Polizeipräsident über Seehofer-Äußerung: „Kolleginnen fühlen sich diskreditiert“
Niedersachsens Polizeipräsident Axel Brockmann (CDU) möchte, dass sich Horst Seehofer (CSU) von seiner Aussage über das Problem-Potenzial von Migration distanziert.
taz: Herr Brockmann, halten Sie Migration für die Mutter aller Probleme?
Axel Brockmann: Bestimmt nicht. Durch solche pauschalen Aussagen werden Vorurteile geschürt. Innenminister Horst Seehofer trägt mit dieser Aussage zu einem Klima bei, das ich für problematisch halte. Wir von der Polizei in Niedersachsen haben in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um den Anteil der Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Durch solche Aussagen werden die Kolleginnen und Kollegen stigmatisiert.
Was haben Sie und Ihre Kolleg*innen von der niedersächsischen Polizei in Ihrem Brief an Horst Seehofer (CSU) geschrieben?
Der Brief richtet sich an den Ministerpräsidenten Stephan Weil mit der Bitte, ihn an Frau Merkel und Herrn Seehofer weiterzugeben. Wir sagen dem Bundesinnenminister, dass solche Pauschalisierungen dazu führen, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei und anderswo diskreditiert fühlen. Wir haben auch die Sorge, dass sich andere Menschen hier in Niedersachsen dadurch beeinflussen lassen und es möglicherweise zu Straftaten und Auseinandersetzungen kommt.
Inwiefern?
Ich sehe die Gefahr, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geschürt werden. Unser Brief soll ein klares Signal sein, dass man diesen Tendenzen bereits im Ansatz entgegenwirken muss.
Wie beurteilen Sie, dass die populistischen Äußerungen ausgerechnet vom Innenminister stammen, in dessen Aufgabenbereich Migration und Integration fallen?
Das gibt mir sehr zu denken. Er müsste eigentlich alles dafür tun, solchen Entwicklungen Einhalt zu gebieten.
Was erwarten Sie jetzt von Seehofer?
Er muss sich von dieser pauschalen Aussage distanzieren. Politiker müssen sich ihrer Verantwortung und ihrer Vorbildfunktion bewusst sein.
Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten bei der niedersächsischen Polizei?
Insgesamt sind es rund 1.300 Beschäftigte. In diesem Jahr hatten aber mehr als 16 Prozent aller Neueinstellungen im Polizeivollzugsdienst in Niedersachsen einen Migrationshintergrund. Vor zehn Jahren waren das nur etwa vier Prozent. Wir machen seit Jahren mit den Kolleginnen und Kollegen sehr gute Erfahrungen. Sie sind eine Bereicherung für unsere Organisation und ein nicht mehr wegzudenkender, fester Bestandteil.
Warum sind Migrant*innen für die Polizei wichtig?
Diversität ist grundsätzlich wichtig. Es geht nicht nur darum, dass die Beamtinnen und Beamten bestimmte Sprachkenntnisse haben und Hintergründe zu ihrer Kultur hilfreich sein können, sondern auch darum, dass mit einer Vielfalt die Akzeptanz der Polizei in der Bevölkerung so gut bleibt, wie sie im Moment ist.
Spielt der Migrationshintergrund im Dienst eine Rolle?
Nein. Das sind Kolleginnen und Kollegen wie alle anderen auch.
Was wäre, wenn muslimische Polizist*innen während des Dienstes beten wollen?
Das würde im Einzelfall entschieden. Natürlich darf der Dienst nicht beeinträchtigt werden.
54, ist der niedersächsische Polizeipräsident. Er ist CDU-Mitglied, war bis 2013 Polizeichef in Hannover und hat sich dort gegen die rechte Gruppierung „Besseres Hannover“ eingesetzt.
In Berlin hat sich vor einiger Zeit ein Ausbilder rassistisch über Polizeischüler mit Migrationshintergrund geäußert und behauptet, die seien der Feind in den eigenen Reihen. Jetzt hat in Sachsen ein LKA-Mitarbeiter als Wutbürger Schlagzeilen gemacht. Hat die Polizei selbst ein Problem mit Rechten?
So pauschal stimmt das sicher nicht. Natürlich kann man allgemein sagen, dass Organisationen, die eher militärisch-hierarchisch geprägt sind, anziehend auf diese Szene wirken. Da schauen wir hin. Ich bin der Auffassung, dass bei der niedersächsischen Polizei keine ausgeprägte Tendenz in Richtung rechter Gesinnung erkennbar ist. Einzelfälle sind natürlich nie ganz auszuschließen.
Wenn Sie in der Ausbildung merken, dass jemand rechtsextrem ist, schmeißen Sie den dann raus?
Wenn jemand wirklich eine rechte Gesinnung offenbart, Symbole von rechten Organisationen trägt und sich entsprechend äußert, ist das ein Grund. Das gab es schon. Da nutzen wir alle Möglichkeiten, die wir haben, um solche Personen aus dem Dienst zu entfernen. Wer sich nicht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, hat in der Polizei nichts zu suchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein