Präsidentenwahl in Afghanistan: Bald drei Regierungen?
Der hauchdünne Sieg von Muhammad Aschraf Ghani schürt innenpolitischen Zwist. Und er gefährdet die bevorstehenden Friedensgespräche.
Es folgten einige Autokorsos, etwas Feuerwerk und Männer ballerten mit Handfeuerwaffen in die Luft. Führende Regierungsvertreter gratulierten einander in den sozialen Medien zum Sieg, Ghani ließ in einer Rede die islamische Republik hoch leben.
Dass Ghani sich am Mittwoch nicht zur Feier im Festzelt beim Kabuler Polytechnischen Institut einfand, war ein Zeichen, dass die Wahl noch nicht zu Ende ist. Auch die meisten Ex-Warlords, die sich auf die Seite seines Hauptwidersachers Abdullah Abdullah geschlagen hatten, fehlten.
Zu knapp ist Ghanis Sieg, und umstritten, wie er zustande kam. Mit nur 0,64 Prozent überwand er die 50-Pozent-Marke, was ihm einen zweiten Wahlgang und den Afghanen weitere Monate Wahlstress erspart. Den Ausschlag gab, dass die Wahlkommission zirka 300.000 umstrittene Stimmen nach einem Audit für gültig erklärte. Ghanis Anteil liegt unter einer Million, bei einer Beteiligung von knapp 18 Prozent bei 9,7 Millionen Wahlberechtigten.
Hochverrat und Putsch
Die Opposition sprach von Hochverrat und Putsch. Abdullah, bisher Ghanis ungeliebter Partner in einer Nationalen Einheitsregierung, erklärte sich ebenfalls zum Sieger und kündigte eine „Parallelregierung“ an.
Einer seiner Hauptverbündeten, Warlord Abdul Raschid Dostum – offiziell noch Ghanis Vizepräsident –, drohte indirekt mit einer zeitweiligen Abspaltung des Nordens. So läuft das Land Gefahr, demnächst drei Regierungen zu haben, denn es gibt auch noch die Paralleladministration der Taliban.
Mit ihnen sollen in der ersten Märzhälfte Friedensverhandlungen beginnen, sollten die USA und die Taliban eine siebentägige Quasi-Waffenruhe verkünden. Damit wird jeden Tag gerechnet. Dies gilt als Test, ob die Aufständischen ihre Feldkommandeure im Griff haben, um Ende Februar ein Truppenabzugsabkommen mit Washington zu unterschreiben. Dieses soll die Tür für innerafghanische Friedensgespräche öffnen, in die Ghani trotz Wahlsieges geschwächt gehen wird.
Falls es überhaupt dazu kommt. In den letzten Wochen verschärfte sich der Ton zwischen Ghani und den Taliban. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz forderte der Präsident sie auf, sich in den Dörfern als „Hundefänger“ zur Wahl zu stellen. Die Taliban wiesen das mit Hohn über die Wahlen zurück, bei denen niemand wisse, „was vorn und hinten ist“.
Zudem hat Ghani keine Delegation für die Gespräche benannt – für Abdullah und andere Ghani-Gegner der Versuch, sich nach der Wahl als demokratisch legitimierter Alleinvertreter zu positionieren. Ghani könnte seine innenpolitischen Gegner in die Arme der Taliban treiben und bei einer Machtteilung ausgebootet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance