Polizeigewalt in Belarus: Für nichts getötet
Ein Aktivist wird umgebracht. Es hätte jeden treffen können. Janka Belarus erzählt von tragischen Ereignissen in Minsk. Folge 33.
A m Mittwoch, dem 11. November, gegen zehn Uhr abends sahen die Bewohner der Häuser am mittlerweile legendären „Platz der Veränderungen“ vier Kleinbusse mit abgedunkelten Scheiben, aus denen maskierte Unbekannten stiegen, um zum wiederholten Male die weiß-rot-weißen Bänder von den Zäunen entfernten.
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Im Nachbarschafts-Chat schrieb der 31-jährige Künstler Roman Bondarenko, der früher einmal in einer militärischen Spezialeinheit des Innenministeriums gedient hatte: „Ich gehe raus!“ Nach Augenzeugenberichten fragte Roman die Leute in Zivil, warum sie gekommen seien und was sie täten. Einer der Männer war von Anfang an aggressiv, begann Roman zu beschimpfen, zu beleidigen, und schubste ihn dann.
Wenige Minuten später hielten ihn schon mehrere Leute fest. „Es war zu sehen, dass diese Leute wussten, wie man Verhaftungen durchführt. Als sie ihn in den Bus brachten, war er noch bei Bewusstsein“, sagt Tatjana, die die Tränen nicht zurückhalten kann. Sie war am Ort des Geschehens gewesen.
Etwa anderthalb Stunden später wurde Bondarenko aus einer Polizeiwache im Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht, er war da schon im Koma. Der Mann war schrecklich zusammengeschlagen: ein großes Hirnödem, ein geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma, überall Verletzungen und Hämatome. Sein Zustand war nach Einschätzung der Ärzte kritisch, eine optimistische Prognose konnten sie nach der mehrstündigen Operation und einer Öffnung des Schädels nicht geben. Am Abend des 12. November starb Roman während der Reanimation.
ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.
Das Innenministerium kommentierte das Vorgefallene so: „Einige Bürger, die anderen ihre persönliche Meinung und politische Position aufdrängen wollen, hängen, malen oder kleben nichtstaatliche Symbole an Häuserfassaden, öffentliche Gebäude, private Autos und so weiter. Andere, nicht gleichgültige Bürger versuchen die Ordnung aufrechtzuerhalten und nicht zuzulassen, dass die Regeln des Gemeinwohls verletzt werden. Mit den Folgen solcher Konflikte, manchmal auch mit solch bedauernswerten Vorfällen, muss sich das Innenministerium beschäftigen.“
Dieser Meldung nach zu urteilen wurde Roman von „nicht gleichgültigen Bürgern“ umgebracht. Das heißt von Bürgern, die keine Seele habe. Keine Ehre. Kein Gewissen. Nichts Menschliches. Es fällt schwer zu begreifen, dass es anstelle dieses jungen Mannes auch absolut jeden anderen hätte treffen können. Der oder die jetzt tot wäre. Das, was die Sicherheitskräfte tun – das ist schon nicht mal mehr Faschismus zu nennen, das ist ein Genozid. Aber weder der Innenminister noch der Generalstaatsanwalt treten zurück. Sind solche Handlungen akzeptabel? Gehen die Schuldigen an diesen Verbrechen straflos aus?
Ich glaube an eine höhere Gerechtigkeit. Man darf das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht brechen. Man darf es einfach nicht.
Am Abend des 12. November kamen zu dem Hof, wo Roman gelebt hat, mehr als tausend Menschen, um sein Andenken zu ehren, Kerzen aufzustellen und zu beten. Am Mittag des 13. November wollen die Belarussen für eine Schweigeminute die Arbeit unterbrechen. Und ich hoffe, es gibt ein Bewusstsein dafür, dass man eine Wiederholung eines solchen Vorfalls nicht zulassen darf. Man darf es einfach nicht.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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