Polizeieinsatz in der Rigaer94: Kettensäge schlägt Feuerlöscher
Die Polizei verschafft sich und dem Brandschutzbeauftragten Zutritt zum teilbesetzten Haus Rigaer94.
Am Donnerstag gegen 9 Uhr morgens hatten sich Polizeibeamt:innen zum Eindringen in das teilbesetzte Haus bereitgemacht. Insgesamt seien über 1.000, in direkter Umgebung des Hauses etwa 350 Beamt:innen im Einsatz gewesen, so Polizeisprecher Thilo Cablitz. Mit Kettensegen bewaffnet schnitten die Beamt:innen die Eingangstore auf. Musik schallte aus dem Haus über die Straße, Hammergeräusche ertönten. Rauch qualmte aus dem Hauseingang, über dem der markante Spruch „Unsere Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jede Autorität“ zu lesen ist.
Immer wieder wurden die Beamt:innen durch Farbattacken und Schaum aus Feuerlöschern zurückgedrängt. Ganze viereinhalb Stunden dauerte es deshalb, bis das erste und zweite Tor, sowie die Zugänge zu Hinterhaus und Seitenflügeln gesichert waren. Erst gegen halb 1 Uhr mittags konnte der Brandschutzbeauftragte mit zwei Bezirksmitarbeiter:innen, sowie zwei Anwälten der Bewohner:innen, das Gebäude betreten.
Gegen 5 Uhr nachmittags bestätigte ein Anwalt der Rigaer 94 der taz, dass der Brandschutzbeauftragte alle Wohnungen im Haus inspiziert habe. Die Türen seien ihm geöffnet worden, es habe keine Probleme gegeben. Damit dürfte die Brandschutzprüfung abgeschlossen sein – die zwei ereignisreichen Tage im Friedrichshainer Nordkiez allerdings noch nicht. Um 20 Uhr rufen Unterstützer:innen der Rigaer Straße noch zu einer Demonstration am Boxhagener Platz auf. Das Motto: „Don't play with fire or you will get burned“.
Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als könnte sich Berlin den enormen Polizeieinsatz sparen. Die Rigaer 94 hatte noch am Mittwochabend in einer Stellungnahme verkündet, der Brandschutzbeauftragte könne seine Arbeit „ohne Gefahr für seine Gesundheit“ ausüben. Auch Cablitz hatte bestätigt, die Polizei leiste lediglich einen „Schutzauftrag“ in Amtshilfe für den Bezirk – einer Begehung ohne Polizei stand demnach nichts entgegen.
Eigentümer:innen dürfen nicht rein
Doch das Angebot eines solchen, vollständig friedlichen Tagesablaufes scheiterte, da der Brandschutzbeauftragte nicht auf Polizeischutz verzichten wollte. Wie gut informierte Kreise der taz berichteten, hatten auch Vertreter:innen der Eigentümer:innen noch am Morgen versucht, ebenfalls ins Haus zu gelangen – der Bezirk habe dies unterbunden. Am Mittwochabend hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) überraschend beschlossen, dass die Eigentümer:innen eben dies nicht dürfen.
Offen ist noch, was durch die Begehung tatsächlich erreicht wird. Schließlich hatte der zuständige Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) schon im März eine Begehung vorgenommen – ohne Polizei und Eigentümer:innen, dafür mit Einverständniserklärung der Bewohner:innen. Dabei wurden keine unbehebbaren Mängel festgestellt, auch wurde deren Behebung in zwei Folgebesichtigungen überprüft. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts sowie eine Anweisung der Bezirksaufsicht hatte Schmidt aber gezwungen, eine weitere Brandschutzbegehung anzuordnen.
Was sich die Lafone Investment Limited von der Begehung verspricht, die sich in etliche Briefkastenfirmen aufspaltet und der das Haus erst seit einigen Jahren gehört, ist dagegen klar: Sie wollen eine Nutzungsuntersagung und so eine Räumung der derzeitigen Bewohner:innen erwirken. Diese befürchten dagegen, dass durch die Begehung vollendete Tatsachen geschaffen werden könnten.
Bereits am Mittwoch war die Lage deshalb eskaliert: Barrikaden brannten, Vermummte versuchten, eine „autonome Zone“ zu errichten – wohl auch, um der von der Polizei geplanten Demoverbotszone vorzukommen. Es kam zu massiven Steinhagel und Beschuss durch Pyrotechnik auf Polizist:innen. Am Mittwoch sprach die Polizei von 60 Verletzungen, darunter eine Gehirnerschütterung und eine Beinverletzung. Am Donnerstag hätten insgesamt 21 Beamt:innen Atemwegsreizungen durch die Feuerlöscher und Knalltraumata durch Feuerwerkskörper erlitten, so die Polizei weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau