Polizeikosten für Fußballclubs: Gespieltes Hochrisiko
Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt: Fußballvereine müssen für Mehrkosten zahlen. Die Konsequenzen sehen nicht für jeden Club gleich aus.
F ußball ist ein Sport des Extremen und Absoluten: Es geht um extreme Gefühle, absolute Loyalität, um alles oder nichts. Das Urteil wiederum, das das Bundesverfassungsgericht am Dienstag gefällt hat, lässt sich nicht so eindeutig einordnen, einfach gut oder schlecht finden, wie man Dinge im Fußballkosmos eigentlich einfach gut oder schlecht findet. Möglicherweise liegt es daran, dass organisierte Fans auf einmal auf der gleichen Seite stehen wie ihnen ansonsten verhasste Funktionäre, die sie für den Ausverkauf des Fußballs kritisieren.
Nach jahrelangem Rechtsstreit zwischen der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der Stadt Bremen hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Stadt sehr wohl Gebühren für den zusätzlichen Polizeiaufwand bei sogenannten Hochrisikospielen erheben kann. Seine Rechnungen an den Verein Werder Bremen hatte die Stadt auf Grundlage eines Gesetzes gestellt, das ihr erlaubt, bei gewinnorientierten, erfahrungsgemäß gewaltgeneigten Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen polizeiliche Mehrkosten in Rechnung zu stellen.
Die erste von mehreren Rechnungen in Höhe von rund 400.000 Euro hatte die Stadt 2015 anlässlich des Nordderbys zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV verschickt. Gerichtspräsident Stephan Harbarth begründete das Urteil nun damit, das verfassungsrechtlich legitime Ziel der Regelung sei, die Kosten auf denjenigen zu verlagern, der sie veranlasst hat und der die Gewinne aus der Veranstaltung zieht.
Die DFL hat in der Saison 2023/24 einen Umsatz von über 5 Milliarden Euro gemacht. Und sowieso: Der Profifußball, der mit Geld in astronomischer Höhe um sich wirft, soll der Gesellschaft, die ihn ermöglicht, ruhig etwas zurückgeben. Wer das Thema aber damit abhakt, macht es sich zu einfach.
Denn erstens: Fußball ist nicht gleich Fußball. Hochrisikospiele gibt es nicht nur in der lukrativen Bundesliga, sondern auch in den viertklassigen Regionalligen, in denen die Grenze von 5.000 Zuschauer:innen gerne auch mal überschritten wird. Eine Rechnung von einer knappen halben Million würde aber den Jahresetat eines durchschnittlichen Viertligisten sprengen. Viele Menschen stehen Woche für Woche auch in Stadien niedrigklassigerer Ligen, teilweise in bewusster Abgrenzung zum hyperkommerzialisierten Profifußball. Sie sollten nicht für die Maßlosigkeiten der Größten bestraft werden. Den Amateurfußball so zu schwächen, würde bedeuten, den Fußball als Breitensport noch weiter zu vernachlässigen. Genau hier aber liegt der große gesellschaftliche Mehrwert für die Vielen.
Zweitens sollte die Fanperspektive beim Umgang mit dem Urteil nicht untergehen. Und aus dieser sieht es düster aus, wenn die beteiligten Akteure keinen vernünftigen Umgang finden. Fans von Bundesligisten könnten bald noch höhere Eintrittspreise zahlen, weil die Clubs die Polizeikosten auf Tickets umlegen. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Kommerzialisierung und würde weitere Menschen vom Stadiongang ausschließen. Wenn ein niedrigklassiger Verein sich die Polizeirechnungen für ein Hochrisikospiel nicht leisten kann, könnte er Auswärtsfans ausschließen.
In beiden Fällen würde sich der Fußballbetrieb weiter von den Fans entkoppeln. Dabei wurde doch bei den Geisterspielen während der Corona-Pandemie deutlich sichtbar, wie langweilig Fußball ohne Fans und Fankultur ist. Stadien sind als Kulturorte nicht weniger wichtig als Theater, Museen oder Opern. Insofern gibt es sehr wohl eine öffentliche Verantwortung, den Zugang zu ihnen aufrechtzuerhalten – auch für Menschen, die nicht viel Geld haben für teure Tickets.
Drittens kann man, nachdem man jene Vielfalt der Fußballwelten und Fankulturen verinnerlicht hat, doch ganz froh sein über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Denn es zwingt alle Beteiligten, sich noch einmal grundsätzlich Gedanken über das Thema Sicherheit im Fußball zu machen. Wenn Vereine zahlen müssen, dann ist es ihnen wahrscheinlich nicht mehr so egal, wenn ein Polizeieinsatz überzogen ist.
Und die Vereine fragen sich dann eher, wie sie und die Politik wertvolle sozialpädagogische Fanarbeit besser unterstützen können. Weil Sicherheit nicht allein repressiv, sondern auch präventiv gewährleistet werden kann, was ohnehin viel besser ist; und weil niemand einen besseren Zugang zu Fans hat, als Menschen, die in Fanprojekten arbeiten und wissen, wovon sie sprechen.
Das Gute ist, dass das Bundesverfassungsgericht keine pauschalen Lösungen vorgibt, sondern einen Rahmen schafft für unterschiedliche Lösungen in verschiedenen Fußballwelten. Auf die Frage nach dem Lieblingsverein mag es eine eindeutige Antwort geben. Was das neue Gerichtsurteil bedeutet, hängt aber davon ab, ob man im Bremer Weserstadion steht oder im Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion.
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