Postkolonialismus-Forschung in Bremen: Forum gegen strukturellen Rassismus
Ambitioniertes Projekt mit wenig Geld: ForscherInnengruppe betreibt das Institut für Postkolonialismus und transkulturelle Studien der Uni Bremen.
Das zeugt von wenig Wertschätzung – dabei leistet das Institut seit Jahren Pionierarbeit in der postkolonialen Forschung. „Europe is rotten to the core“ – Europa ist bis auf den Kern verrottet – paraphrasiert Sabine Broeck, eine der GründerInnen, ein Zitat von Aimé Césaire.
Mit diesen radikal antikolonialen Ansätzen nehmen die WissenschaftlerInnen die akademische Landschaft Europas auseinander, decken koloniale Denkstrukturen auf und fordern die vermeintlich kulturelle Überlegenheit des weißen europäischen Erbes heraus. „Uns einte die Vorstellung, dass dieser Zustand, die Whiteness des humanistischen Kanons, radikal zu kritisieren ist. Und dass man diesem Zustand nicht beikommt, wenn man jetzt kosmetisch mal einen Genozid mehr unterrichtet“, sagt Sabine Broeck.
Als sie um das Jahr 2000 herum an die Universität Bremen kam, war sie dort die Einzige, die sich für die Geschichte der transatlantischen Versklavung, Rassismus in den USA und Schwarze Wissenschaft interessierte. Eurozentrismus und Critical Whiteness wurden in Deutschland damals noch nicht diskutiert.
In der Freizeit geforscht
Auch gab es kaum ein Institut, das sich mit der übergeordneten Frage nach Postkolonialität beschäftigte – was es also bedeutet, an deutschen Universitäten darüber zu forschen: selbstreflexiv, mit dem Hintergrund der eigenen Kolonialgeschichte.
In einigen Fachgebieten befassten sich zwar einzelne WissenschaftlerInnen mit diesen Themen: „In der Romanistik gab es dann zum Beispiel Seminare über kolumbianische SchriftstellerInnen“, sagt Broeck. Aber das übergeordnete Element einer „noch immer kolonial verfassten Gegenwart“ hatte kein spezielles Forum für Austausch und Forschung.
Dabei bedurfte es gerade bei den Geisteswissenschaften einer gründlichen Revision. Also gründeten Sabine Broeck und ihre KollegInnen, darunter Gisela Fabel, das Inputs. „Institut, das klang dann direkt so pompös“, erinnert sich Broeck. Im Grunde war das jedoch zunächst eine kleine Sache, die ForscherInnen hielten einander Vorträge und forschten in ihrer Freizeit, neben dem aktuellen Lehrplan. „Das war schon politisch, wir machten es aus persönlicher Überzeugung“, sagt Broeck.
Gerade das Bereitstellen einer Plattform für diese Themen auch für NachwuchsforscherInnen hatte eine politische Komponente. „Sie müssen sich das vorstellen: Sie wollen an einem humanistischen Institut eine Dissertation über die schwarze Diaspora schreiben, und dort ist niemand, der darüber ein Gespräch führen kann“, sagt Broeck. Und das nicht aus bösem Willen, sondern es habe eben niemand beforscht. Und das sei ein Ausdruck von Rassismus. Diesem strukturellen Rassismus wollte das Inputs etwas entgegensetzen.
Nach einigen Jahren des Forschens war das Institut schließlich so weit, erstklassige ExpertInnen für Vortragsreihen nach Bremen zu holen. Frank Wilderson von der University of California war als Humboldt-Fellow zu Gast, heute ist er international renommiert für seine Theorien zu Afro-Pessimismus.
Afro-Pessimismus besagt, dass das dehumanisierende Erbe der frühmodernen Versklavung Schwarzer Menschen bis heute nachwirkt. Auch Walter Mignolo hatte 2011 eine Gastprofessur bei Inputs inne. Der argentinische Anthropologe gilt heute als eine der wichtigsten Stimmen des dekolonialen Diskurses.
Vor allem diese Zusammenarbeit mit ExpertInnen war wegweisend. Für das Inputs bedeutete diese Phase den Übergang von einer postkolonialen Idee zu einer dekolonialen Theorie „Der Eintritt von Mignolo in den deutschen Diskurs markiert einen Übergang. Dass wir sozusagen wegkommen von dem Gucken auf die kolonisierten Länder und wie schlecht es denen da geht und wie arm dran die sind“, sagt Broeck.
Mignolo betont, dass Kolonialismus damals wie heute genau hier stattfindet, in den Metropolen. Antikoloniales Denken könne nicht entwickelt werden, solange die Kolonialzeit als eine Episode der Vergangenheit betrachtet werde. Das würde suggerieren, dass wir sie hinter uns haben – während Kolonialismus schon immer als ein Verhältnis zu betrachten sei.
Vom Marxismus ausgeblendet
Sabine Broeck ist inzwischen im Ruhestand. Im Inputs befassen sich gerade Detlef Quintern und Kerstin Knopf mit einer dekolonialen Revision des Marxismus. 2020 kam ihr Buch, „From Marxism to Global Marxism“ heraus. Detlef Quintern betont, dass bei Marx zweifellos Eurozentrismus vorzufinden sei. „Die Stimmen aus dem Süden, wenn man das so nennen kann, tauchen bei Marx ja eher abwertend oder am Rande auf“, schreibt er.
So wurden Arbeiteraufstände in Algerien oder Indien von Marx eher abgetan, weil sie angeblich keine Zukunft hätten. Die marxistische Theorie ging vielmehr vom industrialisierten England als Prototyp aus: von hier aus werde sich alles kapitalisieren. Marx sagt, dass die hier produzierte Baumwolle den Kapitalisten gehört, und entwickelt daraus seine Werttheorie.
Dass die Baumwolle aus von Versklavten bearbeiteten Plantagen kommt, bezieht er nicht ein. In diesen Analysen verliert der Marxismus aus den Augen, inwiefern Kapitalismus auch Imperialismus und Kolonialismus produziert. „Das Ganze hätte in einem Labor funktioniert, seine Theorie, aber nicht in der Gesellschaft, in der wir leben“, sagt Quintern.
So sind wichtige Zusammenhänge aus dem globalen Süden verloren gegangen, die – davon gehen Quintern und seine KollegInnen aus – in einer nachträglichen Revision die marxistische Theorie sogar entscheidend verbessern können.
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