Polizeigewalt in Brasilien: Elektroschocks im Polizeirevier
Die Befriedungspolizei sollte vor der Fußball-WM in den Favelas für Frieden sorgen. Jetzt steht sie im Verdacht, einen Mann zu Tode gefoltert haben.
RIO DE JANEIRO taz | Ein Polizeiskandal mit Folter- und Mordvorwürfen stellt das Sicherheitskonzept Rio de Janeiros im Vorfeld von Fußball-WM und Olympischen Spielen infrage. Zehn Mitglieder der Befriedungspolizei UPP (Unidades de Polícia Pacificadora) sitzen seit dem Wochenende in Untersuchungshaft. Sie sollen, so ein Untersuchungsbericht, den Hilfsarbeiter Amarildo de Souza zu Tode gefoltert haben. Weitere 22 Bewohner der Favela Rocinha sagten aus, auch sie seien auf der Polizeistation gefoltert worden.
Gouverneur Sergio Cabral nahm die knapp 9.000 Polizisten in Schutz, die als Befriedungseinheiten über 30 Armenviertel besetzt halten. „Der Fall Amarildo ist nicht das Markenzeichen der UPPs“, erklärte Cabral am Sonntag.
Amarildo ist seit dem 14. Juli spurlos verschwunden. Zuletzt sahen ihn Anwohner, als er vor seiner Wohnung in der Rocinha von Polizisten angehalten und in einer Streife abtransportiert wurde. Schon wenige Tage später waren auf Demonstrationen Plakate mit der Frage „Wo ist Amarildo?“ zu sehen. Nach einem Monat änderte sich die Frage: „Wer hat Amarildo getötet?“ Damals gab es in Rio de Janeiro fast täglich Demonstrationen.
Aufgrund des öffentlichen Drucks musste die Regierung den Fall Amarildo weiter untersuchen. Der Kommandeur der UPP der Rocinha-Favela, Edson dos Santos, wurde seines Amtes enthoben. Er hatte behauptet, Amarildo sei von Drogenhändlern ermordet worden. Doch die beiden Zeugen dieser Version zogen später ihre Aussage zurück und gaben stattdessen an, von der Polizei Geld für die Falschaussage erhalten zu haben.
Schließlich bestätigten die Ermittlungen, was die Familie Amarildos von Anfang an befürchtet hatte. Der Vater von sechs Kindern starb an den Folgen von Folterungen mit Elektroschocks. Dos Santos und neun seiner Kollegen wurden festgenommen und sollen sich wegen Folter mit Todesfolge und dem Verschwindenlassen der Leiche vor Gericht verantworten.
Bürger- oder Militärpolizei?
Die Befriedungspolizei UPP galt bisher als erfolgreicher Ansatz, die Gewalt zu beenden. In den Armenvierteln, die oft direkt neben schicken Stadtteilen oder nahe den Sportstätten liegen, lieferten sich Drogenbanden und Militärpolizisten immer wieder Feuergefechte. Die Favelas waren No-go-Areas.
Mit den UPPs sollten die Schießereien ein Ende haben, so das Versprechen der Regierung Cabral. Bürgernahe Polizisten sollten deutlich machen, dass auch die Menschen in den Favelas ein Recht auf Sicherheit haben. Nun drängt sich der Verdacht auf, dass die UPP-Beamten ähnlich wie die herkömmlichen Militärpolizisten agieren.
Laut einer Studie der staatlichen Universität UFRJ erschossen Militärpolizisten zwischen 2001 und 2011 über 10.000 Menschen in den Armenvierteln Rio de Janeiros. Viele Bewohner empfinden die Uniformierten als Bedrohung, ähnlich wie die Drogenhändler, die in den meisten Favelas das Sagen haben. „Für mich hat sich mit der UPP in der Rocinha nichts zum Guten verändert“, sagt Maria Eucica, die Schwester Amarildos, im Gespräch mit der taz verbittert. „Die Polizisten durchsuchen unsere Häuser ohne Durchsuchungsbefehl, gehen rüde mit uns Bewohnern um und verdächtigen unsere Kinder ohne jeden Grund.“
Besonders ärgert die Schwester Amarildos, dass die UPP-Beamten nicht gegen die Drogenhändler vorgehen, die nach wie vor in der Rocinha sind. „Die Uniformierten lassen sich von den Kriminellen einfach bestechen. Aber wir haben kein Geld, um für unsere Sicherheit zu bezahlen“, so Eunice.
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