Präsidentenwahl in Brasilien: Der Bolsonarismus lebt
Entgegen aller Untergangshymnen hat es Brasiliens rechtsextremer Präsident in die Stichwahl geschafft. Das zeigt: Bolsonaros Bewegung ist stark.
W elche Untergangshymnen wurden nicht schon auf Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro angestimmt. Seine schulterzuckende Coronapolitik, der Raubbau am Regenwald, der rüpelhafte Ton – dieser Mann wird die Wahl haushoch verlieren! Nach der Wahl ist man immer schlauer und in Brasilien weiß man nun vor allem eins: Der Bolsonarismus ist stark und lebendig.
Zwar lag der erneut kandidierende Ex-Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva bei der Wahl am Sonntag stolze 6 Millionen Stimmen vor dem ultrarechten Amtsinhaber. Doch Bolsonaro schnitt viel besser ab, als alle Demoskop*innen prognostiziert hatten – ähnlich wie bei Donald Trump vor seiner Wahl.
Das Erstaunen über das starke Abschneiden Bolsonaros hängt auch mit einem fehlenden Verständnis des Bolsonarismus zusammen. Es ist eine neue Art des Rechtsradikalismus. Der Präsident hat es tatsächlich geschafft, eine Massenbewegung hinter sich zu scharen – und das nicht nur im Netz. Die Verehrung für ihn trägt fast schon religiöse Züge und der Einzug in die Stichwahl ist vor allem der Erfolg seiner radikalisierten Basis.
Die Demonstrationen der bolsonaristas wurden nicht selten als Aufläufe vereinzelter Spinner heruntergespielt, gar belächelt. Ein gefährlicher Fehler. Die Linke schaffte es nicht, eine auch nur annähernd so kontinuierliche Bewegung auf die Straße zu bringen.
Besonderheiten des Riesenlandes
Der Erfolg von ultrarechtem Gedankengut hat mit Besonderheiten des Riesenlandes zu tun. Die erzkonservativen Pfingstkirchen sind hier stark, Gewalt prägt das Land, und die blutige Vergangenheit ist in keiner Weise aufgearbeitet. Zudem machte sich Bolsonaro Taktiken zu eigen, mit denen auch Rechte in anderen Ländern erfolgreich waren: platte Establishmentkritik gepaart mit Volksnähe und dem geschickten Einsatz der sozialen Medien.
Für Brasiliens Rechte ging es nie darum, einfach nur einen Präsidenten zu wählen. Ziel ist es, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Bisweilen waren sie damit erschreckend erfolgreich. Und es ist ein Fehler, nur auf die Bundesebene zu blicken. Bei der Wahl am Sonntag feierten Bolsonaro nahestehende Kandidat*innen auf lokaler Ebene große Erfolge. Sie denken und handeln genauso wie der Präsident. Bibeltreue Evangelikale, antikommunistische Militärs und knarreschwingende Ex-Polizisten werden die Politik Brasiliens auch weiterhin nach ihren reaktionären Grundsätzen prägen.
Für die Demokratie – ebenso wie für eine mögliche Präsidentschaft Lula – sind das keine guten Nachrichten. Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen, der Bolsonarismus ist gekommen, um zu bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch