Polizei-Kessel in Schwerin: „Ohne Rechtsgrundlage festgesetzt“
Acht Stunden lang kesselte die Polizei am 1. Mai die Gegner eines NPD-Aufmarsches ein. Es gab kein Trinkwasser – dafür Begleitung beim Toilettenbesuch.

„Acht Stunden wurde mein Sohn ohne Rechtsgrundlage von der Polizei festgesetzt“, sagt Herr V., der Vater eines Betroffenen, der taz. „Jugendliche müssen spätestens nach einer Stunde aus dem Kessel herausgeholt werden“, fährt der Akademiker fort, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. Also habe die Polizei das Jugendgerichtgesetz verletzt, das Teile des Jugendstrafrechts regelt: „Wir werden Strafanzeige stellen.“
Prominentes Personal
Für die NPD war der Aufmarsch am „Tag der Arbeit“ der Auftakt zum Landtagswahlkampf. Angeführt von Bundesparteichef Frank Franz und dem Vorsitzenden der Schweriner Landtagsfraktion, Udo Pastörs, zogen rund 400 Anhänger durch die Straßen der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt. Etwaigen hör- oder sichtbaren Protest entlang der NPD-Route unterband weitgehend die Polizei. Schon bevor der Marsch vom Platz der Freiheit loszog, hieß es, Demonstranten, die zu einer angemeldeten Gegendemonstration wollten, seien von der Polizei eingekesselt worden. In der Straße Obotritenring, Ecke Demmler Straße setzte die Polizei laut einer eigenen Pressemitteilung eine „aus der Region Hamburg anreisende Personengruppe“ fest – darunter der V.s Sohn, 17 Jahre alt und Schülervertreter an einem Gymnasium in Bad Segeberg. Zusammen mit einem weiteren Schülervertreter war er mit dem Zug nach Swerin gereist. Es sollte für beide die erste Demonstration sein.
An jenem Tag selbst sei ihm die „ganze Dimension“ noch nicht gleich klar gewesen, sagt der Vater. Nachdem die Polizei die Gruppe festgesetzt hatte, soll sie angeboten haben, dass wieder gehen könne, wer sich ausweise. V. zufolge taten das sein Sohn und dessen Begleiter sowie mehrere andere Jugendliche – aber gehen gelassen hätten die Beamten sie nicht: „Sie sind schlicht und einfach von der Polizei belogen wurden.“
Nicht nur das: Offenbar wurde der Kessel sogar noch enger gezogen: Im Rücken hatten die Demonstranten eine Häuserfront, vor sich, zur NPD-Route hin, Polizeibeamte und deren Fahrzeuge, Stoßstange an Stoßstange abgestellt. Der Bitte um Wasser kamen die Beamten nicht nach, sollen vielmehr gespottet haben. Vater V. zufolge durften sich die Eingekesselten nicht mal in den Schatten der Polizei-Kleinbusse stellen – „die hatten wohl Angst um ihre Fahrzeuge.“
Nur bei offener Klotür
Eine Demonstrantin sei wegen Kreislaufproblemen zusammen gebrochen, berichtet Arne Zillmer, Landesvorstandsmitglied der niedersächsischen Jusos, die Polizei aber habe einfach weitergemacht. Als nach Stunden die ersten Demonstranten darum baten, eine Toilette aufsuchen zu können, begleiteten sie jeweils zwei Beamte zur mobilen Kabine auf einer nahen Baustelle. „Ein Beamter sagte meinem Sohn, er könne die Tür anlehnen, der andere widersprach“, sagt V. Auch eine Demonstrantin habe bei geöffneter Kabinentür ihre Notdurft verrichten müssen. Entsprechendes wird auch von Frauen berichtet, die zuvor sogar durch die Polizei durchsucht worden waren: Beamte hielten die Toilettentür auf. „Das grenzt an sexuelle Nötigung“, sagt V.
Die Grünen wollen im Innenausschuss des Schweriner Landtags nachfassen. Neben der „Quasi-Inhaftnahme von Minderjährigen“, auch wegen eines etwaigen Vorfalls am Schweriner Pfaffenteich: Am Sonntag hieß es, die Polizei habe einen Demonstranten bewusstlos geschlagen. Die Polizei spricht von einem Kreislaufkollaps. Die „vorübergehende Ingewahrsamnahme“ der Demonstranten begründete sie damit, dass die „sich vermummt und uniformiert polizeilichen Anweisungen widersetzt“ hätten. Zuvor soll die Gruppe „im Zug nach Schwerin Straftaten begangen“ haben.
Am Freitag vergangener Woche dann gab die Polizei sich vorsichtiger: Ein Sprecher möchte zum Nachgang der Maßnahmen nichts sagen. „Wir sind davon ausgegangen das diese Gruppe schwere Straftaten ausüben wollte.“ Der empörte V. dagegen hat sogar schon mit dem stellvertretenden Polizeidirektor telefoniert: Man gehe der Sache nach und werde die beteiligten Beamten ausfindig machen, habe der gesagt – aber erst nach Pfingsten. „Jedem unterlaufen Fehler“, sagt V., „aber hier wurde gleich mehrfach Recht gebrochen.“ Die NPD zeigte sich im Internet höchst zufrieden über das Vorgehen der Polizei.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?