Politikwissenschaftlerin über Rechtsruck: „In der Krise schlägt die große Stunde des Faschismus“
In ihrer Heimat Österreich könnte die FPÖ bald den Regierungschef stellen: Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl über den neuen Faschismus.
![Herbert Kickl steht in einer Tür im Präsidialamt in Wien. Herbert Kickl steht in einer Tür im Präsidialamt in Wien.](https://taz.de/picture/7456168/14/500651240-1.jpeg)
taz: Frau Strobl, was sind die Gefahren, wenn die FPÖ in Österreich die Regierung anführt?
Natascha Strobl: Zuerst natürlich, dass ein massiver Eingriff in den Sozialstaat kommen wird und eine Umverteilung von unten nach oben, indem es Steuererleichterungen für Unternehmen, Banken und reiche Menschen geben wird. Der andere Strang ist alles, was mit Rechten zu tun hat. Vor allem für Migrant*innen und geflüchtete Menschen wird es bis hin zur Infragestellung von Menschenrechten gehen. Die ganze Medienpolitik wird auch schwierig werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll nicht mehr finanziert werden. Also eine lange Liste von kleinen und großen Grausamkeiten.
taz: Würden Sie die FPÖ als faschistische Partei bezeichnen?
Strobl: Schwierig. Weil das auch natürlich ein strafrechtlicher Vorwurf in Österreich ist. Es ist auf jeden Fall eine rechtsextreme Partei mit einzelnen Personen, die faschistisches Denken haben. Ein Kollege von mir sagt immer: „Die FPÖ und die Identitären unterscheiden sich nur dadurch, dass die einen zur Wahl antreten und die anderen nicht.“ Das heißt, vom Denken und von der Ausrichtung her ist die FPÖ quasi identisch mit neofaschistischen Gruppierungen.
taz: Brauchen wir dann heutzutage eine neue Definition vom Faschismus?
Strobl: Auf jeden Fall. Vor allem in Zeiten von Social Media bedeutet Nationalismus vielleicht nicht mehr Nationalismus im Sinne des 20. Jahrhunderts, sondern dass wir es mit Kulturkämpfen und transnationalen Faschisten zu tun haben. Das kann verschieden ausschauen. Also, es gibt viele Diskussionen in Bezug auf Faschismus, denen wir uns noch stellen müssen.
taz: Und wie sieht es bei der AfD aus?
Strobl: Die AfD und die FPÖ waren sich eigentlich sehr unähnlich. Die AfD ist eine sehr moderne Partei mit all den Vorteilen und Problemen, die eine junge Partei hat. Die AfD hat nie erreicht, dass sie nur geschlossen für sich existieren kann, wie die FPÖ das als viel ältere, gefestigtere, in der Gesellschaft verankerte Partei konnte. Das bedeutet auch, dass die AfD viel durchlässiger war und ist für Impulse von außen. Dadurch sind viel schneller Aktivisten der Identitären Bewegung hineingekommen. Erst in den letzten Jahren hat auch die FPÖ mehr dieser Elemente aufgenommen.
taz: Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn sich faschistische Bewegungen weiterentwickeln?
Strobl: Ich finde, man darf den Faschismusbegriff nicht zu breit verwenden, um Alarm zu schlagen. Es hilft nichts, wenn sich dieser Begriff abnutzt, aber gleichzeitig darf man nicht zu rigoros sein. Wenn wir jetzt aber eine klare Analyse haben, dass es in der Partei und in der Gesellschaft faschistische Elemente gibt, dann müssen wir das ernst nehmen. Und wir müssen uns auch klar sein, dass Faschismus nur eine sehr kurze und begrenzte Zeit in der Demokratie existieren kann. Faschismus trachtet immer danach, die Demokratie abzuschaffen.
taz: Wie kann man dem entgegenwirken?
Strobl: Wir können jetzt Symptombekämpfung machen, aber viel wichtiger wäre, die Ursachen zu bekämpfen. Und die Ursache ist, dass das System, in dem wir existieren, für ganz viele Menschen nicht mehr funktioniert. Das Versprechen, wenn man arbeitet, kann man Wohlstand erringen und es wird jeder Generation besser gehen als der davor, stimmt nicht mehr. Genau in dieser Krisensituation schlägt die große Stunde des Faschismus.
„Faschismus und autoritäre Entwicklung“: Di, 14. 1., 19-21 Uhr, Kuppelsaal im B*Treff Altona-Nord; Gefionstraße 3, Hamburg
taz: Warum?
Strobl: Der Faschismus verspricht die Destruktion dessen, was als Unerträglich empfunden wird. Das Unbehagen wird dann auf Minderheiten, Frauen oder Linke gelenkt. Es ist das große Versagen anderer demokratischer Parteien, das zu verkomplizieren. Woran es fehlt, ist eine solidarische, nachvollziehbare Krisenlösung und Perspektive, wie die Welt in fünf Jahren aussehen soll. So lange es das nicht gibt, werden faschistische Parteien weiter existieren.
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