Politische Gefangene in Belarus: Trump und Lukaschenko, ein abgekartetes Spiel
Belarus bekanntester Polithäftling Sergej Tichanowski wurde einen Monat lang „gemästet“, bevor er jetzt freikam – als Teil eines politischen Deals.

„Wen sehe ich da?!“, begrüßt Lukaschenko mit strahlendem Gesicht den pensionierten Generalleutnant der US-Armee. „Mein Freund!“, antwortet Kellogg. Es folgen Umarmungen.
„Mit Ihrer Ankunft haben Sie weltweit für Aufruhr gesorgt“, erklärt der belarussische Diktator vor den staatlichen TV-Kameras. „Wir leben in sehr gefährlichen Zeiten, in denen sich die aktuellen Krisen schnell verschärfen und ausweiten können, wenn wir nicht mit Weisheit und Gerechtigkeit vorgehen“, sagt Trumps Emissär.
Auf belarussischem Staatsgebiet garantiere er ihm vollständige Sicherheit, lässt Lukaschenko den hochrangigen Gast wissen. Beim Treffen ist auch ein Dolmetscher und ein KGB-Mitarbeiter anwesend. Lukaschenko spricht kein Englisch. Und bald wird klar, wozu der KGB-Mitarbeiter dabei ist.
Donald Trump dankt Präsident Trump
Nur zehn Stunden später wird weltweit vermeldet: Sergei Tichanowski, der wichtigste politische Gefangene in Belarus, ist frei. Und nur wenige Minuten nachdem belarussische Exilmedien die Freilassung von insgesamt 14 Personen vermeldet hatten, erscheint aus Litauens Hauptstadt Vilnius das erste Video, auf dem Sergej Tichanowski seine Frau Swetlana Tichanowskaja umarmt.
„Sergej ist frei. Er ist bei mir und meinen Kindern. Es ist das eingetreten, wovon unsere Familie all die fünf Jahre geträumt hat und wofür wir seit seiner Verhaftung gekämpft haben“, schreibt Tichanowskaja später auf Telegram. „Die Freilassung von Sergei ist ein Schritt zur Befreiung aller politischen Gefangenen und ganz Belarus. Wir danken allen für die enorme Unterstützung.“
Noch in der Nacht zum Sonntag veröffentlicht US-Präsident Donald Trump ein Foto von Tichanowski in den Armen seiner Frau und kommentiert selber: „Danke, Präsident Trump!“

2020 hatte Sergei Tichanowski für das Präsidentenamt in Belarus kandidieren wollen. Ende Mai 2020 wurde er bei einer legalen Wahlkampfkundgebung in Grodno festgenommen. Zwei Monate später erklärte Lukaschenko, Tichanowski habe versucht, in Belarus einen Maidan-Aufstand nach ukrainischem Vorbild zu organisieren. Er durfte nicht antreten und wurde im Dezember 2020 zu 18 Jahren Strafkolonie verurteilt.
An seiner Stelle trat seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja bei den Wahlen im August 2020 an. Das Lukaschenko-Regime weigerte sich, ihren mutmaßlichen Wahlsieg anzuerkennen. Tichanowskaja musste nach Litauen ausreisen.
Fünf Jahre Haft, davon zwei in vollständiger Isolation
Massenproteste in Belarus wurden brutal niedergeschlagen. Fünf Jahre hat Tichanowski seitdem hinter Gittern verbracht, die letzten zwei Jahre in vollständiger Isolation: in einer Einzelzelle, ohne das Recht auf Briefverkehr oder Telefonkontakte.
Am Sonntag, den 22. Juni, tritt Sergej Tichanowski in einem Konferenzsaal in Vilnius ans Mikrofon. Er ist hager und ausgezehrt – und strahlt. Schnell ist er von Tränen überwältigt. Der stattliche, große Mann, so haben ihn viele Belarussen in Erinnerung, sieht nun aus wie ein Häftling aus dem Gulag.
„Das Regime ist brutal“, sagt er unter Tränen. „Das ist keine Gerechtigkeit. Das ist ein System, das darauf ausgelegt ist, die Würde zu zerstören.“
Seine Freilassung sei vorbereitet worden, erzählt Tichanowski. Vor etwa einem Monat habe man begonnen, ihn zwangsweise zu ernähren „Im letzten Monat haben sie mich richtig gemästet. Es gab Butter, Eier, Quark und immer doppelte Rationen. Können Sie sich vorstellen, wie ich bis dahin ausgesehen hatte?“
Seine Kinder erkannten ihn nicht
Der schwerste Moment nach seiner Freilassung sei das Wiedersehen mit seinen Kindern gewesen. „Sie standen vor mir – und erkannten mich nicht. Sie sahen mich nur an wie einen Fremden. Fünf Jahre sind für ein Kind eine Ewigkeit.“
Tichanowski ist überzeugt, dass er Teil eines politischen Spektakels geworden ist. Während politische Gefangene im Gefängnis sterben und andere körperlich und seelisch gebrochen werden, posiert Lukaschenko nun vor den Kameras und prahlt mit seiner „Menschlichkeit“.
Der kommende Monat dürfte entscheidend sein, so Tichanowski. Es könnten alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Im Gegenzug wolle der Diktatur die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Belarus erreichen.
„Freilassung ausschließlich aus humanitären Gründen“
Sergei Tichanowski sei ausschließlich aus humanitären Gründen freigelassen worden, um die Familie zusammenzuführen, sagt Lukaschenkos Pressesprecherin. Das sei auf Bitte des US-Präsidenten geschehen.
Nach Angaben der litauischen Behörden sind unter den vierzehn Freigelassenen fünf Belarussen, ein Schwede, ein Este, zwei japanische, zwei lettische und drei polnische Staatsbürger. Einer von ihnen ist Igor Karnej, Journalist von Radio Liberty.
Er berichtet, dass sie alle wenige Tage zuvor aus ihren Gefängnissen und Strafkolonien abgeholt wurden, ohne Begründung, mit Säcken über den Köpfen. Zunächst nahmen sie an, sie würden einfach verlegt oder zu Verhören gebracht. Einige wurden sogar direkt aus der Haft nach Litauen gebracht, ohne dass sie sich noch von Angehörigen hätten verabschieden oder persönliche Dinge mitnehmen können, berichtet er.
Swetlana Tichanowskajas Chefberater Franak Viačorka sagt dem in Belarus verbotenen Online-Portal Zerkalo, man habe mit der Freilassung von zehn bis zwanzig Personen gerechnet. „Wer genau freigelassen wird, wird in Minsk entschieden und dort entscheiden sie in letzter Minute. Wir fordern immer wieder die Freilassung aller politischen Häftlinge. Aber die Entscheidung darüber liegt leider beim belarussischen Regime. Dieses Mal wurden vor allem diejenigen freigelassen, die Beziehungen zu anderen Ländern haben, entweder, weil sie Doppelstaatler sind oder mit ausländischen Medien gearbeitet haben. Wir erwarten immer mehr, aber bekommen immer weniger, das Regime ändert die Regeln im letzten Augenblick.“
Trump braucht Lukaschenko für Ukraine-Friedensgespräche
Aber wozu braucht Trump Lukaschenko? Juri Drakochrustrust, politischer Analyst von Radio Liberty, weist auf die Umstände hin: Trumps Ukraine-Friedensgespräche seien in eine Sackgasse geraten. Die USA könnten versuchen, Lukaschenko dafür zu nutzen, aus dieser Sackgasse herauszukommen.
„Trumps politischer Stil ist es, nach ungewöhnlichen, manchmal riskanten Wegen aus Sackgassen zu suchen. Der Besuch von Keith Kellogg in Minsk könnte ein Schritt in diese Richtung sein“, schreibt er.
Von einem „bedeutenden diplomatischen Erfolg für Minsk“ spricht der Politologe Artyom Schraibman. „Im Grunde genommen sprechen die Amerikaner nun wieder auf derselben Ebene mit Lukaschenko, auf der sie vor den Ereignissen von 2020 miteinander in Kontakt standen. Dafür konnte man schon einen der wichtigsten politischen Gefangenen freilassen. Zumal die belarussischen Exil-Politiker aktuell kaum etwas in Belarus selber bewirken können.“ Igor Tour vom staatlichen belarussischen TV-Sender ONT ist davon überzeugt, dass „Lukaschenko wieder alle übertroffen hat“.
Für Tichanowski ist seine Freilassung nur der erste Schritt. In Vilnius wendet er sich an seine Landsleute: „Wenn ihr auf ein Zeichen gewartet habt, hier ist es“, sagt er und hebt seine geballte Faust in die Luft – das Symbol der Proteste von 2020.
Dann sagt er noch: „Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Befreiung von Belarus nicht beginnen kann, solange das Putin-Regime nicht zusammenbricht. Absolut. Ohne Putin wären wir jetzt nicht hier. Alles wäre 2020 oder 2021 vorbei gewesen. Davon bin ich fest überzeugt.“
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