Polizeigewalt in Bayern: Knochensplitter und Idylle
In einem Dorf in Bayern prügeln Polizisten Punks ins Krankenhaus. Anzeige wollen diese nicht erstatten – aus Angst, als Aussätzige zu gelten.
Eines Nachts Ende Mai verprügeln hier zwei Polizisten eine Gruppe Punks. Drei der Jungs werden im Krankenhaus landen, einer muss notoperiert werden. Seitdem rechnen sie jeden Morgen auf dem Weg zum Briefkasten damit, dass darin eine Anzeige liegt, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchter Gefangenenbefreiung.
Sie trauen sich bisher nicht, einen Anwalt zu nehmen und juristisch gegen die Beamten vorzugehen. Und sie bestehen darauf, dass ihre Geschichte hier nur anonym erzählt wird. Denn sie haben Angst vor dem Getuschel der anderen, vor Blicken an der Supermarktkasse. Sie fürchten, sie könnten ihre Arbeit oder ihre Wohnung verlieren, wenn Vermieter oder Chef davon hören. Sie leben alle gerne hier, sind heimatverbunden, trinken Kaffee mit ihren Nachbarn und freuen sich über Besuch bei ihren Konzerten. Das wollen sie nicht aufs Spiel setzen – anderssein und dafür akzeptiert werden.
Es ist nicht klar, was genau in der Nacht zum 30. Mai auf der Kopfsteinpflasterstraße hinauf zum Marktplatz von Bad Kötzing geschehen ist. Dazu gibt es zwei Versionen. Die der Polizei, welche sich auf eine Pressemitteilung beschränkt, da sie auf taz-Anfrage auf das laufende Verfahren verweist. Und die Sicht der mutmaßlichen Opfer sowie einiger Augenzeugen.
Schwarze Lederjacken
Es ist das letzte Wochenende der Pfingstwoche – des größten religiösen und gesellschaftlichen Events von Bad Kötzting. Das Brauchtum ist sehr lebendig. In einer Prozession reiten festlich gekleidete Geistliche mit 900 Trachtenträgern auf geschmückten Pferden durch die Stadt und tragen dabei ein mannshohes, goldverziertes Kreuz. Die Lokalzeitung lobt auf einer halben Seite das Ballkleid der Pfingst-Braut. Spielmannszüge marschieren durch die Straßen. Am Abend ist Volksfeststimmung.
Unter den Trachtlern und Lederhosen fallen Franz, Paul, Kai und Hans auf. Sie tragen T-Shirt und Jeans, zeigen ihre tätowierten Arme und Piercings. Es ist ein warmer Frühsommerabend, und die Clique setzt sich auf die Terrasse des Horse Town Clubs am Marktplatz. Die Stimmung ist ausgelassen. Das Bier fließt.
„Wir haben gefeiert und gut getrunken“, erinnert sich Franz. Um von dem zu erzählen, was in den folgenden Stunden passierte, will Franz nicht in Bad Kötzting mit einem Reporter von auswärts gesehen werden: „Das würde jeder mitkriegen, und sofort wären wir das Dorfgespräch.“ Deshalb haben er und seine Freunde ein Wirtshaus 20 Kilometer entfernt als Treffpunkt vorgeschlagen. Dass bei so wenigen Einwohnern trotzdem der Verdacht auf sie fallen kann – dieses Risiko gehen sie ein, weil sie überzeugt sind, Opfer einer großen Ungerechtigkeit geworden zu sein.
Es ist gegen halb 3 Uhr morgens auf der Terrasse des Horse Town Clubs in Bad Kötzing, als die Gruppe zahlt und sich auf den Heimweg macht. Kaum haben sie die Bar verlassen, kommt es zu einer Rangelei mit Mitgliedern eines Burschen-Vereins. Schimpfwörter fliegen, aber keine Fäuste. Paul ist am nüchternsten und schlichtet. Jede Gruppe zieht ihres Weges. Die Punks wollen bei Kai übernachten. Franz trödelt hinterher.
„Polizei, Ausweis her!“
Plötzlich stehen da zwei Männer auf dem Marktplatz. Die Haare haben sie nach hinten gegelt, sie tragen keine Uniformen, sondern schwarze Lederjacken. Beide steuern zielstrebig auf Franz zu, packen ihn am T-Shirt und brüllen: „Polizei, Ausweis her!“
„Ich habe so was geantwortet wie: Kann ja jeder sagen, zeig mal du deinen Ausweis“, sagt Franz. „Das waren keine von unseren Dorfpolizisten, die sahen überhaupt nicht aus wie Polizei, beide waren in zivil – und einen Ausweis haben wir nie gesehen“, erzählt Paul. Woher die Zivilpolizisten stammen, will die Polizei bis heute nicht sagen.
Statt des Dienstausweises bekommt Franz eine Ladung Pfefferspray vor die Augen. Grundlos. Er klappt zusammen und brüllt vor Schmerz. Hans, Paul und Kai bemerken, dass etwas nicht stimmt. Sie sehen ihren Freund auf dem Boden liegen und wie sich zwei Gestalten über ihn beugen. Sie glauben, ihr Kumpel werde von ein paar betrunkenen Festbesuchern aufgemischt. Sie laufen los, Hans vorweg. Ein Fehler, den er am nächsten Tag auf dem OP-Tisch bezahlen wird.
„Ich bin hingerannt – aus Zivilcourage. Habe geschrien, was das soll und versucht, den einen von Franz wegzuziehen“, sagt Hans. „Wenn ich gewusst hätte, dass das Polizisten sind, hätte ich das nicht gemacht.“ Woher genau der Schlag kommt, sieht Hans nicht. Eine Hand zerrt an seinem Hinterkopf, während ihm einer der Polizisten mit einer Maglite-Taschenlampe auf die Stirn drischt. Zwischen den Augen splittert der Knochen. Hans sackt zusammen.
„Am nächsten Tag im Krankenhaus wurde erst meine Platzwunde genäht, meine Stirnplatte war eingedrückt. Seitdem habe ich eine Platte im Kopf. Der Arzt war überrascht, dass ich überhaupt noch bei Bewusstsein war“, sagt Hans. Vier Tage lag er im Krankenhaus. Auch drei Wochen nach seiner OP verbirgt er seine blutunterlaufenen Augen hinter einer breiten Sonnenbrille.
Rätselhafte Verletzung
Soweit die Version der Punks und einiger Augenzeugen. Im Polizeibericht zur Nacht heißt es dagegen nur: „Im Verlauf der Anzeigenaufnahme kam es zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit Körperverletzungen und einer versuchten Gefangenenbefreiung gegen die ersteinschreitenden Polizeibeamten. Bei der Schlägerei und dem nachfolgenden Einsatz wurden mehrere Personen, darunter auch Polizeibeamte, verletzt.“
Wie sich der Polizist verletzt haben kann, ist für die Gruppe ein Rätsel: „Er ist nicht mal hingefallen, als ich ihn von Franz wegziehen wollte“, sagt Hans.
Ihr Fall ist nur einer von vielen, bei denen die bayerische Polizei hart, vermutlich zu hart vorging. Oft landen nicht die Polizisten, sondern die Opfer auf der Anklagebank: 2009 brechen Polizisten der Spezialeinheit USK Jan A. im Einsatz die Finger, weil dieser an einer verbotenen Stelle gegrillt hatte. A. wurde zu 1.500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. 2010 ringen Polizisten eine Familie in Rosenheim nieder und bekommen eine Anzeige. 2011 rammen Beamte eine Dolmetscherin am Münchner Hauptbahnhof gegen die Wand. Die Polizisten zeigen sie an. 2011 verprügelt der Rosenheimer Polizeichef einen 15-Jährigen. Teresa Z. ruft 2013 die Beamten zur Hilfe, wird auf einer Münchner Wache gefesselt und von einem Polizisten ins Krankenhaus geprügelt.
Das Urteil der Dorfgemeinschaft steht fest
Gruppen wie Amnesty International (AI) kritisieren seit Langem, dass die Polizei in solchen Fällen gegen sich selbst ermitteln muss – wenn Aussage gegen Aussage steht. Viele Verfahren werden eingestellt. In Bayern sei die Situation noch schlechter als in anderen Bundesländern, stellte AI schon 2011 fest.
Unter anderem öffentlicher Druck führte dazu, dass Frank W., der Polizist, der Teresa Z. ins Gesicht schlug, zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Im Dienst ist er bis heute. Doch anders als Teresa Z. können sich die Jungs im Bayerischen Wald nicht der Unterstützung der Öffentlichkeit, Medien und Zivilgesellschaft sicher sein. Im Gegenteil.
Das Urteil der Dorfgemeinschaft steht schon jetzt: „Wenn die Polizei hinlangt, dann trifft es schon die Richtigen, besonders, wenn die keine Lederhosen tragen. So sieht man das hier“, sagt Hans. Das gilt vielerorts in Bayern, in den ländlichen Gegenden ganz besonders: Polizei ist wie Kirche. Sie ist Teil der Ordnung, die nicht infrage gestellt wird.
Doch immerhin: Die Pfingst-Braut ist unter den Zeugen von Bad Kötzting. Sie bestätigt die Version der Jungs. Dass nicht sie die Angreifer waren, sondern die Polizei, und dass diese äußert brutal gegen die Punks vorging. „Ihr Amt und ihr Wort zählen mehr als der Landrat“, sagt Kai. Doch ob sie auch mehr zählen als die Polizei?
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