Polizei-Vizepräsidentin kritisiert Rot-Schwarz: "Eine Rolle rückwärts"

SPD und CDU planen längere Vorbeugehaft, die Kennzeichnungspflicht für Polizisten steht auf der Kippe. Berlins amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers hält davon nichts.

Berlins amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers Bild: Polizei

taz: Frau Koppers, Sie haben die 22.000 Mitarbeiter zählende Polizeibehörde ein halbes Jahr kommissarisch geleitet. Jetzt bekommt die Polizei mit Udo Hansen einen neuen Chef. Wo sehen Sie Ihre neue Rolle?

Margarete Koppers: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. (lacht) Theoretisch ist eine neue Aufgabenverteilung zwischen Präsident und Vizepräsidentin denkbar. Aber ich möchte dem neuen Präsidenten nicht vorgreifen. Ich bin gespannt, welche Vorstellungen und Reformziele er mitbringt.

Bei den Koalitionsverhandlungen würde die Union am liebsten die von Rot-Rot eingeführte Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder streichen. Wie verfolgen Sie diese Gespräche?

Ich wäre glücklich, wenn man zu dem Ergebnis käme, die Kennzeichnungspflicht überhaupt nicht anzutasten. Die Geschäftsanweisung zurückzunehmen, wäre eine Rolle rückwärts zu allem, was der frühere Polizeipräsident Herr Glietsch und ich bisher für richtig befunden haben. Den Polizisten ist es bewusst freigestellt, ob sie ihren Namen oder eine Nummer tragen. Es handelt sich um einen Kompromiss, der, denke ich, von allen Parteien mitgetragen werden könnte.

Bei den Verhandlungen wird ein neuer Kompromiss diskutiert: rotierende Nummern.

Die frühere Richterin führt seit dem Abgang von Polizeipräsident Dieter Glietsch im Mai die Behörde kommissarisch. Ab kommender Woche soll der von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vorgeschlagene Ex-Bundespolizei-Mann Udo Hansen die Polizeiführung übernehmen. In der Behörde galt Koppers vielen als Wunschkandidatin.

Ich kann nicht erkennen, was das an Vorteil bringen sollte. Das würde nur einen wahnsinnigen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. Datenschutzrechtlich haben wir jetzt schon alles getan, damit kein Unberechtigter Zugriff auf die Daten hat.

Beamte der geschlossenen Einheiten sind bis heute nicht individuell gekennzeichnet. Warum nicht?

Für die Ausgabe der Kennzeichen ist alles vorbereitet. Wir haben aber Anfang November zwei Termine beim Verwaltungsgericht, bei denen Personalvertretungen gegen die Kennzeichnungspflicht vorgehen. Diese Termine wollen wir abwarten, bevor wir die Nummern ausgeben.

Was, wenn Sie unterliegen?

Wenn Teile der Praxis oder des Verfahrens für rechtswidrig erklärt werden, dann müssen wir nachbessern. Dass die komplette Kennzeichnung in Frage gestellt wird, kann ich mir allerdings nicht vorstellen.

Würde die Behörde in diesem Fall Rechtsmittel einlegen?

Das würde ich jedenfalls dem Polizeipräsidenten empfehlen.

Rot-Schwarz hat sich auf eine verlängerte Vorbeugehaft geeinigt. Was für Nachteile hat Berlin dadurch, dass der Unterbindungsgewahrsam bisher bei 47 statt 96 Stunden lag?

Das sollten Sie diejenigen fragen, die meinten, jetzt eine Änderung herbeiführen zu wollen. Ich kann keine Defizite erkennen. Ich sehe auch keine Notwendigkeit für eine Ausweitung.

Am Sonntag hat die Polizei einen Fahndungs-Coup vermeldet: Ein 27-Jähriger hat 67 Autobrandstiftungen gestanden. Könnte er für weitere Taten verantwortlich sein?

Nach der Festnahme eines Serien-Autobrandstifters ist nicht mit einer schnellen Anklage zu rechnen. Zunächst müsse jede gestandene Brandstiftung mit Beweisen und den Tatorten abgeglichen werden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. "Das dauert. Für eine Anklage muss jede Tat belegt sein. Wir stützen uns nicht allein auf die Angaben des Beschuldigten." Der Mann werde weiter vernommen, auch zu weiteren Brandstiftungen.

Die Polizei hatte den 27-Jährigen am Freitag gestellt. Er gestand, zwischen Juni und August 67 Autos angezündet zu haben. 35 weitere Fahrzeuge wurden dabei beschädigt. Gegen den Mann wurde Haftbefehl wegen schwerer Brandstiftung erlassen.

In der Nacht zum Montag ging erneut ein Auto in Lichtenberg in Flammen auf. Die Polizei betonte, die nächtlichen Streifen von Berliner Beamten und Bundespolizisten gingen weiter. 2011 wurden in Berlin laut Polizei 471 Fahrzeuge direkt angegriffen, weitere 183 Wagen von Feuer mitbeschädigt. Von den direkten Angriffen werden 171 als politisch motiviert eingeschätzt. (dpa)

Als wir uns im August auf den jetzt Festgenommenen konzentriert haben, sind wir von mehr Taten ausgegangen, die seine Handschrift tragen. Um die 80 Taten vermuten wir.

Der Tatverdächtige gehört laut Polizei nicht zur linken Szene. Muss man die Brandstiftungen in diesem Jahr unter einem neuen Blickwinkel sehen?

Wir haben eine klare Linie gefahren: Wenn wir konkrete Anhaltspunkte hatten, dass die Taten politisch motiviert sein könnten, haben wir diese auch als solche bewertet. Das heißt, wenn es Selbstbezichtigungsschreiben gab, die Fahrzeuge hochwertig waren oder an bestimmten Stellen geparkt. Das war eine bewusst vorsichtige Einschätzung, um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, ein Phänomen herunterzuspielen. Tatsächlich, und das habe ich seit August immer wieder betont, glauben wir, dass die politisch motivierten Autobrandstiftungen deutlich zurückgegangen sind. Viele Taten waren überhaupt nicht zuzuordnen und wurden eher von Trittbrettfahrern begangen.

CDU und FDP haben mit den Autobränden mächtig Wahlkampf gegen Linksextremismus gemacht. Hätte die Polizei nicht intervenieren müssen, dass das mit der Realität nicht übereinstimmt?

Es ist nicht unsere Aufgabe, Wahlkämpfe zu beeinflussen. In Interviews habe ich aber immer betont, dass die Autobrände nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden sollten, sondern dieses Vorgehen eher noch Nachahmungstaten forciert.

Straft die Festnahme des 27-Jährigen diejenigen Lügen, die zuletzt immer wieder vor linken Zündlern warnten?

Dass wir aus fachlicher Sicht die linksextreme Szene in Berlin nüchterner einschätzen als manche Politiker, habe ich oft genug deutlich gemacht. Das hat nichts mit Herunterspielen zu tun.

Hat sich Ihre Einschätzung geändert, nachdem mutmaßlich Linksradikale Brandsätze an Berliner Bahngleise legten?

Dass wir eine radikale linke Szene haben, die zu Gewalttaten fähig ist, haben wir nie bezweifelt. Aber die bewusste Gefährdung von Menschenleben ist in der Szene weiter nicht vermittelbar und wird eher abgelehnt. Das konnte man auch so in den einschlägigen Blogs nach den Anschlagsversuchen auf die Bahnanlagen nachvollziehen. Ich warne davor, das jetzt höher zu reden, als es ist, und von einem neuen linken Terrorismus zu sprechen. Das bedeutet nur Aufschaukeln und Eskalation.

Die CDU fordert mehr Einsatz gegen linke Gewalt. Hat die Polizei dafür zu wenig Personal?

Dass man sich um dieses Phänomen kümmern muss, liegt auf der Hand. Aber ich glaube, wir sind qualitativ wie quantitativ sehr gut aufgestellt. Wie effektiv unser Staatsschutz arbeitet, haben wir ja gerade erst bei der Festnahme des Autobrandstifters bewiesen.

Sie haben im September eine NPD-Kundgebung geheim gehalten. Innensenator Körting hatte angekündigt, rechte Veranstaltungen einen Tag vorher bekannt zu machen. Was gilt?

Ich glaube, der Dissens ist kleiner, als in den Medien dargestellt. Denn ich bin ja nicht generell gegen die Bekanntgabe rechtsextremer Veranstaltungen. Wenn wir aber den Eindruck haben, dass eine frühzeitige Veröffentlichung zu gewalttätigen Eskalationen gegenüber Versammlungsteilnehmern oder Polizisten führt, dann haben wir das Recht, die Veranstaltungen nicht frühzeitig bekannt zu machen. Das ist immer eine Entscheidung im Einzelfall und das ist auch Konsens zwischen Herrn Dr. Körting und mir. Man kann aber darüber streiten, ob wir bei der besagten NPD-Veranstaltung zu restriktiv vorgegangen sind.

Noch eine andere Frage: Die Polizei verbot zuletzt den Occupy-Protestlern wiederholt ein Zeltlager vorm Bundestag. Warum?

Wir haben in Berlin eine ziemlich breit gefächerte Demonstrationskultur: von linksextrem über bürgerlich bis rechtsextrem. Ich bin der festen Überzeugung, dass man da eine ganz klare Linie fahren muss und Zelte von keiner Seite dulden darf. Das Verwaltungsgericht hat das bisher in jeder Hinsicht bestätigt. Würden wir auf einer Seite liberaler entscheiden, würde uns das auch gegenüber der anderen Seite rechtlich binden.

Das Bundesverfassungsgericht befand im März, dass Protest in "vielfältigen Formen" den Schutz des Versammlungsrechts genießt.

Aber Zelten wurde dabei nicht erwähnt. Warum man für eine politische Willensbekundung Zelte aufstellen muss, kann ich auch nicht erkennen.

Beschlagnahmt wurden auch Isomatten. Wo fängt Zelten an?

Wenns nur Sitzkissen sind, habe ich kein Problem. Aber alles, was zum dauerhaften Verbleib dient, fällt unter das Verbot.

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