Portrait der unterschätzten Stadt Hannover: Eigentlich doch ganz okay hier
Hannover, Landeshauptstadt, Stadt ohne Stadtslogan, ist besser, als viele denken. Es hat sogar den Nachkriegsbauwahn überlebt.
Wobei es angesichts des Bildes, das von Hannover im Rest der Republik gemalt wird, nur allzu verständlich wäre, wenn man meinte, vehement dagegenhalten zu müssen. Da wird Hannover gerne mal als stadtgewordene Mittelmäßigkeit dargestellt, als Inbegriff von Langeweile und urbaner Unattraktivität. Und wie reagieren die Hannoveraner*innen auf solche (Vor-)Urteile? Man lässt abperlen.
Tatsächlich ist diese Haltung eine Mischung aus norddeutschem Understatement, Realismus bezüglich der nicht zu leugnenden Unzulänglichkeiten der Stadt und dem selbstsicheren Wissen darum, dass es hier andererseits tatsächlich mehr als „ganz okay“ ist.
In der Stadt, in der ich aufwuchs, im nordhessischen Kassel, gibt es einen sehr hübschen Hügel – drumherum einen Park mit einem Schloss und oben drauf eine große Herkules-Statue. Seit jeher wird der Park Wilhelmshöhe vom Kasseler Stadtmarketing als „größter und schönster Bergpark Europas“ beschrieben und beworben. In Hannover hingegen gibt es mit der 640 Hektar großen Eilenriede „einen der größten Wälder Europas im Herzen einer Großstadt“. So steht es auf der Homepage der Stadt, aber auf die Idee, den riesigen Stadtwald als den „schönsten“ Europas zu bezeichnen, kommt man in Hannover nicht. Was heißt schon schön? Die einen sagen so, die anderen sagen so. Also geht man in der Eilenriede spazieren, genießt die Bäume und die frische Luft und freut sich über dieses Alleinstellungsmerkmal. Ansonsten hält man diesbezüglich die Klappe.
Hangover in Hannover
Dazu passt auch, dass Hannover seit Jahren keinen offiziellen Untertitel oder Stadtslogan hat. Kein historisierendes „Löwenstadt“ (Braunschweig), kein bekenntnishaftes „Green City“ (Freiburg), kein modisch interpunktiertes „Welt.Kultur.Erbe“ (Hildesheim) und auch keine peinlichen Anglizismen wie „Sailing City“ (Kiel) oder kabaretthafte Wortspiele wie „Stadt, die Wissen schafft“ (Göttingen). Klar, Hannover ist Messestadt, aber das sind Leipzig und Frankfurt auch.
Hannoveraner*innen wissen, dass ihr Zuhause von Ambivalenzen geprägt ist. Vor allem im Stadtbild. Kommt man zum ersten Mal nach Hannover, fallen zunächst die breiten, die City umschließenden Straßen auf. Sie stehen für das in der Hölle erdachte Nachkriegskonzept der „autogerechten Stadt“. Ein Ideal, das im Zuge des Wiederaufbaus der zu über 50 Prozent – im Zentrum zu 90 Prozent – zerstörten früheren Residenzstadt vom Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht umgesetzt wurde. Dazu benutzte er vor allem Pläne aus Albert Speers „Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“, in dem er während des Krieges tätig war.
Gemeinsam mit dem ihn später in Hannover beratenden ehemaligen SA-Mann Konstanty Gutschow. Auch Hans Stosberg, unter Hillebrecht Leiter des Stadtplanungsamtes, hatte schon eine Karriere hinter sich: Das NSDAP-Mitglied Stosberg war „Sonderbevollmächtigter für den Bebauungsplan der Stadt Auschwitz“. Durch die Planungen dieser NS-belasteten Herren, die absurderweise in einer seit 1946 sozialdemokratisch regierten Stadt wüteten, wurden Viertel zertrennt, dichte Bebauungen “aufgelockert“, barocke Achsen zerstört und historische Gebäude, die die Bombardierung überstanden hatten, abgerissen. Damals galt das als „modern“, als „Wunder von Hannover“, wie das – Funfact: in Hannover gegründete – Nachrichtenmagazin Der Spiegel 1959 titelte. Der Autor schwärmt in diesem Artikel von „autobahnähnlichen, kreuzungsfreien Straßen, über die der Fern- und Durchgangsverkehr ohne Geschwindigkeitsbegrenzung surrt“.
Heute ist man froh, dass einige der Pläne Hillebrechts nicht mehr verwirklicht wurden. So sollten die engen Altbauten im Arbeiterviertel Linden – inzwischen ein durchmischtes, halb gentrifiziertes Miniatur-Kreuzberg – zum großen Teil abgerissen und durch sieben- bis zehngeschossige Neubauten ersetzt werden. Bürgerinitiativen verhinderten dies. Auch im Mittelschichtsquartier List mit seinen repräsentativen Gründerzeithäusern wollte man ganze Straßenzüge plattmachen. Auch dazu kam es nicht. Glücklicherweise. Sonst wüssten Heerscharen von Lehrer*innen und Rechtsanwälte*innen heute nicht, wo sie ihre Manufaktum-Sofas hinstellen und wessen Holzdielen sie abschleifen sollten.
Erstmal zu Penny
Auch andere Ecken blieben trotz der Stadtplanungsfrevel der Hillebrecht-Gang zumindest partiell erhalten. Wie die von der Universität geprägte Nordstadt, die 1995 Schauplatz von Straßenschlachten während der inzwischen mythenumwobenen Chaostage wurde: „Wo war noch mal der geplünderte Pennymarkt?“ In der Nordstadt existiert auch bis heute das ehemals besetzte Sprengel-Gelände als alternatives Wohnprojekt weiter, und das dezidiert linke „Unabhängige Jugendzentrum Kornstraße“ feierte im Juli sein 50-jähriges Bestehen.
Und wenn man schon mal ganz unhannoversch – man möge mir verzeihen – die Vorteile beziehungsweise die ganz okayen Aspekte der Stadt aufzählen möchte, darf man die beachtlichen 12 Prozent des Stadtgebietes, die aus Grünfläche bestehen, nicht vergessen: Neben der bereits erwähnten Eilenriede gibt es diverse Parks, die barocken Herrenhäuser Gärten, die grünen Ufer der Leine und der Ihme und die leider durch einen überflüssigen Old-School-Ausbau eines Schnellweges bedrohte Leinemasch. Und den zentral in der Stadt gelegenen, aber halbseitig von Bäumen umgebenen Maschsee, an dem es sogar einen Segelverein gibt, der sich albernerweise „Yachtclub“ nennt.
Hannover war immer eine durch und durch sozialdemokratische Stadt. Allerdings lösten die Grünen bei der Kommunalwahl 2021 die SPD knapp als stärkste Kraft ab. Zwei Jahre zuvor war der Grüne Belit Onay schon zum Oberbürgermeister gewählt worden – und wurde so der erste OB mit Migrationshintergrund in einer deutschen Landeshauptstadt.
Die SPD kann es wohl immer noch nicht fassen, dass sie das Chef-Büro im Rathaus räumen musste und nicht mehr die unangefochtene Nummer 1 ist. Gerhard Schröder zeigt sich übrigens immer seltener in der Stadt, vermutlich weil keiner mehr mit ihm gesehen werden will. Und „Drückerkönig“ (Manager-Magazin) Carsten Maschmeyer, der Mann, „der immer noch so aussieht, als trüge er einen Schnäuzer, obwohl er ihn längst abrasiert hat“ (Jan Fuhrhop), hat die Stadt längst in Richtung der Schickimicki-Metropole München verlassen: A match made in heaven.
Ganz erklären lässt sich allerdings nicht, warum die Stadt Hannover in den neunziger und Nullerjahren kurzzeitig ihre Bescheidenheit verlor und die Stadtbühne solch dickhosigen Typen wie Schröder, Maschmeyer und dem Hells-Angels-Chef Hanebuth zur Bespielung überließ. Nebenbei: Auch Harald Welzer lehrte in dieser Zeit an der Leibniz-Universität. Interessanterweise war dieser Angeber-Spuk dann aber so plötzlich wieder vorbei, wie er eingesetzt hatte. Selbst Evangelen-Wichtigtuerin Margot Käßmann ging ja bekanntlich 2010 nach ihrer Hackedicht-Fahrt durch die autogerechte Innenstadt ins Berliner Exil. Seit 2018 ist sie back in town, gibt sich aber zumindest vor Ort überraschend wortkarg. Fast möchte man meinen, sie hätte zu guter Letzt verstanden, worum es in Hannover geht: ums Ballflachhalten.
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