„Polizeiruf“ aus Magdeburg: Wenn Claudia Michelsen influenct
Weniger eine Geschichte über das Internet, sondern über die Sehnsüchte junger Frauen: Der „Polizeiruf“ aus Magdeburg lebt von etwas ganz anderem.
![Eine Frau mit roten Haaren blickt enttäuscht zur ihrer Mutter und Schwester Eine Frau mit roten Haaren blickt enttäuscht zur ihrer Mutter und Schwester](https://taz.de/picture/6991863/14/35296810-1.jpeg)
Ja, mach den „Polizeiruf“, meldete die Redaktion, man sei gespannt, wie Influencer im Sonntagskrimi dargestellt werden. Erste Erkenntnis: Ich bin entweder so alt oder so entfernt von Youtube-Shorts und Tiktok, dass mir die ARD wirklich alles vorsetzen, es „Influencer“ nennen kann – und ich denke: joah, okay. Was weiß denn ich, ob das authentisch ist oder total hanebüchener Quark.
So wie Hauptkommissarin Brasch. Am Tatort, unter der hohen Glaskuppel eines Einkaufszentrums, liegt eine junge Frau, kirschrote Haare, tot. Eine Zeugin sagt: „Das ist Lisha, oder?“ Und Brasch, nur tausend Fragezeichen im Gesicht: „Wer ist Lisha?“
Alisha Mansour (Hannah Gharib) eben, die mit Red-Carpet-Lives und Abnehmprodukt-Kollaborations-Kram Geld verdient, nach Problemen mit jenem Abnehmprodukt nur noch Hassnachrichten bekommt, von 1.5 Millionen Followern bleiben 200.000, kein Geld mehr hat – und jetzt dort auf dem Steinboden liegt. Suizid, so die Anfangsthese.
Zweite Erkenntnis: Mich interessiert nur eins am Magdeburger „Polizeiruf“: Claudia Michelsen. Sowieso und immer – und ihre Brasch dann erst recht. Und Uwe Lemp als ihr Chef Vörtler, der Überfall auf ihn in der vorigen Folge hat Spuren hinterlassen, Krücken, mies gelaunt, alles. Die zwei taugen nach einem Jahrzehnt Zusammenarbeit langsam als eines der unaufgeregtesten und selbstverständlichsten Siez-Duos der Sonntagabendkrimilandschaft.
Sehnsucht junger Frauen
„Unsterblich“, So., 20.15 Uhr, ARD
Aber nach der Hälfte von „Unsterblich“ dreht sich was. Bilder einer Doppelgängerin von Alisha tauchen im Rahmen der Ermittlung auf – als Vermisste. Für sich genommen eine etwas abseitige Idee. Als Erzählungstreibstoff aber wirksam. Oder wie Brasch sagt: „Eindeutig ist hier gar nichts mehr.“
Die Story von Michael Gantenberg ist weniger die Geschichte über Internetzeug, sondern über die Sehnsucht junger Frauen, jemand zu sein. Und die Angst, nicht mehr „jemand“ zu sein. Über den Kampf einer Familie mit Fluchtgeschichte, sich ein neues Leben aufzubauen, mit einem Restaurant, dabei ist der Vater eigentlich Physiker. Darüber, wie diese Familie, die Kinder auseinander- und gegeneinanderdriften. Und darüber, wie die Polizei mit Stereotypen ermittelt, erst mal den Bruder verdächtigt, „Familienehre“, die übliche Leier – und Brasch sich aufrichtig über ihre eigenen rassistischen Vorurteile ärgert.
Florian Knittel hat das Ganze meist präzise inszeniert. Das Miteinander und Gegeneinander der jungen Frauen, die Sollbruchstellen von Vörtler, ansonsten Michelsen ihr großartig unauffälliges Ding machen lassen. Nur die Auftaktszene mit dem Nachtfalter, der erst an den großen Schminkspiegel knallt, sich ans Fenster setzt, bis die junge Frau mit den roten Haaren ihn rauslässt, ins Freie – puh. Und manchen Dialog hätte man besser noch mal angefasst. „Du bist so billig und fake“ als Onlinebeschimpfung, joah, okay. Aber der Satz geht noch weiter: Sie sei „so hohl wie eine Christbaumkugel“, ist dann doch seltsam altertümlich für junge Social-Media-Beschimpfungen. Das merken dann sogar Leute, die total abgekoppelt sind von dieser Blase.
Aber zum Schluss noch das, sie sind es wert: Zwei Menschen spielen in diesem „Polizeiruf“ mit, die Anfang dieses Jahres verstorben sind. Volksbühnen-Schauspieler Hendrik Arnst als Altenheimbewohner. Und der BHZ-Rapper Pablo Grant als Kriminalobermeister.
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