Politökonom über Finanzsystemreform: "Die G20 können nur scheitern"
Eine Reform des Finanzsystems scheitert am Egoismus der einzelnen Staaten, sagt Politökonom Henrik Enderlein. Finanzmärkte ließen sich nur unter Aufsicht einer internationalen Organisation reformieren.
taz: Herr Enderlein, vor dem G20-Finanzgipfel in Pittsburgh zeichnet sich nur ein Minimalkonsens ab. Woran liegt das?
Henrik Enderlein: Die G20 können an der Aufgabe nur scheitern, eine globale Wirtschaftsregierung anzustoßen. In der Gruppe treffen zu viele konkurrierende
Einzelinteressen aufeinander. Zudem sind die zugrunde liegenden Prozesse zu komplex, um sie innerhalb einer Gruppe mit wechselnden Präsidentschaften und Prioritäten grundlegend anzugehen. Einen wirklichen Willen, auf globaler Ebene irgendetwas zu erreichen, hat es im Lauf dieses Jahres nicht gegeben.
Kann eine Strategie der kleinen Schritte nicht auch zu großen Veränderungen führen?
Diese Jahrhundertkrise verlangt nach einer Jahrhundertantwort. Aber die G20 sind sie bisher schuldig geblieben. Es wurde immer nur an kleinen Stellschrauben wie den Banker-Boni gedreht. Die Boni sind aber eigentlich nur ein medienwirksamer Nebenschauplatz dieser Krise.
Folgt dem Marktversagen nun also das Politikversagen?
Regierungen allein sind mit der Krisenbewältigung überfordert. Die Nationalstaaten merken, dass sie die Globalisierung, die sie selbst geschaffen haben, nicht mehr kontrollieren können. Wenn Globalisierung nicht das Opfer des eigenen Erfolgs werden soll, dann brauchen wir neue Formen der politischen Steuerung, in deren Mittelpunkt ein globales Denken jenseits nationaler Egoismen steht.
Wie wollen Sie den Egoismus der Nationalstaaten überwinden?
Indem wir die richtigen Institutionen schaffen. Was uns auf internationaler Ebene fehlt ist eine unabhängige Instanz, die das Kollektivgut "Weltwirtschaftsstabilität" einfordert. Ein Kollektivgut braucht immer einen unabhängigen Akteur, der sich über die Partikularinteressen der Nationalstaaten hinwegsetzt und Dinge einfordern kann. Die Welthandelsbeziehungen werden in der Welthandelsorganisation geregelt. Im Bereich der internationalen Sicherheit gibt es den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Nur in den Weltfinanzbeziehungen existiert eine solche Instanz nicht. Ein Anfang wäre es, im Rahmen der G8 ein unabhängiges Sekretariat für internationale Währungs- und Finanzfragen einzurichten.
Könnte der IWF diese Rolle nicht auch übernehmen?
Der Internationale Währungsfonds hat in den letzten 30 Jahren vollkommen versagt, wenn es um die Warnung vor Krisen ging. Der IWF ist eine Aufaddierung von nationalen Interessen und nichts anderes. Deshalb glaube ich auch nicht, dass man den IWF im Anschluss an diese Krise stärken sollte. Denn wenn er in der Vergangenheit nichts geleistet hat, dann wird er das auch in Zukunft nicht tun.
Könnte eine Steuer auf Fiananztransaktionen dabei helfen, die Finanzmärkte zu zähmen?
Im Prinzip ist es eine gute Idee, diejenigen, die diese Krise verursacht haben, auch an den Kosten zu beteiligen. Allerdings ist ihre Umsetzung kaum möglich. Sie kann nur funktionieren, wenn sich alle 192 Länder dieser Welt daran beteiligen. Sonst hätte das System immer ein Leck. So eine Transaktionssteuer würde aber nicht helfen, weitere Finanzkrisen zu verhindern. Es gibt nämlich keine Hinweise darauf, dass so eine Transaktionssteuer die Finanzmärkte stabiler oder weniger volatil macht.
Wie ließe sich sonst spekulativen Exzessen entgegenwirken?
Ich könnte mir vorstellen, dass man auf konkrete spekulative Situationen reagiert: Wenn etwa eine Währung angegriffen wird, sollte sie vom Handel ausgesetzt werden, so wie das mit Aktien von Unternehmen geschieht, von denen es schlechte Nachrichten gibt. Das geht aber nur, wenn man eine klare Börsenaufsicht auf globaler Ebene hat.
Wie schätzen Sie die Rolle Chinas und der Schwellenländer ein?
China hat seine Hausaugaben noch nicht gemacht. Um zu wachsen, setzt es weiterhin auf seine unterbewerte eigene Währung und seine starke Exportorientierung. Das hat letztlich zu dieser Krise beigetragen. Für die Schwellenländer ist die Krise noch nicht ausgestanden. Die Kapitalflüsse in die Schwellenländer sind in den letzten zwei Jahren um 85 Prozent eingebrochen. Auch da steht die große Krise noch vor uns. Es kann sein, dass in den kommenden Monaten noch einige Länder in den Staatsbankrott gehen.
Die deutsche Staatsverschuldung hat durch die Krise um weitere 100 Milliarden Euro zugelegt. Sind Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand jetzt die richtige Antwort, um diese Schulden abzubauen?
Das beste Mittel, um Schulden abzubauen ist Wachstum. Wenn es aber mit der Konjunktur wieder nach oben geht, würde ich davor warnen, im Anschluss an die Wahl sofort einen harten Konsolidierungskurs zu fahren. Das könnte das Wachstum wieder bremsen. Andererseits funktioniert eine antizyklische Finanzpolitik nur über einen begrenzten Zeitraum. 2010 schlägt dann die Stunde der Wahrheit.
Welche Schulnote würden sie der Bundesregierung für die Schuldenbewältigung geben?
Vier minus. Das Bankenrettungspaket und das Bad-Bank-Modell sind nicht in Anspruch genommen worden. Das deutsche Bankensystem ist noch immer nicht stabil. Wir haben einen Wischi-waschi-Kurs in der Konjunkturpolitik erlebt. In keinen anderen Industrieländern war die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr so schlecht wie in Deutschland und in Japan. Die Bundesregierung hat die Krise bis in den vergagangenen Herbst kleingeredet. Insofern ist die vier minus berechtigt.
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