Polizeigewalt in den USA: Reformresistenter Apparat
Seit Jahren wird gefordert, die Polizei in den USA neu aufzustellen. Doch es ändert sich nichts, wie ein Blick auf Finanzen und Ausbildung zeigt.
Eine Ratssitzung in Nashville, Tennessee am Dienstag dieser Woche. Dutzende Bürger sind gekommen, um ihr Anliegen vorzubringen. In vielen anderen US-Städten protestieren Menschen an diesem Tag bis in die Nacht hinein gegen Polizeigewalt, hier warten die Bürger bis weit nach Sonnenuntergang, um den Ratsleuten ihre Vorschläge für den nächsten Haushalt zu unterbreiten.
Ihre Hauptforderung lautet: „Kein Geld für die Polizei!“ Sie wollen, dass der Etat für die Einsatzkräfte gekürzt wird. Und dass die Gelder stattdessen in Schulen, in die Gesundheitsversorgung und in die Gemeindezentren gesteckt werden.
In den USA ist dies keine neue Forderung. Vielerorts wollen Menschen, dass der Polizei die Mittel gekürzt werden, manche halten es gar für die beste Idee, die Polizei gleich ganz aufzulösen. Denn die Probleme sind ja nicht erst bekannt, seit am 25. Mai ein weißer Polizist in Minneapolis so lange mit seinem Knie auf den Hals des Schwarzen George Floyd gedrückt hat, bis dieser tot war.
Aber das Video von dem brutalen Polizeieinsatz hat Millionen Menschen aufgerüttelt und wurde der Auslöser für eine Welle von Protesten, die es in dieser Vehemenz lange nicht gab. Für die Aktivisten, die sich seit Jahren mit rassistischer Polizeigewalt befassen, war es ein neues tragisches Kapitel in einer Geschichte, die so alt ist wie das Land selbst.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Gewalt gegen Floyd zeigt, dass alle Versuche, die Polizei zu reformieren, gescheitert sind. Im Sommer 2014 schien es noch, als könnten die Einführung von Körperkameras für alle Polizisten, eine verbesserte Ausbildung und mehr Transparenz helfen. Damals war der unbewaffnete Schwarze Teenager Mike Brown in Ferguson, Missouri, von der Polizei auf offener Straße erschossen worden. In den wochenlangen Protesten, die folgten, entstand auch die neue Bürgerrechtsorganisation Black Lives Matter.
Doch die Polizei zeigte schon damals keine Reformbereitschaft. Bis heute hat sich daran wenig geändert. Es blieb bei der tödlichen Gewalt, der vor allem Afroamerikaner und Latinos zum Opfer fallen. Und die Täter können weiterhin auf Straffreiheit hoffen.
Allein im vergangenen Jahr töteten Polizisten in den USA laut der Rechercheplattform mappingpoliceviolence.org 1.099 Menschen. 31 Prozent davon waren Afroamerikaner, obwohl sie nur 13 Prozent der Bevölkerung stellen.
Wenige Stunden „Ethik“
Die Polizeieinheiten in den USA – von der Landgemeinde bis zur Großstadt – dürfen sich unter Trump auch wieder mit Kriegsmaterial aus US-Armeebeständen eindecken. Mit Gewehren mit Bajonett beispielsweise und mit den minenfesten überfallgeschützten Panzerfahrzeugen MRAP.
Nach Ferguson hatte Präsident Barack Obama dafür gesorgt, dass bestimmte Waffen nicht mehr in die Hände der Polizei kamen. Sein Nachfolger hat das wieder aufgehoben.
Kaum verändert hat sich auch die Polizeiausbildung. In manchen Bundesstaaten kann man in zwölf Wochen Polizist werden. Dabei werden Dinge wie „Schlichtung und Konfliktmanagement“ und „Ethik“ in wenigen Stunden abgehandelt. Selbst in New Jersey, Virginia und Massachusetts, den Bundesstaaten mit der längsten Ausbildung für Polizisten, sind die Absolventen schon nach sechs Monaten fertig. Anschließend können sie Zusatzausbildungen machen.
Dabei spielt die israelische Armee eine wichtige Rolle. Jedes Jahr schult sie mehrere Hundert Polizisten aus den USA. Tausende weitere US-amerikanische Polizisten lernen den Umgang mit „Feinden“ von israelischen Ausbildern, die in die USA kommen. Auch in Minneapolis hat 2012 eine solche Schulung stattgefunden. Ob der Täter von Minneapolis daran teilgenommen hat, ist nicht bekannt. Er könnte die Knietaktik auch von seinen Kollegen in Minnesota gelernt haben, wo sie häufig benutzt worden ist. Aber Palästinenser fühlten sich durch das Video von seinem Knie auf George Floyds Nacken an heimische Szenen erinnert.
Die Friedensgruppe Jewish Voice for Peace hat vor zwei Jahren eine Kampagne gegen die Zusammenarbeit zwischen US-amerikanischer Polizei und israelischer Armee gemacht. Doch damals reagierte nur die Stadt Durham in North Carolina mit der Aufkündigung des Fortbildungsvertrags. Polizisten aus mindestens elf Bundesstaaten lernen weiterhin bei der israelischen Armee.
Geblieben ist es seit Ferguson auch bei der finanziellen Großzügigkeit US-amerikanischer Gemeinden gegenüber ihrer Polizei. In Minneapolis, dessen Bürgermeister Jacob Frey in seinem Wahlkampf sozialen Wohnungsbau und bessere Beziehungen zwischen Bürgern und Polizei versprochen hatte, ist das Polizeibudget für 2020 um 10 Millionen Dollar auf 193 Millionen erhöht worden. Kandace Montgomery von der Bürgerinitiative Reclaim the Block hat im Rat vergeblich für Kürzungen bei der Polizei und mehr Geld für Drogenberatung und Gewaltprävention plädiert.
In New York City, der Stadt mit der weltweit stärksten Polizeieinheit (36.000 Einsatzkräfte) und mit dem größten Budget, hat Bürgermeister Bill de Blasio den Polizeihaushalt zwar um 23,8 Millionen Dollar gekürzt, aber das macht nur 0,4 Prozent ihres 5-Milliarden-Dollar-Budgets aus.
Landesweit haben die weit rechts stehenden Gewerkschaften der Polizei sowohl die Lokalpolitiker beider Parteien als auch die Direktkandidaten mit Spenden unterstützt. Der New Yorker Gouverneur beispielsweise hat 600.000 Dollar von Polizeigewerkschaften bekommen.
Polizeigewalt in Buffalo: Das Verhalten von Sicherheitskräften in der Stadt Buffalo bei einem Protest gegen rassistische Polizeigewalt in den USA hat am Donnerstag neue Empörung ausgelöst. Videoaufnahmen des Senders WFBO zeigen, wie ein Beamter einen älteren Demonstranten stößt. Der 75-Jährige stürzt auf den Rücken und schlägt sich den Kopf auf dem Bürgersteig auf. Blut tritt aus – und Polizisten laufen an ihm vorbei. Der Zwischenfall ereignete sich, als die Polizei einen Platz zu Beginn der nächtlichen Ausgangssperre um 20 Uhr räumte. Das Video verbreitete sich rasend schnell in sozialen Medien, die Bilder sorgten für Entsetzen.
Klage gegen Trump: US-Bürgerrechtler haben Präsident Trump wegen des Einsatzes von Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstranten nahe dem Weißen Haus verklagt. Der Einsatz sei gesetzeswidrig gewesen, da sich die Demonstranten friedlich verhalten hätten, so die American Civil Liberties Union und andere Gruppen in ihrer Klage. Bei der Trauerfeier für George Floyd in Minneapolis kündigte Bürgerrechtler Al Sharpton zudem einen neuen „Marsch auf Washington“ an, um gegen Diskriminierung zu protestieren. Er soll am 28. August stattfinden, dem Jahrestag der Martin-Luther-King-Kundgebung von 1963.
Die meisten Polizeieinheiten in den USA unterliegen nicht dem Bundesrecht, sondern lokalen und bundesstaatlichen Gesetzen. Diese Abhängigkeit von den örtlichen Politikern und die kommenden Wahlen im November waren Gründe dafür, dass sich Polizeichefs überall in den USA am 25. Mai beeilt haben, die Gewalttat zu verurteilen und eine Gefängnisstrafe für den weißen Polizisten zu fordern.
Mehrere Polizeichefs rangen dabei mit den Tränen. In ihrer Beschreibung ist das Verbrechen von Minneapolis ein isolierter Einzelfall. In einigen Städten mischen sich Chefs und auch ein paar Polizisten aus unteren Diensträngen unter die Demonstranten. Sie knien nieder, beten, haken sich unter und rufen: „Black Lives Matter!“
Aktivisten, die seit Jahren vergeblich für Veränderungen bei der Polizei eintreten, sind gespalten über die symbolischen Gesten von Polizisten. „Haltet unter allen Umständen Abstand von der Polizei“, raten viele ihren Mitstreitern. Sie sagen, Polizisten hätten an verschiedenen Orten direkt nach dem Knien auf Demonstranten eingeprügelt.
Der Polizeichef von Houston, Art Acevedo, geht besonders weit mit seiner Kritik. Von Minneapolis verlangt er die Offenlegung aller Daten über das Verbrechen. Und Präsident Donald Trump rät er, „den Mund zu halten, wenn er nichts Konstruktives zu sagen hat“.
Am Dienstag ging Acevedo in seiner Stadt mit 60.000 anderen Menschen gegen Polizeigewalt auf die Straße. Am Abend umzingelten ihn mehrere Demonstranten. Sie werfen ihm „Lügen“ und „Scheinheiligkeit“ vor, weil er die Videos zu sechs Menschen unter Verschluss hält, die seine Polizisten binnen sechs Wochen in Houston getötet haben.
„Er sagt eine Sache und tut eine andere“, befindet Ashton Woods von Black Lives Matter in Houston, „ich traue ihm nicht.“
New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio befindet sich in einem ähnlichen Polizeidilemma. Er hat fünf Jahre verstreichen lassen, bevor er den Polizisten entlassen hat, der im Juli 2014 den Zigarettenverkäufer Eric Garner mit einem Würgegriff getötet hat. Aber über Minneapolis tweetet er: „Ich bin entsetzt“ und verlangt sofortige Reaktionen.
Am Mittwochabend wurde de Blasio bei einem Protest in seinem Heimatbezirk Brooklyn ausgebuht. Rufe ertönten. Ein Wort ist dabei deutlich zu vernehmen, es lautet: „Rücktritt!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut