aus, dass Marine Le Pen diese Wahlen gewinnen könnte.
Und dies nicht nur, weil auch manche Wähler*innen der rechten Mitte am Ende ihr den Vorzug vor Macron geben könnten, sondern vor allem weil ein beträchtlicher Teil der linken Wählerschaft dieses Mal nicht mehr Macron wählen will und die Stichwahl boykottieren könnte – selbst wenn das zur Folge haben könnte, dass das Unfassbare passiert: dass die extreme Rechte an die Macht kommt.
Die Warnung, dass Le Pen eine tödliche Gefahr für die Demokratie darstelle, zieht als abschreckendes Argument nicht mehr wie früher. Ohnehin haben die Losungen der Parteien und Spitzenpolitiker insgesamt an Gewicht verloren. Manchmal geben andere Kriterien den Ausschlag: Marine Le Pen wäre die erste Frau im Élysée-Palast.
Wichtigste politische Weichenstellung
Auch eine wachsende Verdrossenheit ist spürbar. Die Wahl des Staatspräsidenten ist angesichts der großen Befugnisse des Staatschefs alle fünf Jahre die wichtigste politische Weichenstellung in Frankreich. Dennoch war die Beteiligung beim ersten Durchgang an diesem Sonntag mit weniger als 75 Prozent noch geringer als 2017 und 2012.
Im Fernsehen nannten die Experten als Gründe ein Desinteresse von Bevölkerungsgruppen, die sich nicht repräsentiert fühlen, Groll gegen die Staatsführung seit der Bewegung der Gelbwesten sowie einen Boykott aus politischer Überzeugung. Zudem begannen in einem Teil des Landes die Osterferien.
Bei diesen Wahlen zeichnet sich für Frankreichs nächste Jahre eine neue politische Landschaft ab, aus der gewisse traditionelle Regierungsparteien, namentlich die Sozialisten und die Konservativen, fast verschwunden sind. Die Konservative Valérie Pécresse (4,8 Prozent) musste wie ihr Konkurrent von den Grünen, Yannick Jadot (4,6 Prozent), bereits am Montag um Spenden betteln.
Denn bei einem Resultat unter 5 Prozent werden die Wahlkampfkosten nicht aus der Staatskasse vergütet. Besonders dramatisch ist die Krise bei den Sozialisten, die mit Kandidatin Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin von Paris, mit 1,7 Prozent zu einer Splitterpartei deklassiert wurde. Das stellt die Zukunft einer historischen Partei in Frage, die noch vor fünf Jahren mit François Hollande als Präsident Frankreich regiert hatte. Hidalgos persönliche Karriere als Bürgermeisterin von Paris endete am Sonntag ebenfalls.
Um die Mehrheit bringen
Die Parteien der eliminierten etablierten Kandidaten hoffen nun, dass sie bei der Parlamentswahl im Juni besser abschneiden und nicht nur ihre Existenzberechtigung und zahlreiche Sitze in der Nationalversammlung verteidigen, sondern womöglich sogar Macron um die Mehrheit bringen. Mélenchons „France insoumise“ träumt sogar schon davon, den Präsidenten nach dessen Wiederwahl durch eine „Kohabitation“ mit einer oppositionellen linken Mehrheit im Parlament an die Kandare zu nehmen. Viel eher zu erwarten ist indes, dass sich im Juni der politische Rechtsrutsch fortsetzt.
Mit der Bekanntgabe der Ergebnisse am Sonntag hat zunächst eine viel stärker polarisierte Kampagne begonnen. „Noch ist nichts geklärt und nichts gewonnen“, räumte Macron ein. In seiner Rede am Sonntagabend sagte er auch, er sei bereit zu einer Öffnung, um „mit Menschen unterschiedlicher Überzeugungen und Affinitäten für die kommenden Jahre eine gemeinsame Politik im Dienst der Nation zu erfinden“.
Was er damit konkret meint, muss Macron noch erklären. Bereits am Montag besuchte er im nordfranzösischen Denain eine Region, die als Hochburg seiner rechtsextremen Gegnerin gilt. Am Samstag wird er zu einer Großveranstaltung in Marseille erwartet, wo Mélenchon mit Ergebnissen von mehr als 50 Prozent in den nördlichen Stadtteilen an erster Stelle lag.
War im Vorfeld der ersten Runde der Eindruck entstanden, Macron habe für den Wahlkampf keine Zeit, scheint er sich jetzt kampfentschlossen in die Arena stürzen zu wollen. Höhepunkt des Wahlduells wird die für den 20. April geplante Fernsehdebatte zwischen ihm und Le Pen.
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