Pop-Kultur-Festival in Berlin: Pop wird dich retten
Das Pop-Kultur-Festival in Berlin konnte in die elfte Runde gehen. Wie Subkultur unter repressiven Bedingungen gelebt wird, auch davon zeugten musikalische Acts.
Freitagnacht auf dem Gelände der Berliner Kulturbrauerei: ein flirrender Konzertabend, an dem unter anderen ein geschmeidiger Auftritt des Berliner Rappers Apsilon den Altersdurchschnitt des sonst eher nerdig-nischenorientierten Publikums senkt – und der vorletzte des Pop-Kultur-Festivals. Mitten im Gewimmel steht ein Mann, auf dessen T-Shirt steht: „Popular music won’t save you.“
Er wirkt allerdings vergnügt – wie das Gros der Festivalgänger. Pop scheint also zumindest zu wirken, irgendwie. Eine Googelei ergibt: Bei dem Shirt handelt es sich um einen Merch-Artikel der australischen Band Popular Music (die hier nicht auftraten). Trotzdem liefert es eine Art Metakommentar zu Fragen, die auf dem Festival, direkt oder über Bande, verhandelt werden.
Der gesellschaftlichen Relevanz von Pop-Kultur etwa. Was kann die mit ihr (naiverweise?) assoziierte Vielfalt dem Rechtsruck entgegensetzen? Wo sorgt Pop für Gemeinschaftserlebnisse, bietet gar Trostpotenzial? Natürlich ist auch Thema, wie der Pop selbst gerettet werden kann, vor den Geschäftsmodellen der Tech-Konzerne oder dem disruptiven Potenzial von KI.
Viel zu besprechen gibt es bei dieser elften Ausgabe, deren Zustandekommen wegen der Haushaltskürzungen auf der Kippe stand. Zumindest die neue Berliner Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson, scheint (noch) kein Fan zu sein – ihre Rede zur Eröffnung fällt arg uninspiriert aus. Eindruck macht hingegen dort die Art-Pop-Künstlerin Balbina.
Sie fordert von ihren Kolleg:innen „weniger Meinung, mehr Gemeinsamkeit“ – was klingt wie ein Seitenhieb auf den Bekenntniszwang in der leidigen Nahost-Thematik –, ohne dass Balbina das Problem beim Namen nennen muss. Gerade im Pop, gerade bei diesem Festival führt und führte das nicht nur zu sloganhaften Verkürzungen, sondern zu nachhaltigen Verwerfungen.
Schwankender Gehalt der Gesprächsrunden
Manche Neuerung erweist sich als Gewinn – etwa dass sich das Programm nun auf sechs statt drei Tage verteilt: An den ersten beiden liegt der Fokus auf Talks. Deren Gehalt allerdings schwankt arg. Als der Branchenauskenner Michael Pelczynski, der unter anderem für Soundcloud ein Fan-gefördertes Tantiemensystem entwickelte, anstehende Weichenstellungen erläutert, schwirrt der Autorin der Kopf.
Aktuell beschäftigt Pelczynski, wie ein ethischer Umgang mit KI aussehen kann, etwa beim sogenannten Voice Cloning: Damit kann jede menschliche Stimmen beliebig genutzt werden – perspektivisch nicht nur für Künstler:innen ein Problem, sondern für jede:n. Pelczynski sieht ein strukturelles Problem darin, dass die Musikindustrie statt „durchdachtem Design“ gerne den „einfacheren Weg“ wählt: „Lass machen und wir überlegen später.“ Diese Haltung habe auch zu den gegenwärtigen Verhältnissen beim Streaming geführt.
Als enttäuschend erweist sich der verblüffend gut besuchte Talk über Julia Camerons esoterisch-spirituell grundiertes Selbsthilfebuch „The Artist’s Way“– offenbar haben die analogen Kulturtechniken ihres Programms Reiz für Millennials. Die Rapperin Ebow kommt aus dem Schwärmen kaum mehr heraus, was dieser 1992 erschienene Bestseller für ihre Arbeit bedeutet hat. Okay, verstanden. Doch wenigstens von der Moderatorin Sara Geisler, Redakteurin beim Zeit-Magazin, hätte man sich Substanzielleres erhofft.
Damit diese ersten Festivaltage nicht allzu spröde geraten, locken parallel unter anderem „Sonic Crossings“ an schöne Orte in Berlin-Wedding. Stilistisch verschiedenste Künstler:innen aus Georgien, Armenien und Aserbaidschan geben Einblicke in ihr Schaffen; der diesjährige Fokus der in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut neu konzipierten Sparte liegt auf dem südlichen Kaukasus.
Der georgische Indie-Musiker Vaqo oder auch die Klangkünstlerin Nazrin Mammadova aus Baku – als inherroom kreiert sie ambienthafte Texturen – lernt man am Montag in der Migas Listening Bar kennen, bevor sie dann am darauffolgenden Abend ihre Musik im Sinema Transtopia präsentieren. Bei der Listening Session stellen sie erst einmal für sie prägende Stücke vor – und vermitteln nicht nur eine Vorstellung davon, wie eine musikalische Sozialisation in einer anderen Weltregion aussehen kann, sondern auch wie Subkultur unter heiklen oder gar repressiven Bedingungen gelebt wird. Davon werden wir hier leider wohl noch lernen können.
Bewährter Kessel Buntes
Um Sozialisation geht es auch beim Commissioned Work von Andreya Casablanca, bekannt geworden als eine Hälfte des Garage-Rock-Duos Gurr. Und um die Frage, was ihr polnischer Migrationshintergrund damit zu tun hat: die Kirchgänge im Schlepptau der Eltern oder ein Komponist wie Henryk Mikołaj Górecki – den sie erst als Erwachsene entdeckte und toll covert.
Musikalisch bietet die diesjährige Ausgabe einen bewährten Kessel Buntes, jedoch mit lokalerem Fokus. Bernadette La Hengst dirigiert nur mit Gitarre eindrucksvoll ihren riesigen Chor der Statistik. Der präsentiert „Konkrete Utopien“ – inklusive Songbook für zu Hause. Die in Berlin lebenden Dänen von Efterklang integrieren erstaunlich viele Einflüsse in schwelgerischen Pop. Und Los Bitchos stellen ihre Surfgitarren in den Dienst der ewigen Party.
Eine echte Entdeckung wartet auf der Zielgerade des Festivals, in Gestalt der queeren Künstlerin Canty aus London. Die glättet am letzten Abend ihr scharfkantiges Gitarrenspiel erst mit Soul-Folk und bricht das Ganze dann wieder auf. Ihrem Sog mag sich niemand entziehen, der oder die, vielleicht ganz zufällig, bei dieser Nebenbühne vorbeigeschaut hat.
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