Politologin über Wahlen in Portugal: „Costa könnte abgestraft werden“

Catherine Moury hält einen Regierungswechsel in Portugal für möglich. Der sozialistische Ministerpräsident António Costa hat an Beliebtheit eingebüßt.

Antonio Costa im warmen Sonnenlicht mit einer Geste seiner Hand

Antonio Costa im Wahlkampf Foto: Pedro Nunes/reuters

taz: Frau Moury, bis vor wenigen Tagen führte der Ministerpräsident von der Sozialistischen Partei (PS), António Costa, die Umfragen für die vorgezogene Neuwahl am Sonntag klar an. Einige sagten ihm eine absolute Mehrheit voraus. Doch jetzt liegt erstmals Rui Rio, der Führer der konservativen Opposition von der Sozialdemokratischen Partei (PSD), gleichauf. Wie ist das zu erklären?

Catherine Moury: Für mich kommt das nicht überraschend. Wenn wir uns anschauen, wie zufrieden die Wähler mit der Regierung sind, schneidet Costa nicht gut ab. Rio hat das Handicap, nicht allzu charismatisch zu sein. Aber seit der Fernsehdebatte mit Costa wird er immer bekannter. Er lernt schnell dazu, wenn es um öffentliche Auftritte und die Medien geht.

Am Sonntag könnte es also eine Überraschung geben?

Es kann sein, dass die PSD mehr Stimmen bekommt als die PS. Das würde auch im Trend der letzten Kommunalwahlen liegen. Da gewann in Lissabon überraschend der PSD-Kandidat. Niemand hatte das erwartet.

Das wäre ein starker Umschwung. Costa war lange populär, vor allem in seiner ersten Legislaturperiode von 2015 bis 2019.

Er konnte alle Schuld für das, was nicht gut lief, auf seine konservativen Vorgänger mit deren Sparpolitik und auf die Troika schieben. Er machte sich daran, Maßnahmen aus den Jahren der Austerität rückgängig zu machen. Er hob die Löhne im öffentlichen Dienst an, führte einige soziale Hilfsprogramme wieder ein, erhöhte den Mindestlohn. Gleichzeitig gelang es ihm, die Verschuldung abzubauen und das Defizit im Griff zu haben. Das gelang ihm dank dem, was ich heimliche Austerität nenne.

43, ist Professorin für Politikwissenschaft an der Neuen Universität Lissabon. Die gebürtige Belgierin forscht zu Portugals Austeritätspolitik und zum Thema Koalitionsregierungen.

Was meinen Sie damit?

Die öffentlichen Investitionen waren niedriger als etwa zur Zeit der Troika. Alles, was nicht so sichtbar ist, wie indirekte Steuern, wurde beibehalten oder gar verschärft. Costa war geschickt darin, rückgängig zu machen, was am deutlichsten sichtbar war, und beizubehalten, was keiner so genau merkte. Ein Beispiel: In Zeiten der Troika wurde die Wochenarbeitszeit für den öffentlichen Dienst auf 40 Stunden erhöht. Costa führte wieder die 35-Stunden-Woche ein, allerdings ohne neues Personal einzustellen. Das heißt, es gab weniger öffentliche Dienstleistungen. Eine Folge: Die Wartezeit für chirurgische Eingriffe wurde länger.

Costas Minderheitsregierung, die vom Linksblock (BE) sowie von einem Wahlbündnis aus Kommunisten und Grünen (CDU) unterstützt wurde, war in den ersten vier Jahren stabil. Warum war das in der zweiten Legislatur nicht mehr so?

In seiner ersten Legislatur arbeitete Costa mit der radikalen Linken einen Fahrplan aus und die Regierung arbeitete diesen ab. Die radikale Linke akzeptierte die Regeln der EU: Wenn du auf der einen Seite mehr ausgibst, musst du es auf der anderen einsparen. Außerdem war mehr Geld da, da die Finanzmärkte sich erholten und Portugal weniger für die Schuldendienste ausgab. 2019 gewann Costa Stimmen hinzu. Aber anstatt wieder mit der Linken ein Abkommen zu schließen, regierte er mit wechselnden Mehrheiten, bis dies dann beim Haushalt für 2022 schiefging und Neuwahlen notwendig wurden.

Die beiden Linksparteien stimmten im Oktober gegen den Haushalt, da Costa nicht mit ihnen verhandeln wollte. Werden sie an den Urnen dafür abgestraft werden?

Es sieht danach aus, als könnte Costa dafür mehr abgestraft werden als die Linke.

Warum wächst jetzt mit der Partei Chega auch in Portugal eine extreme Rechte heran?

Es gab bisher einfach niemanden mit Charisma, der diesen Platz einnahm. Jetzt ist das mit Chega-Führer André Ventura anders. Plötzlich bekommt die Chega Stimmen. Das Potenzial gab es aber schon immer. Portugal ist keine Ausnahme. Es ist sogar sehr rassistisch. Es reicht, die Umfragen anzuschauen, was die Leute sagen, wenn sie gefragt werden, was sie davon halten würden, wenn ihre Tochter einen Farbigen heiratet.

Egal was am Sonntag passiert, es wird keine absolute Mehrheit geben, weder für Costa noch für Rio. Können Sie sich eine Koalitionsregierung in Portugal vorstellen?

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir eine Koalitionsregierung haben werden. Eine große Koalition, wie es sie in Deutschland gab, lehnt Costa strikt ab. Und dass die Sozialisten die radikale Linke in eine Koalition einbinden, glaube ich nicht. Auch ist es schwer vorstellbar, das Rio eine Koalition mit der rechtsextremen Chega eingeht. Es läuft also alles auf eine erneute Minderheitsregierung hinaus. Koalitionen sind einfach nicht die politische Kultur Portugals.

Will Rio regieren, muss er sich mit der Chega einigen. Werden die Portugiesen, die die Diktatur mit einer Revolution gestürzt haben, akzeptieren, dass eine rechtsextreme Partei direkt oder indirekt an der Regierung beteiligt ist?

Eine direkte Beteiligung ganz sicher nicht. Und sicher auch kein schriftliches Abkommen. Aber es gibt viele Möglichkeiten, sich hier und da der Stimmen der Chega zu versichern, ohne dies schriftlich zu vereinbaren. Außerdem gibt es noch mehrere kleinere Parteien, die Liberalen und die Tierschützer.

Und Costa und die Linke?

Die radikale Linke ist verbittert über das, was geschah, als sich Costa weigerte, mit ihnen über den Haushalt zu verhandeln, und lieber eine Neuwahl anstrebte. Sie werden es ihm sicher nicht leicht machen.

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