Porträt Stephan von Dassel: Der andere grüne Bürgermeister
Mitte wird künftig als zweiter Bezirk – neben Friedrichshain-Kreuzberg – grün regiert: „Laissez faire ist nicht meins“, sagt Stephan von Dassel.
Über den Leopoldplatz in Wedding torkelt ein Mann. Er fuchtelt mit den Armen in der Luft herum. „Hey you!“ spricht er Leute an, die an der Ampel auf grün warten. Der Mann ist zwei Meter groß, die Passanten weichen ihm aus. Ansonsten nimmt keiner weiter von ihm Notiz. Solche Auftritte gehören hier zum Alltag.
Schräg gegenüber, im dritten Stock des Rathauses, sitzt Stephan von Dassel, ein schmaler 49-Jähriger mit markanter schwarzer Brille. Die Fensterfront seines Büros geht hinaus auf die Müllerstraße. Unten rauscht der Verkehr vorbei, man sieht die blauweißen Planen der Marktstände auf dem Leopoldplatz und das Treiben drumherum. „Wenn Leute mir sagen, dass sie sich wegen der vielen Trinker und Junkies dort nicht mehr hin trauen, dann muss ich das ernst nehmen“, sagt von Dassel. „Wir können die Dinge nicht einfach so laufen lassen.“
Stephan von Dassel war bislang Stadtrat für Soziales und Bürgerdienste im Bezirk Mitte. Ende des Monats wird er neuer Bürgermeister im Bezirk – und damit der zweite Rathauschef in Berlin mit grünem Parteibuch.
Es ist jetzt schon abzusehen, dass er einiges anders machen wird als seine Parteikollegin Monika Herrmann in Friedrichshain-Kreuzberg. Der Umgang mit Orten wie dem Leopoldplatz ist dafür ein ganz gutes Beispiel.
Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung im September holten die Grünen im Bezirk Mitte 23,9 Prozent und lagen damit ganz knapp vor der SPD mit 23,8 Prozent. Ihr Vorsprung lag nur bei 160 Stimmen. Die Linkspartei kam auf 17,9 Prozent, die CDU auf 13,5. Die AfD holte 9,9 Prozent. Auch die FDP schaffte es mit 6 Prozent in das Bezirksparlament.
Entsprechend ihrer Ergebnisse sind die Fraktionen von Grünen und SPD gleich stark: Beide Parteien stellen 14 Abgeordnete. Gemeinsam kommen sie auf 28 Sitze – genau die Zahl, die man für eine Mehrheit gerade benötigt. Sie verständigten sich Ende vergangener Woche auf eine rot-grüne Zählgemeinschaft. Der Grüne Stephan von Dassel würde damit Nachfolger des bisherigen Amtsinhabers Christian Hanke (SPD) werden.
Weil die Fraktionen von SPD und Grünen in der BVV gleich stark sind, soll der Posten des BVV-Vorstehers zwischen ihnen nach der Hälfte der Legislaturperiode – zweieinhalb Jahre – wechseln. (taz, dpa)
Ein Alkoholverbot am Leopoldplatz?
„Uns entgleitet der öffentliche Raum“, warnt von Dassel mit Blick aus dem Fenster. Dass es am Görlitzer Park in Kreuzberg seit Jahren Beschwerden über den Drogenhandel gibt, die Grünen dort aber kaum etwas an der Situation geändert haben, sieht er kritisch. „So ein laissez faire ist nicht meins. Es kann nicht sein, dass man den Görlitzer Park aufgibt.“
Der Leopoldplatz wurde vor drei Jahren umgestaltet und dabei auch ein Treff für Trinker eingerichtet, inzwischen stehen aber wieder welche an den U-Bahn-Eingängen. Deshalb müsse man jetzt über andere Maßnahmen nachdenken, sagt von Dassel. „Bringt ein Alkoholverbot am Leopoldplatz etwas? Das sollte man diskutieren.“
Alkoholverbot, das klingt nach amerikanischer Prohibition, nach Spaßbremse. Kaum denkbar, dass so etwas bei den Kreuzberger Grünen eine Chance hätte. Aber Stephan von Dassel ist da undogmatisch. Er sagt, ihm gehe es um die Lösung des Problems. Für einen Coffeeshop am Görlitzer Park wäre er deshalb auch durchaus zu haben gewesen.
Was würde von Dassel tun, wenn Flüchtlinge auf dem Leopoldplatz Zelte für ein Protestcamp aufstellen wollten? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Das würde ich sofort verhindern.“
Von Dassel stammt aus einem klassischen grünen Milieu. Schon seine Mutter war bei Demos mit Rudi Dutschke dabei. Sie lebten erst in Berlin, später in einem Dorf auf der schwäbischen Alb. Waldsterben, Atomkraft, Angst vor der atomaren Vernichtung, das waren die Themen in seiner Jugend. Mit 17 Jahren trat von Dassel bei den Grünen ein. „Als ich damals unsere Plakate an die Scheunen pinnte, kamen die Autos mit Vollgas auf mich zugerast“, erinnert er sich. Dass diese Gegend jetzt Kretschmann-Land ist, die Grünen in Berlin aber nur 15 Prozent geholt haben, will ihm nicht in den Kopf.
Zielstrebig und hartnäckig
Wie Monika Herrmann studierte von Dassel Politikwissenschaften an der Freien Universität. Getroffen haben sich die beiden damals nicht. Von Dassel war offenbar zielstrebiger bei der Sache: Herrmanns Studium dauerte zehn Jahre, von Dassel hatte nach fünf Jahren das Diplom. Im Anschluss arbeitete er als Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bezirk Mitte, wurde Referent im Abgeordnetenhaus, 2009 Stadtrat in Mitte.
Von Dassel gilt als fleißig und hartnäckig, als Kümmerer. Bei betrügerischen Pflegediensten ließ er nicht locker. Als scharfer Verfolger von Ferienwohnungen machte er sich auch jenseits der Bezirksgrenzen einen Namen.
Auch als Bürgermeister hat von Dassel einiges vor: Er ist selbst meist mit dem Rad unterwegs und könnte sich gut vorstellen, die Müllerstraße pro Richtung einspurig zu machen und den Platz für Fahrradstreifen zu nutzen. Er will die Verwaltung modernisieren, den Bürgerämtern mehr Geld geben. Er will in Eckkneipen und Moscheen mit den Menschen reden. Überhaupt will er mehr und besser kommunizieren. Nicht unbedingt über die sozialen Medien, die sind nicht sein Ding. Monika Herrmann twittert viel. Von Dassel sagt: „Die Welt ist zu komplex für 140 Zeichen.“
Realo-Mann vs. Fundi-Frau?
Er der Realo-Bürgermeister in Mitte, Herrmann die Fundi-Rathauschefin in Kreuzberg? Diese Unterscheidung ist von Dassel zu platt. Er finde all jene Politiker gut, denen es nicht nur um die Macht gehe, sondern die ein Anliegen hätten und das auch professionell umsetzten.
Eine solche Charakterisierung würde wohl jeder Politiker gerne für sich in Anspruch nehmen. Stephan von Dassel werden diese Eigenschaften aber auch von außen zugeschrieben: Er halte ihn für einen Überzeugungstäter, sagt einer, der ihn schon länger kennt. Ein anderer betont, wie pragmatisch und kenntnisreich von Dassel sei. Der neue Kretschmann von Berlin wird von Dassel deshalb trotzdem nicht. Er ist keiner, der auf einem Parteitag die großen Emotionen weckt. Dafür fehlt ihm auch eine gewisse Bodenständigkeit.
Von Dassel sagt, Politik müsse mehr Spaß machen. Wenn man ihn fragt, was er damit meine, erzählt er folgende Geschichte: Als Referent im Abgeordnetenhaus habe er mal Urlaub in Vietnam gemacht. Er habe mit seinen Kollegen gewettet, dass er in allen parlamentarischen Anfragen und Anträgen dieser Zeit das Wort Vietnam unterbringe. Das sei ihm tatsächlich 14 Mal gelungen, bei den unterschiedlichsten Themen. Von Dassel kichert. Und das ist ja auch lustig. Aber es ist ein sehr akademischer Witz.
Man glaubt von Dassel sofort, dass er sich um die Belange der Menschen in Mitte kümmern will, auch am Leopoldplatz. Wenn er sie aber begeistert, dann mit seinem Engagement, nicht mit dieser Art von Humor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels