Du Schülerlotse!

Der Stolz Hamburger Staatsbediensteter scheint dieser Tage besonders leicht verletzlich: Nach #Pimmelgate steht nun ein anarchistischer Ladenbesitzer vor Gericht. Er soll einen Polizisten als „Schülerlotse“ beleidigt haben

Nicht beleidigt: ein echter Schülerlotse aka Verkehrshelfer Foto: Fredrik von Erichsen

Von Aram Ockert

Der Hamburger Polizeibeamte G. fühlt sich beleidigt: durch den auf ihn und seine Kol­le­g:in­nen angewendeten Begriff des „Schülerlotsen“. Am Dienstag dieser Woche wollte die Staatsanwaltschaft eigentlich ob dieser Beleidigung die Anklage verlesen. Doch weil der Richter am Ende keinen passenden Schlüssel hatte, musste der Prozessbeginn vertagt werden.

Der eigentliche Vorfall ereignete sich im Frühjahr dieses Jahres. Be­trei­be­r:in­nen des Anarchisten-Ladens in der ­Balduinstraße auf St. Pauli hatten Crêpes durch die Eingangstür nach draußen verkauft, um darüber einen Teil der Kosten für ihren Laden einzuspielen. Die Polizei, die im dortigen Teil St. Paulis regelmäßig zwecks Vergrämung der Drogenkleindealer-Szene patrouilliert, bekam das mit – und dazu auch den Eindruck, dass das gegen die gültige Verordnung zur Eindämmung der Pandemie verstoßen könnte.

Schon bald waren 20 Beamt:in­nen vor Ort, kamen jedoch nicht in den Laden rein. Die Anarchisten machten einfach nicht auf. So erzählt es der Angeklagte Alexander Dumbs­ky der taz.

Dumbsky ist Ladenmitbetreiber, Musikverleger, lokale Berühmtheit und Ex-Drummer der Punk-Band Die Goldenen Zitronen. Er kam zum Geschehen hinzu und befand angesichts der vielen Polizist:innen, dass der Einsatz nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen und deswegen unrechtmäßig sei. Dies überzeugte den Polizeibeamten G. nicht. Im Gegenteil: Dieser soll gesagt haben, so erzählt Dumbsky weiter: Das, was Recht sei oder nicht, bestimme letztlich die Polizei. „Das macht selbst Libertäre für einen kurzen Moment sprachlos“, erinnert sich Dumbsky. Dann sei er in lautes Lachen ausgebrochen.

Anschließend sei dann auch die vermeintliche Beleidigung „Schülerlotse“ gefallen – eine wertvolle Tätigkeit mit eingeschränkten Kompetenzen zur Verkehrslenkung. Für G., der für sich und seine Kollegen kurz zuvor reklamiert haben soll, sogar Recht setzen zu dürfen, eine wohl nicht mehr hinnehmbare gedankliche Degradierung.

Die Beleidigung gilt als Straftat (§ 185 Strafgesetzbuch), die mit Geld-, aber auch Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren belegt wird. Der Schutz der Meinungsfreiheit findet hier seine Grenzen im Persönlichkeitsrecht.

Angegriffen wird mit Beleidigungen die Ehre des Opfers. Verfolgt werden solche Delikte nur auf Anzeige hin.

Wann die Ehre verletzt ist, das liegt zum Teil im Auge des Betrachters: Bei „Oberförster“ für einen Polizisten hat das Amtsgericht Tiergarten schon mal ein Auge zugedrückt.

Beleidigt wird individuell: Wird eine Gruppe pauschal herabgewürdigt („All cops are bastards“), fehlt die persönliche Betroffenheit.

Was nicht gehört wird, gilt nicht. Unter der Bettdecke darf jede*r beliebig oft murmeln, dass dieser oder jene ein*e Schülerlots*in ist.

G. zeigte Dumbsky dafür an. Das Gericht setzte dann im August dieses Jahres den Prozesstermin fest. Dabei vertat sich Richter Palke aber in der Auswahl des Saals: Aufgrund verschärfter Coronabestimmungen hätten dort nur maximal acht Zu­schaue­r:in­nen die Chance zur Teilnahme am Verfahren gehabt.

Nachdem alle am Prozess Beteiligten geneigt waren, eine größere Öffentlichkeit zuzulassen, bemühte sich Richter Palke am morgen des Prozesses spontan um einen größeren Raum und bekam durch die Wachmeisterei schlussendlich den Saal 237 zugewiesen. Dieser ist ein Hochsicherheitssaal mit allem Knick und Knack: schussfestem Glas, hinter dem die Angeklagten meist aus organisierter Kriminalität oder islamistischen Terrorzirkeln sitzen, einem Fangnetz an der Decke und einer Stahltür, durch die aber nur kommt, wer den passenden Schlüssel hat. Daran ist Richter Plake dann – zur eigenen Überraschung – mit seinem Transponderschlüssel gescheitert.

Rund 25 Menschen mussten also unverrichteter Dinge wieder abziehen. Der Prozessbeginn wurde nun auf den 23. November verschoben. Stattfinden wird er im Strafjustizgebäude des Gerichts am Sievekingplatz 3. Welcher größere Saal diesmal getestet wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.