Politisch motivierte Kriminalität: Rechtsextremes Werk und Dobrindts Beitrag
CSU-Innenminister Alexander Dobrindt stellt Rekordzahlen zur politisch motivierten Kriminalität vor. Vor allem rechte Gewalt stiegt 2024 stark an.

Der größte Teil davon, über die Hälfte, sind laut der Gesamtstatistik rechtsextreme Taten: ebenfalls ein Rekordwert von 42.788 (Zuwachs: 48 Prozent). Auch rechten Gewalttaten stiegen auf ein Allzeithoch von 1.270 auf 1.488 Taten. Die Entwicklung hatte sich bereits abgezeichnet – bei rechtsextremen Angriffen auf Politiker*innen, Brandanschlägen mit Todesopfern und bundesweit grassierender rassistischer Gewalt.
Tatsächlich dürfte das Dunkelfeld noch größer sein: Opferberatungsstellen zählen in bisher erfassten 12 Bundesländern gar 3.452 rechte, rassistische und antisemitische Angriffe. Auch sie stellten ihre Zahlen am Dienstag vor und sprachen von einer „Untererfassung“ durch die Behörden.
Dafür ging Dobrindt am Dienstag in der Bundespressekonferenz doch recht kurz auf den offensichtlichen Rechtsruck in der Bundesrepublik Deutschland ein. Er streifte die Zahlen nur und kam schnell auf „importierten Antisemitismus“ zu sprechen. Insgesamt beklagte er vor allem eine flächendeckende „Polarisierung in der Gesellschaft“.
Mit guter Politik „wegregieren“
Dobrindt ist das Gesicht der von der CSU im Fahrwasser der AfD geforderten „Migrationswende“, er stellte im Wahlkampf das individuelle Recht auf Asyl infrage und lässt nun Dienstpläne von Bundespolizist*innen und europäische Rechtsordnungen platzen, um in seiner ersten Woche sage und schreibe 32 Asylbewerber zurückzuweisen. In der Vergangenheit fabulierte er von der „Anti-Abschiebe-Industrie“, der „Klima-RAF“ und beschimpfte Grünen-Politiker als „Vorsitzende der Pädophilen-AG“. Dobrindt bewirtschaftet den Populismus strategisch, jetzt hat er die Folgen auch seines eigenen Handelns auf dem Tisch.
Ob er die AfD mitverantwortlich mache für die gestiegenen rechten Straftaten? Seine Antwort: „Alle die, die bei dieser Polarisierung eine Rolle spielen, sind ein Teilelement dieser Entwicklung.“ Trotz der rechten Bedrohungen wollte Dobrindt nichts vom AfD-Verbot wissen und stattdessen bei seinem Rezept im Umgang mit Rechtsextremismus bleiben: „Parteien an den Rändern“ solle man mit guter Politik „wegregieren“ und nicht versuchen, sie juristisch zu verbieten, forderte Dobrindt.
Immerhin wiederholte er aber auf Nachfrage den Satz seiner Vorgänger*innen Horst Seehofer (CSU) und Nancy Faeser (SPD): „Die größte Gefahr für die Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus.“ Dobrindt nannte auch Angriffe von „rechtsextremen Jugendbewegungen“ auf CSDs, ebenso zahlreiche Übergriffe auf Politiker*innen im Wahlkampf des Superwahljahres 2024. Er sprach von einem „erheblichen Gefährdungspotenzial“ rechtsextremer Gruppen in Verbindung mit „parteigebunden Rechtsextremisten und gewaltbereiten Hooligans“. Auf dem rechten Auge blind zu sein, wollte Dobrindt damit zurückweisen.
Tatsächlich zeigen die PMK-Zahlen auch einen Anstieg in fast allen anderen Bereichen: Bei der „sonstigen Zuordnung“, worunter Reichsbürger, Selbstverwalter und sonstige Verschwörungsideolog*innen fallen, gab es ebenfalls einen Zuwachs um 33 Prozent auf 22.193 Taten (Gewaltdelikte: 795). Auch bei „ausländischer Ideologie“ stiegen die Straftaten um 42 Prozent auf 7.343 Taten (Gewaltdelikte: 975). Ähnlich bei religiöser Ideologie mit rund 29 Prozent Anstieg auf 1.877 Delikte (Gewaltdelikte: 87). Beim Linksextremismus nahmen Straftaten um 28 Prozent auf 9.971 Delikte ebenfalls zu. Gewaltdelikte haben sich in diesem Bereich aber um 16,8 Prozent auf 762 Taten verringert.
Besonders viele Angriffe auf Dobrindts Lieblingsfeinde
Im Kontext von Wahlen gab es einen Anstieg von 422 Prozent, von 11.217 Delikten gegenüber 2.147 im Jahr 2023. Besonders betroffen waren Dobrindts Lieblingsfeinde, die Grünen, gegen die sich 3.204 Straftaten richteten. Dahinter rangierte die AfD (3.075), die SPD (2.546), CDU (1.401) und die Linke (909).
Einen Fokus legte Dobrindt auf Antisemitismus. Hierzu hatte er eine Extratafel ausgedruckt, die die 2024 gestiegenen Fallzahlen seit dem Angriff der Hamas auf Israel zeigt (20 Prozent Steigerung auf 6.236 antisemitische Straftaten). Der Anwuchs sei vor allem auf „ausländische Ideologien“ zurückzuführen, sagte Dobrindt – mit einem Anstieg um 63 Prozent auf 1.940 Taten. Er konstatierte allerdings auch, dass die meisten antisemitischen Straftaten, 3.016, noch immer dem Rechtsextremismus zuzuordnen waren. „Egal, woher der Antisemitismus herkommt, er ist nicht zu akzeptieren“, lautete sein Fazit.
BKA-Chef Holger Münch verwies darauf, dass auch islamistische Gruppierungen den Nahostkonflikt zur Mobilisierung nutzten. Die jüngsten Anschläge in Mannheim, Solingen und Berlin zeigten eine anhaltend hohe Gefährdungslage auf – „Deutschland steht nach wie vor im Fokus des islamistischen Terrorismus“, sagte Münch. Hinzu komme mittlerweile eine hybride Bedrohung durch Russland. Angriffe auf kritische Infrastruktur, militärische Einrichtungen und auch Industriestandorte und Sabotageverdachtsfälle wolle man künftig ebenfalls auswerten, diese würden künftig in der PMK ebenfalls erfasst.
Seine Konsequenzen sind CSU-typisch Law and Order: „Mehr Kompetenzen für die Polizei, mehr Konsequenzen für die Straftäter“ – das heißt aus Dobrindts Sicht vor allem Abschiebungen. So plädierte er dafür, Angriffe auf Polizeibeamte schärfer zu ahnden und „Regelausweisungen“ bei antisemitischen Straftaten durchzuführen. „Wir dulden den importierten Antisemitismus auf unserer Straßen nicht“, so Dobrindt. Einen gesonderten Plan für die Bekämpfung des einheimischen Antisemitismus nannte Dobrindt ebenso wenig wie einen neuen Plan für die Bekämpfung von Rechtsextremismus.
Linke und Grüne fordern Demokratiefördergesetz
Vor allem die Linke kritisierte Dobrindt für seinen laschen Umgang mit rechten Straftaten. Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger sagte: „Statt die Gefahr klar zu benennen, verharmlost Innenminister Dobrindt sie. Er spricht von politischen Rändern und will eine nebulöse politische Mitte stärken.“ Fakt sei, dass die meisten Taten rechts motiviert und Rassismus das häufigste Tatmotiv seien. „Wir haben kein Problem mit Rändern, wir haben ein Problem mit der extremen Rechten, die genau den Rassismus gewalttätig vertritt, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt“, sagte Bünger. Sie forderte ein Schutzkonzept für Betroffene und ein Demokratiefördergesetz: „Wer rechte Gewalt wirklich bekämpfen will, muss in Demokratiearbeit investieren und darf nicht aus Angst vor rechten Stimmen deren Rhetorik übernehmen.“
Auch die Grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sprach von einem „alarmierenden Anstieg rechtsextremer Straftaten“. Neben Polizeiarbeit brauche es eine starke Zivilgesellschaft, echte Prävention und ein Demokratiefördergesetz, forderte Dröge: „Die AfD trägt Verantwortung für die Vergiftung der politischen Debatte. Die Union darf das nicht bagatellisieren!“
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