Politische Krise in Israel: Schin-Bet-Chef wirft Netanjahu Amtsmissbrauch vor
Israels Inlandsgeheimdienstchef Ronen Bar erhebt schwere Vorwürfe gegen den Regierungschef. Diese offenbaren tiefe Zerwürfnisse an der Staatsspitze.

Unter den schwersten Vorwürfen: Netanjahu soll „bei mehreren Gelegenheiten“ den Schin Bet angewiesen haben, Teilnehmer von regierungskritischen Protesten zu überwachen, was Bar verweigert habe. Der Ministerpräsident soll Bar zudem klargemacht haben, dass er im Falle einer Verfassungskrise zwischen der Regierung und den Gerichten dem Regierungschef verpflichtet sei. Man habe ihn „versucht zu zwingen“, ein Dokument zu unterzeichnen, das im laufenden Korruptionsverfahren gegen Netanjahu einen Ausschluss der Öffentlichkeit begünstigt hätte. Auch dagegen hat Bar sich nach eigenen Angaben gewehrt. Regierungschef Netanjahu muss derzeit mehrmals pro Woche zu Korruptionsvorwürfen aussagen.
Die Gespräche hätten nach Treffen stattgefunden, wenn Netanjahus Berater und Stenografen bereits den Raum verlassen hätten. Damit sollte laut Bar „jede Aufzeichnung der Unterredungen unterbunden werden“. In Israel werden Gespräche zwischen dem Regierungschef und dem Schin-Bet-Direktor laut der Zeitung Haaretz normalerweise protokolliert, eine Folge früherer Geheimdienstaffären.
Die Entscheidung für seine Entlassung „basierte nicht auf professionellen Maßstäben, sondern auf der Erwartung von Netanjahu, dass ich ihm persönlich gegenüber loyal sein würde“, schreibt Bar. Berichten zufolge soll er von der Regierung unter Druck gesetzt worden sein, diese Erklärung nicht einzureichen.
Bar politisiere den Geheimdienst, sagt Netanjahu
Netanjahus Büro reagierte umgehend: Bars Einlassungen seien „eine komplette Lüge“ und würden widerlegt werden. Die Regierung hat bis Donnerstag Zeit, ihre Antwort bei Gericht einzureichen. Netanjahu warf Bar vor, jedes Vertrauen verloren zu haben, und beschuldigte ihn, den Geheimdienst zu politisieren.
Die Beziehung zwischen Bar und Netanjahu hat sich nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zunehmend verschlechtert. Der Schin Bet hat Fehler eingestanden, der Regierung aber auch vorgeworfen, jahrelang den Aufbau der Hamas befördert zu haben. Netanjahu hat bisher jede Verantwortung zurückgewiesen.
Jüngst hat der Schin Bet Ermittlungen gegen zwei enge Mitarbeiter Netanjahus eingeleitet. Dabei geht es unter anderem um mutmaßliche Zahlungen aus dem Golfemirat Katar, das zur gleichen Zeit die Hamas mitfinanzierte. Am Montag beantragte die Polizei eine Verlängerung der Hausarreste gegen Netanjahus Mitarbeiter Jonatan Urich und seinen ehemaligen Sprecher Eli Feldstein.
Derweil führte eine israelische Delegation laut Medienberichten am Montag in Kairo Gespräche über ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen und die Befreiung der 59 dort festgehaltenen Geiseln. Einen von Israel und den USA unterstützten Vorschlag über eine temporäre Feuerpause ohne ein Kriegsende hatte die Hamas vergangene Woche abgelehnt, aber gesagt, für ein Ende des Krieges sei man bereit, die politische Kontrolle über den Gazastreifen abzugeben. Auch auf den Bau von Waffen und Tunneln wolle sie im Gegenzug für eine langfristige Waffenruhe verzichten.
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