Porträt Ibrahim Abou Nagie: Der Strippenzieher
Abou Nagies Verein „Die wahre Religion“ steht im Mittelpunkt der jüngsten Großrazzia. Der Salafisten-Prediger studierte in Deutschland.
Mehr als 200 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“ (DWR) durchsuchte die Polizei am Dienstagmorgen – sie steht hinter den umstrittenen Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten. Ihr Gründer, Ibrahim Abou Nagie, ist seit mehr als 20 Jahren deutscher Staatsbürger.
Ermittlungen gab es schon häufiger gegen Abou Nagie, verurteilt aber wurde der Salafisten-Prediger mit dem grau-melierten Bart bislang nur einmal: Im Februar verknackte das Kölner Amtsgericht den 52-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von 13 Monaten. In dem Verfahren ging es allerdings weder um Hasspredigten noch um Gewalt: Das Gericht verhängte die Strafe wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Abou Nagie hatte über zwei Jahre lang unberechtigt Sozialleistungen in Höhe von rund 53.000 Euro bezogen.
Der Mann, der einer der wichtigsten Salafisten-Prediger in Deutschland ist, wurde 1964 im Flüchtlingslager Nuseirat bei Gaza-Stadt geboren, als 18-Jähriger kam er nach Deutschland, um hier Elektrotechnik zu studieren. Bis 2007 betrieb er ein Geschäft für selbstklebende Folien, als er Steuern in Höhe von 70.000 Euro nachzahlen sollte, war er pleite. Abou Nagie bezog fortan Hartz-IV und widmete sich ganz der islamischen Missionierung.
In frühen Videos berichtet der Laienprediger, der keinerlei theologische Ausbildung hat, dass er viel Geld verdient und ein Leben in Luxus geführt habe, aber unzufrieden gewesen sei. Nach einem Erweckungserlebnis habe er sich stärker mit dem Islam beschäftigt, da habe sein Leben einen Sinn bekommen. 2005 gründete Abou Nagie, der in Köln lebt, das Missionierungs-Netzwerk „Die wahre Religion“.
Abou Nagie war erfolgreicher als andere Prediger
Er rühmte sich, Pierre Vogel als Prediger entdeckt zu haben, der im Netz schnell zum Star der Salafistenszene wurde. Jahrelang arbeiteten die beiden zusammen, gewannen vor allem Jugendliche für ihre radikale Auslegung des Islams – bis sie sich 2008 über die Frage, wer alles ungläubig sei, zerstritten und Vogel seine eigene Organisation gründete.
Experten galten Abou Nagies DWR schon bald als die gefährlichere der beiden Strömungen, weil sie Gewalt legitimierte, wenn auch nicht öffentlich dazu aufrief. Abou Nagie wird seit langem vom Verfassungsschutz überwacht.
Im Oktober 2011 aber setzte sich Abou Nagie mit der „Lies!“-Kampagne in Sachen Erfolg von den anderen Predigern ab. Das Ziel der durchschlagenden Aktion: So viele Koranexemplare wie möglich an Nichtmuslime zu verteilen. Bald standen seine Anhänger bundesweit in vielen Städten an Tapeziertischen und warben für den Islam. Allein in NRW soll es im vergangenen Jahr 350 solcher Verteilaktionen gegeben haben. Der Druck der Korane wird laut Abou Nagie durch Spenden deutscher Muslime finanziert. Die Sicherheitsbehörden aber gehen davon aus, dass Geld aus Saudi-Arabien fließt.
„Die Demokratie ist gegen den Islam“
Beim Verteilen von Koranen allerdings blieb es nicht: Im Umfeld der Aktion, das weiß man von vielen Aussagen bei Ermittlungen und vor Gericht, wurden junge Leute radikalisiert. Laut Bundesinnenminister de Mazière sollen 140 der Islamisten, die von Deutschland in den Dschihad nach Syrien und in den Irak zogen, über die DWR und die „Lies!“-Kampagne radikalisiert worden sein.
Aus seiner Demokratiefeindlichkeit hat Abou Nagie kein Geheimnis gemacht. In einem Video, das unter dem Titel „Die Irreleitung der Demokratie“ seit 2014 auf YouTube zu finden ist, predigte er mit seiner sonoren, tiefen Stimme: „Die Demokratie ist gegen den Islam. Und das Gegenteil vom Islam.“ Und sagt: „Die versuchen, aus uns Kuffar (Ungläubige, Anm. d. Red.) zu machen. Wenn wir die Scharia leugnen, dann sind wir Kuffar. Wenn wir die Demokratie akzeptieren, dann sind wir auch Kuffar.“
Abou Nagie hält sich nach Informationen aus Sicherheitskreisen derzeit nicht in Deutschland auf. Ermittler vermuten ihn in Malaysia, wo die Koranverteilaktion „Lies!“ demnächst starten könnte.
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