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Regierungskrise in PortugalAb an die Urne

Nach der Ablehnung des Haushaltes im Parlament setzt der Präsident Neuwahlen für den 30. Januar 2022 an. Davon könnte die extreme Rechte profitieren.

Neuwahlen in Januar: Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa bei seiner Ansprache an die Nation Foto: reuters

Lissabon dpa | Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hat zur Beilegung einer Regierungskrise Neuwahlen für den 30. Januar ausgerufen – und dabei alles getan, um die Bürger seines Landes zu beruhigen. „In solchen Momenten gibt es immer eine demokratische Lösung, ohne Drama und Angst“, sagte das Staatsoberhaupt am späten Donnerstagabend. Der Präsident, der in Portugal direkt vom Volk gewählt wird und relativ viel Macht hat, betonte in seiner Rede an die Nation, nach dem Scheitern des Haushaltsentwurfs der linken Minderheitsregierung von Ministerpräsident António Costa habe er keine Alternative gehabt.

Ob die Worte des 72-Jährigen wirklich den 10,3 Millionen Bürgern die Angst vor der Zukunft nehmen, ist derweil fraglich. Nachdem der Etat vorige Woche im Parlament abgeschmettert worden war und die Neuwahl sich immer mehr als unvermeidlich abzeichnete, wuchs die Kritik an der mangelnden Kompromissbereitschaft der Politiker.

Das Boulevardblatt Correio da Manhã sieht in der noch nicht überstandenen Pandemie, der Versorgungskrise, den steigenden Energiepreisen und der innenpolitischen Ungewissheit eine gefährliche Kombination, die einen „schwarzen Winter“ ankündige.

Die stellvertretende Chefredakteurin der Zeitung Jornal de Notícias, Paula Ferreira, warnte dieser Tage vor „irreparablen Folgen, insbesondere für die Bürger“. Das Renommierblatt Público befürchtet das „Risiko der Unregierbarkeit“ und zitiert den Verfassungsrechtler und Ex-Regierungsberater Jorge Reis Novais: „Keine einzige Umfrage sagt eine bedeutende Änderung der Sitzverteilung im Parlament nach den kommenden Wahlen voraus.“

Portugiesisches Wunder

Dabei war das auch im Ausland mit Erstaunen und Anerkennung verfolgte „portugiesische Wunder“ vor wenigen Wochen noch in vollem Gange. Mit Unterstützung mehrerer linker Parteien, die seit jeher zerstritten waren, hatten Costas Sozialisten Portugal seit 2015 nach den schweren Jahren der Euro-Krise solide geführt. Viel Pragmatismus und Null Populismus, Ausgabendisziplin, aber auch soziale Verantwortung zeichneten die Regierung aus. Die Wirtschaft wuchs zuletzt, die Arbeitslosigkeit blieb gering.

Doch das Bündnis brach auseinander. Der marxistische Linksblock (BE), die Kommunisten (PCP) und die Grünen (PEV) hatten mit Blick auf die milliardenschweren Corona-Hilfen der EU unter anderem mehr Sozialausgaben gefordert.

BE-Chefin Catarina Martins glaubt den Grund zu kennen. Costa habe es auf ein Scheitern seines Etats ankommen lassen, weil er „von der absoluten Mehrheit besessen“ sei und glaube, diese nun erreichen zu können.

2019 errang seine sozialdemokratisch orientierte PS als Wahlsieger 108 von 230 Sitzen. Acht mehr bräuchte der 60-Jährige, um die absolute Mehrheit zu erreichen. Dafür spricht: Der ewige Erzrivale der PS, die konservative Sozialdemokratische Partei PSD, wird von einer internen Schlacht um den Parteivorsitz erschüttert. Newcomer Paulo Rangel (53) will den alten Boss Rui Rio (64) stürzen.

Doch Costa könnte sich verkalkulieren, meinen einige Beobachter. Es wird befürchtet, dass es viele Proteststimmen geben könnte. Davon würden in erster Linie die rechtsextreme Chega! (Es reicht!) von Parteichef Andre Ventura, die 2019 nur einen Sitz errang, sowie die neue Bewegung Liberale Initiative (IL) profitieren, meint etwa Público-Kolumnist João Miguel Tavares. Er schrieb: „Chega! und IL können schon die Champagner-Flaschen aufmachen.“

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